Konzentrationslager Kemna in Wuppertal – ein würdiger Ort des Gedenkens?

24. Juni 2023

Pressemitteilung der VVN-BdA Wuppertal vom 24. 6. 2023

Am 9. Juli 2023 versammeln sich zum 40. Mal Antifaschist:innen am Mahnmal gegenüber der alten Putzwollfabrik, um an das Konzentrationslager Kemna zu erinnern.

Eines der ersten Konzentrationslager im faschistischen Deutschland wurde im Juli 1933 in Wuppertal-Beyenburg errichtet. Die Grausamkeit der Täter, die kaum vorstellbare Qual der Folter, darum wissen die Menschen im Bergischen Land. Und sie wissen, dass fast alle der 2500 bis 3000 eingesperrten Männer aus der Arbeiter:innenbewegung kamen.

Die Kemna war schon immer ein umkämpftes Gedenken, und erst 1983 wurde ein Gedenkort geschaffen. Noch nie lag dort ein Kranz der CDU zum jährlichen Mahnen.

In stiller Sorge haben viele Bürger:innen auf die Kemna geschaut, seit die evangelische Kirche 2018 Eigentümerin des Fabrikgeländes geworden ist. Leider haben sich die unausgesprochenen Befürchtungen bestätigt.

Die von Studierenden des Fachs Geschichte der Bergischen Universität entwickelte Konzeption zur Gestaltung einer Gedenkstätte auf dem Gelände und im Gebäude des KZ wurde vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt. Bei der Präsentation werden die Studierenden und Frau Dr. Schrader, die Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge in der Westdeutschen Zeitung vom 16. Juli 2023 wie folgt zitiert: „Die Einteilung in Opfer und Täter versuchen sie [die Studierenden] jedoch zu vermeiden. Denn die Grenzen seien schwammig. „Natürlich hat niemand dieses Leid verdient“, sagt Studentin Dana Thiele. Doch wurden auch Täter zu Opfern und umgekehrt. „Rund 80 Prozent der Häftlinge waren Kommunisten und damit auch Gegner der Weimarer Republik, also der Demokratie“, führt Ulrike Schrader aus. Eine weiße Weste habe deshalb keiner, man wolle niemanden zum Helden machen oder eine Vorbildfunktion geben, die er nicht hat.“

Die VVN-BdA Wuppertal ist entsetzt über diese Ausagen!

Nirgendwo sind Täter und Opfer so klar voneinander geschieden wie in der Folterhölle der Kemna. Die einen üben die Gewalt aus, die anderen erleiden sie. Die Unterdrückung ist konkret und zielt auf die direkte Zerstörung des politischen Gegners.

Haben die zukünftigen Historiker:innen denn die vielen Berichte nicht gelesen!?

Um der historischen Wahrheit gerecht zu werden, fordert die VVN-BdA Wuppertal die Studierenden auf: Belegen Sie ihre Aussage „Doch wurden auch Täter zu Opfern und umgekehrt.“ nach wissenschaftlichen Standards!

In Frau Dr. Schraders Äußerungen lebt die herrschemde Tradition der BRD wieder auf, alles zur Diffamierung des linken Widerstands zu tun.

Während die zukünftigen Akademiker:innen die Täter-Opfer-Umkehr anwenden, macht Frau Schrader die Antifaschisten, diejenigen, die gerade im Kampf mit den Faschisten das Schlimmste erleiden, zu Feinden der Demokratie! Dabei ist dieser Kampf gegen den Faschismus ja das stärkste Eintreten für die Demokratie.

Im September 1933 erhält der Preussenprinz und das aktive SA-Mitglied „Auwi“ die Ehrenbürgerwürde der Stadt Wuppertal. Er hat als berühmtestes Mitglied der Familie der Hohenzollern und Sohn des Kaisers maßgeblich dafür gesorgt, im Adel das Ansehen der NSDAP zu erhöhen, er ist ein wichtiger Wegbereiter der Nazi-Diktatur. Während „Auwi“ für die Verleihung der Ehrenbürgerwürde in Wuppertal zu Gast ist, macht er einen Besuch in der Kemna, lässt sich das Gebäude und die Gefangenen vorführen und bekommt einen Strauß Blumen überreicht. Frau Dr. Schrader, das waren die Gegner und Zerstörer der Weimarer Republik, und das sind auch heute die Feinde unserer Demokratie! Prinz „Auwi“ ist übrigens immer noch Täger der Ehrenbürgerwürde der Stadt Wuppertal…

Doch der Skandal ist noch grösser. Die evangelische Kirche hat sich sofort 1933 bemüht, privilegierten Zugang zu den neuen Konzentrationslagern zu bekommen. Sogenannte Seelsorger sollten die Häftlinge missionieren. In der Kemna wurden regelmäßig evangelische Gottesdienste abgehalten, Hilfe vor der Gewalt der Wärter konnten die Gefolterten vom Pfarrer allerdings nicht erwarten. Am Heiligabend 1933 gab es stattdessen eine Weihnachtsfeier mit Kerzen und Tannenbaum, Gesang und einem Posaunenkonzert des CVJM.

Jetzt ist klar, dass die Täter-Opfer-Umkehr und die Diffamierung der Inhaftierten durch Frau Dr. Schrader und die Studierenden dazu dient, diese Schuld der evangelischen Kirche selbst unsichtbar zu machen. Denn die evanglische Kirche war als rechter Akteur, als wichtiges deutschnationales Milieu selbst Feind der Weimarer Demokratie und Anhänger des Autoritarismus.

Johannes Rau spricht es 2005 offen aus: „Der Ort, an dem man sich 1934 versammelte [Bekennende Kirche], liegt Luftlinie etwa drei Kilometer vom Konzentrationslager Kemna , zwischen Beyenburg und Oberbarmen. Die in Barmen Versammelten haben dazu keine Worte gefunden. Weil es sich zunächst nur um politische Gefangene, Arbeiter, Kommunisten und politische Dissidenten handelte?“

Die VVN-BdA Wuppertal erwartet eine Entschuldigung bei den Familien der Opfern durch die evangelische Kirche.

Die VVN-BdA Wuppertal fragt:

Wie kann die Öffentlichkeit jetzt noch Vertrauen in die Konzeption des zukünftigen Gedenkort Kemna haben?

Wie soll das Vertrauen in die objektive Darstellung der Geschichte der Kemna wiedergewonnen werden?

Wie soll eine antifaschistische Zusammenarbeit in Zukunft möglich sein?

Diese Fragen müssen von der evangelischen Kirche beantwortet werden!

Umkämpftes Feld

21. Mai 2023

geschrieben von Sebastian Schröder

»Iftach el bab!« (»Tür auf!«): Meron Mendels Buch »Über Israel reden«

Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, hat mit »Über Israel reden. Eine deutsche Debatte« einen gewichtigen Beitrag zu eben dieser Diskussion vorgelegt. Der israelisch-deutsche Historiker und Pädagoge hat das Ziel, ein »Plädoyer für Versachlichung und Differenzierung in einem umkämpften Feld, in dem sich Geschichte und Gegenwart sowie Real- und Moralpolitik vermischen« zu formulieren. Leider wird er diesem Anspruch nur in zwei von vier Kapiteln gerecht.

Aufgewachsen in Israel in einem Kibbuz, war er als junger Mensch in der israelischen Friedensbewegung aktiv und meinte, wie viele in den 1990er-Jahren, im Osloer Friedensabkommen das Ende des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern zu sehen. Mit der Ermordung Yitzchak Rabins durch einen rechten Terroristen 1995 endete die Periode der Annäherung.

Mit 18 Jahren hat Mendel seinen Militärdienst als Soldat der Besatzungsarmee in der Stadt Hebron absolviert. »Iftach el bab!« (»Tür auf!«) sind die arabischen Worte, die sowohl seine Armeezeit als auch den Charakter der Besatzung insgesamt beschreiben.

Mendel formuliert den entscheidenden Unterschied in der Beurteilung des Feldes Antisemitismus und Israelkritik: »Zwischen Israelis und Palästinensern gab und gibt es einen realen, handfesten Konflikt – zwischen Juden und Deutschen jedoch nie.« Diese Unterscheidung ermöglicht es ihm, viele im deutschen Diskurs tabuisierte Tatsachen auszusprechen.

Er untersucht im ersten von vier Kapiteln die Geschichte des Verhältnisses der Bundesrepublik zu Israel und kann zeigen, dass von beiden Seiten immer der Vorteil für die eigenen politischen Interessen gesucht wurde. Während Israel einen wohlhabenden, wiedererstarkenden Verbündeten sucht, nutzt die BRD die finanzielle Wiedergutmachung zur kollektiven Reinwaschung von der Schuld des Holocaust, um international wieder agieren zu können. Wie mit der zur »Staatsräson« veredelten deutschen Verantwortung für »Israels Sicherheit« umzugehen ist, wenn dort die extreme Rechte an der Macht ist, fragt Mendel.

Im zweiten Kapitel werden die aktuellen Auseinandersetzungen betrachtet: Im Streit um die Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) haben sich endgültig zwei Lager gebildet. »In der einen Ecke: die bedingungslosen anti-antisemitischen Israel-Groupies, die Israel nur als Land der Holocaust-Überlebenden sehen. In der anderen Ecke: die eingefleischten, postkolonialen Palästina-Ultras, die in Israel einen Kolonialstaat imaginieren, einen westlichen Fremdkörper in Nahost.« Zwei gegensätzliche Definitionen von Antisemitismus, öffentliche Diffamierungen und Kündigungen von palästinensischen Menschen in Deutschland (wie der Fall der im Jahr 2021 abgesetzten WDR-Journalistin Nemi El-Hassan), der ablehnende Bundestagsbeschluss zu BDS 2019, öffentliche Boykottaufrufe auch gegen Mendel und die Bildungsstätte Anne Frank, der Rücktritt des Direktors des Jüdischen Museums Berlin, die Debatte um Achille Mbembe, die antisemitischen Bilder auf der Documenta fifteen – das sind die Stationen des Konfliktes um die BDS-Kampagne in Deutschland. Mendel weist darauf hin, dass diese Kampagne, die er ablehnt, eben nicht, wie regelmäßig behauptet, antisemitisch sei. »Das Schlagwort BDS wird oft nur gerufen, um alle Formen von Boykott als antisemitisch zu brandmarken.«

Jetzt nimmt das Buch, das bisher wirklich zu einer Versachlichung der Debatte beigetragen hat, eine andere Richtung. Im vierten Kapitel zur Erinnerungskultur und zum Neuen Historikerstreit schlägt sich Mendel eindeutig auf eine der beiden Seiten. Er spricht sich für die Singularitätsthese aus und wird nun Teil des Streites, ohne dass von ihm neue Erkenntnisse, Perspektiven oder ähnliches präsentiert werden.

Die Geschichte der positiven oder negativen Positionierung zu Israel von links schildert er im dritten Kapitel anhand des Gegensatzes zwischen antiimperialistischen und antideutschen Gruppen, später werden auch die postkoloniale und die LGBTQ-Bewegung kritisiert. Da Mendel jetzt selbst antisemitische und antiisraelische Argumente vermischt, wird die Beurteilung der genannten Vorfälle und Veröffentlichungen für die Lesenden schwierig. Es bleibt eine Leerstelle. Wo sind die linken deutsch-jüdischen Menschen, wo ist etwa Rolf Verleger? Seine Auseinandersetzung mit dem Zentralrat der Juden über die israelische Politik enthält alles, was auch die aktuelle Debatte bestimmt.

Dies verhandelt Mendel unter »Jüdisch-israelische Kronzeugen«. Er übernimmt die Argumente zweier deutscher Soziologen, die behaupten: »Die Verwendung (vermeintlicher) jüdischer Kronzeug*innen als ›gute Juden‹ ist seit alters her vielfach geübte Praxis der Antisemit*innen.«

Peter Gingold, Kurt Goldstein und Esther Bejarano als Stichwortgeber antiisraelischer Deutscher? Das kann so nicht stimmen. Mendels Buch enthält beides: viele sachliche Argumente, aber immer auch die ausschließende Gegenposition.

Rede zum 8. Mai 2023 auf dem Friedhof Norrenberg

8. Mai 2023

Von Sebastian Schröder, Kreissprecher der VVN-BdA Wuppertal

Sehr geehrte Damen und Herren

Zum 38. Mal stehen wir am 8. Mai an den Gräbern der im Wuppertaler Osten ermordeten sowjetischen und polnischen Zwangsarbeiter:innen.

Wir trauern.

Aber wir mahnen auch.

Das Berufsinformationszentrum BIZ Wuppertal lädt die Bundeswehr in drei Tagen, am 11. Mai 2023, ein, um mit harmloser Sprache junge Menschen für den Dienst in der deutschen Armee zu gewinnen. Die Bundeswehr ist eine der wenige Armeen, die Minderjährige anwirbt. Die Friedensbewegung stellt die Parole „Kein Werben fürs Sterben“ dagegen. Auch die VVN-BdA Wuppertal lehnt die Anwerbung 17-Jähriger Menschen für den direkten und indirekten Kriegseinsatz ab!

Für welche Armee würden sich die jungen Menschen zum Töten und Sterben verpflichten?

Die Bundeswehr trägt mit unverhohlenem Stolz das sogenannte Eiserne Kreuz als Hoheitszeichen. Einige der zentralen Erzählungen des deutschnationalen Weltbildes werden durch diesen Orden symbolisiert.

Der offene Bezug auf die Traditionen des preussischen und wilhelminischen Militarismus finden sich 2023 nicht nur im sogenannten Eisernen Kreuz.

Das Wachbatallion der Bundeswehr ist der bekannteste Truppenteil der Bundeswehr. Diese Soldat:innen sind prominent, weil sie bei allen Staatsempfängen repräsentieren, bei Gelöbnissen auftreten und auch die sogenannten Zapfenstreiche durchführen. Der unmittelbare Schutz der Bundesregierung ist ihre zentrale militärische Aufgabe.

Das Wachbatallion bezieht sich in vielen Dingen auf die Zeit vor dem 8. Mai 1945. So wird bei den Vorführungen das berüchtigte deutsche Gewehr benutzt, das sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg im Einsatz war. Beim Zapfenstreich werden dunkle Stahlhelme, Mäntel und Stiefel in Art der Wehrmacht getragen. Fackeln gehören zur Inszenierung, die altbekannten Befehle wie „Helm ab zum Gebet!“ gellen über die Plätze. Das Wachbatallion ist schon lange zu hören bevor es erscheint, denn sie treten mit der alten Marschmusik auf.

Nicht nur das Auftreten und die Ausrüstung, auch das Abzeichen kommt aus der Vergangenheit. Es ist der Buchstabe W in gotischer Schreibweise. Und die Ahnenreihe, in der sich das Wachbatallion der Bundeswehr sieht, geht auf das preussische Militär zu Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. Als Truppenteil zum Schutz der preussischen Könige eingesetzt, gilt das sogenannte 1. Garde-Regiment zu Fuß als Vorläufer. Alle preussischen Prinzen wurden hier ab dem Alter von 10 Jahren zu Soldaten gedrillt, auch weil die sogenannte Garde immer direkt neben dem Herrscherhaus stationiert war. Das Wachbatallion sieht sich sogar in der bis 1675 zurückführenden Linie des preussischen Militärs, der sogenanten „Langen Kerls“. Seitdem wird das Motto „Semper talis“ verwendet, bis heute.

Wir wissen, wofür die preussische Armee, das kaiserliche Heer, für 12 Jahre Reichswehr und dann ab 1935 Wehrmacht steht:

für eine autitäre und obrigkeitshörige Gesellschaft, für Militarismus; Aufrüstung und dann natürlich auch für Aggression und Krieg. Das Feldgrau der deutschen Armee bis 1945 steht gegen Demokratie und Zukuft. Im Feldgrau lebt die schlechte deutsche Vergangenheit.

Wir bitten, die Video-Beiträge auf den beiden Accounts auf Instagramm mit den Namen „Bundeswehr“ und „Bundeswehr Exkusive“ anzuschauen. Im Internet kann Jede/r sehen, wie die Bundeswehr ist.

Kurt Tucholsky: Drei Minuten Gehör (1922)

Drei Minuten Gehör will ich von euch, die ihr arbeitet -!

———————————

Von euch, die ihr den Hammer schwingt,

von euch, die ihr auf Krücken hinkt,

von euch, die ihr die Feder führt,

von euch, die ihr die Kessel schürt,

von euch, die mit den treuen Händen

dem Manne ihre Liebe spenden –

von euch, den Jungen und den Alten -:

Ihr sollt drei Minuten innehalten.

Wir sind ja nicht unter Kriegsgewinnern.

Wir wollen uns einmal erinnern.

———————————–

Die erste Minute gehört dem Mann.

Wer trat vor Jahren in Feldgrau an?

Zu Hause die Kinder – zu Hause weint Mutter …

Ihr: feldgraues Kanonenfutter -!

Ihr zogt in den lehmigen Ackergraben.

Da saht ihr keinen Fürstenknaben:

der soff sich einen in der Etappe

und ging mit den Damen in die Klappe.

Ihr wurdet geschliffen. Ihr wurdet gedrillt.

Wart ihr noch Gottes Ebenbild?

In der Kaserne – im Schilderhaus

wart ihr niedriger als die schmutzigste Laus.

Der Offizier war eine Perle,

aber ihr wart nur „Kerle“!

Ein elender Schieß- und Grüßautomat.

„Sie Schwein! Hände an die Hosennaht -!“

Verwundete mochten sich krümmen und biegen:

kam ein Prinz, dann hattet ihr stramm zu liegen.

Und noch im Massengrab wart ihr die Schweine:

Die Offiziere lagen alleine!

Ihr wart des Todes billige Ware …

so ging das vier lange blutige Jahre.

Erinnert ihr euch?

———————————-

Die zweite Minute gehöre der Frau.

Wem wurden zu Haus die Haare grau?

Wer schreckte, wenn der Tag vorbei,

in den Nächten auf mit einem Schrei?

Wer ist es vier Jahre hindurch gewesen,

der anstatt in langen Polonaisen,

indessen Prinzessinnen und ihre Gatten,

alles, alles, alles hatten – – ?

Wem schrieben sie einen kurzen Brief,

daß wieder einer in Flandern schlief?

Dazu ein Formular mit zwei Zetteln …

wer mußte hier um die Rente betteln?

Tränen und Krämpfe und wildes Schrein.

Er hatte Ruhe. Ihr wart allein.

Oder sie schickten ihn, hinkend am Knüppel,

euch in die Arme zurück als Krüppel.

So sah sie aus, die wunderbare

große Zeit – vier lange Jahre …

Erinnert ihr euch -?

—————————————–

Die dritte Minute gehört den Jungen!

Euch haben sie nicht in die Jacken gezwungen!

Ihr wart noch frei, Ihr seid heute frei!

Sorgt dafür, daß es immer so sei!

An euch hängt die Hoffnung. An euch das Vertraun

Von Millionen deutschen Männern und Fraun.

I h r sollt nicht stramm stehn. I h r sollt nicht dienen!

Ihr sollt frei sein! Zeigt es ihnen!

Und wenn sie euch kommen und drohn mit Pistolen -:

Geht nicht! Sie sollen euch erst mal holen!

K e i n e Wehrpflicht! K e i n e Soldaten!

K e i n e Monokel-Potentaten!

K e i n e Orden! K e i n e Spaliere!

K e i n e Reserveoffiziere!

Ihr seid die Zukunft!

——————————————–Euer das Land!

Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband!

Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei!

Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei

Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg -!

Nie wieder Krieg !

Gedichte gegen den Krieg, herausgegeben von Kurt Faßmann, München 1961, Seite 122 ff.

Geburtstagsveranstaltung für Wolfgang Abendroth (1906-1985)

8. April 2023

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes –
Bund der Antifaschisten und Antifaschistinnen
Kreisvereinigung Wuppertal

Geburtstagsveranstaltung
für Wolfgang Abendroth
(1906-1985)
Dienstag, 2. Mai 2023
19.00 Uhr

Alte Feuerwache, Gathe 6
42107 Wuppertal-Elberfeld
Der Eintritt ist frei.
Wir begrüßen an diesem Abend ganz herzlich:
Elisabeth Abendroth die Tochter von Wolfgang und Lisa Abendroth
Sie wird aus dem Leben der Familie Abendroth und natürlich aus dem wissen-
schaftlichen und politisch kämpferischen Leben ihres Vaters als Widerstandskämp-
fer gegen die Nazis berichten.
Und wir begrüßen
Prof. Dr. Georg Fülberth Marburg,
dessen wissenschaftliches und politisches Leben eng mit der „Marburger Schule“
verbunden ist. Wir haben ihn bereits in zahlreichen Veranstaltungen in Wuppertal
erleben können.
Moderation:
Dirk Krüger (Sprecher der VVN-BdA Kreisvereinigung Wuppertal)

Eine Veranstaltung von VVN-BdA, Landesvereinigung Nordrhein-Westfalen und VVN-BdA Kreisvereinigung Wuppertal.
Sie wird unterstützt von VVN-BdA Kreisvereinigung Düsseldorf, Freidenker Wuppertal e.V., NATURFREUNDE DEUTSCHLANDS, Ortsgruppe Wuppertal e.V., SDAJ Gruppe Wuppertal, SDS Wuppertal, Humanistischer Verband – Gemeinschaft Wuppertal/Bergisches Land
VVN-BdA Wuppertal, c/o Dirk Krüger, Zietenstraße 25, 42281 Wuppertal, Mail: krueger.wtal.de

Eine (unvollständige) biografische Skizze zu
Wolfgang Abendroth
Wir ehren mit der Veranstaltung einen Politischen Wis-
senschaftler, einen Sozialisten, einen Demokraten und
„einflussreichen Außenseiter“. Habermas verlieh ihm
den Titel „Partisanenprofessor im Lande der Mitläufer“
Wolfgang Abendroth wurde am 2. Mai 1906 im damals
noch selbständigen Elberfeld (heute Wuppertal) in der
Parkstraße 22 (seit 1935 umbenannt in Malerstraße)
geboren. Er besuchte nach dem Umzug der Familie nach
Frankfurt am Main das Realgymnasium und studierte
anschließend Rechtswissenschaften in Frankfurt, Tübin-
gen und Münster. Durch das Erlebnis des Ersten Welt-
krieges, der Novemberrevolution, der Ermordung von
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wird Abendroth
früh in der Arbeiterbewegung aktiv. 1920 wird er Mit-
glied im KJVD, etwas später in der KPD und arbeitet in
der „Roten Hilfe“ mit. 1928 wird er wegen Kritik am
„ultralinken“ Kurs und der „Sozialfaschismusthese“ aus
der KPD ausgeschlossen. Er gehörte in der Weimarer
Republik dem linken Flügel der Arbeiterbewegung an.
Den autobiografischen Gesprächen, die 1976 als Buch
erschienen, gab er folgerichtig den Titel „Ein Leben in
der Arbeiterbewegung“.
1933 erhielt er Berufsverbot; 1935 musste er im Aus-
land – in Bern – promovieren. Im Widerstand gegen den
Faschismus setzte er sich vor allem für das Zusammen-
wirken, für die „Einheitsfront“ zwischen SPD und KPD
ein. Im Februar 1937 wurde er von der Gestapo ver-
haftet und brutal gefoltert. Die Folter wirkte noch bis zu
seinem Tode. Wegen „Hochverrats“ verurteilt verbrach-
te er vier Jahre im Zuchthaus Luckau. Ende 1943 wurde
er zum „Strafbataillon 999“ eingezogen und in Griechen-
land eingesetzt. Dort lief er zur griechischen Wider-
standsbewegung ELAS über und wurde am Ende des
Krieges von den Engländern in einem Lager für Kriegsge-
fangene im Ägypten interniert.
Erst 1946 kam er nach Deutschland zurück. Jetzt heira-
tete er Lisa Hörmeyer. Die Familie Abendroth ging zu-
nächst in die SBZ und Wolfgang übernahm eine Profes-
sur für Staatsrecht in Leipzig und Jena.
1948 ging die Familie in den Westen. Abendroth war
1946 der SPD beigetreten und wurde 1949 Gründungs-
rektor der gewerkschaftsnahmen „Hochschule für Ar-
beit, Politik und Wirtschaft“ in Wilhelmshaven. 1954
schrieb er das Buch „Die deutschen Gewerkschaften“.
Mit der Berufung von Wolfgang Abendroth auf einen
Lehrstuhl für „wissenschaftliche Politik“ im Jahre 1951
wurde das Institut für Politikwissenschaft der Universi-
tät Marburg gegründet. Abendroth prägte das wissen-
schaftliche Profil des Marburger Instituts (“Abendroth-
Schule“) weit über seine Emeritierung im Jahre 1972
hinaus.
In dieser Zeit war er wohl der einzige unter den bundes-
deutschen Hochschullehrern, der sich zum Marxismus –
als wissenschaftliche Methode – bekannte. Die „Theorie
eines kritisch erneuerten Marxismus“ begriff er als
„Theorie des sozialistischen und demokratischen Huma-
nismus, wie sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts durch Karl
Marx und Friedrich Engels in der Gesellschaft des libera-
len Kapitalismus entwickelt wurde“.
Seit der Gründung der Bundesrepublik hatte er sich
öffentlich gegen die Politik der Remilitarisierung gewandt
und die Gewerkschaften in ihren Auseinandersetzungen
um das Betriebsverfassungsgesetz 1952 unterstützt. Als
Jurist engagierte sich Abendroth in der Arbeiterbewe-
gung, der er nützlich sein könnte. Seit den 50er Jahren
hatte er das KPD-Verbot von 1956 öffentlich kritisiert und
die Kampagnen der außerparlamentarischen Opposition
– vor allem in der Auseinandersetzung um die Notstands-
gesetze, später in der Auseinandersetzung um den soge-
nannten „Radikalenerlass“ – unterstützt. So wurde er –
vor allem von der konservativen Presse – als „Mentor“
bzw. als eine Art „Übervater“ der 68erBewegung stili-
siert.
Als Wissenschaftler war Abendroth sehr streng. Er be-
stand darauf, dass die politische Theorie des Marxismus
immer neu theoretisch und praktisch erarbeitet werden
müsse und der Fundierung durch „Realanalyse“ (das war
eines seiner Lieblingswörter) bedürfe. Ohne fundierte
historische Kenntnisse, ohne die Präzision der juristi-
schen Analyse und schließlich ohne gründliche Analyse
der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Ver-
hältnisse bleibe die Theorie abstrakt, sie verkomme zu
bloßer Ideologiekritik, ohne jede Verbindung zur Praxis
der sozialen und politischen Auseinandersetzungen.
Diese Maßstäbe vermittelte er seinen Schülern, darunter
der außerordentlich großen Zahl seiner Doktoranden, die
unter anderem über den Faschismus, über die Geschichte
der Arbeiterbewegung, über Ideengeschichte der Politik
oder über Parteien, Wahlen und lokale Politik forschten.
Mit seinen Schriften zur Geschichte der deutschen und
europäischen Arbeiterbewegung leistete Abendroth Pio-
nierarbeit auf einem interdisziplinären Forschungsfeld,
das bis dahin in der Bundesrepublik – im ideologischen
Klima des Kalten Krieges – von der Geschichtswissen-
schaft, der Politikwissenschaft, aber auch der Kulturge-
schichte weitgehend ignoriert worden war. Seine
„Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung“
wurde – ebenso wie die „Einführung in die politische Wis-
senschaft“ (1968) – in zahlreiche Sprachen übersetzt und
wird noch heute als Standardwerk benutzt.
Dass Abendroth eine Persönlichkeit mit außerordentli-
cher Ausstrahlungskraft war, wurde von seinen Freunden
und Feinden anerkannt. Abendroth war ein großartiger
Redner, dessen Vorlesungen meist überfüllt waren – er
war rührend um seine Assistenten und Schüler bemüht.
Seine Wirkung ist folglich nicht allein über die große Zahl
der Professoren, Lehrer, Journalisten, aber auch der Ge-
werkschaftsfunktionäre und Berufspolitiker zu erschlie-
ßen, die sich – obwohl unterschiedlichen politischen Posi-
tionen zuzurechnen – als Schüler von Wolfgang Abend-
roth bekennen.
Wolfgang Abendroth war ein großartiger, kluger und kluger und en-
gagierter Humanist!
Dirk Krüger

Pfadabhängigkeiten

11. März 2023

Von Sebastian Schröder

Über den Paradigmenwechsel in der deutschen Rüstungsindustrie

Olivier Kempf analysiert in der aktuellen Le Monde Diplomatique den Krieg in der Ukraine als Kampf gleichwertig ausgerüsteter Gegner in einem »symetrischen Krieg«, geführt auch mit den Waffen des 21. Jahrhunderts. Der Einsatz von Drohnen und Satelliten zu elektronischer Kampfführung führt zum Stellungskrieg und zur Materialschlacht, zum Kräftegleichgewicht ohne überlegene Seite. Die Handlungen des Gegners sind durch die intensive Aufklärung bekannt, im Krieg in der Ukraine gibt es keine militärischen Überraschungen.

Auf eine qualitativ neue Stufe möchten die -NATO und die EU ihre Armeen seit 2012 heben: Sie streben eine massive Überlegenheit durch die komplette digitale Vernetzung zusammen mit modernster Waffentechnik an. Die angestrebte Überlegenheit würde in letzter Konsequenz Unbesiegbarkeit bedeuten, da die digitalisierten NATO-Armeen dem Gegner immer mehrere Schritte voraus wären.

Den Weg dieser Aufrüstung in Deutschland, der EU und der NATO beschreibt Jürgen Wagner in seinem Buch »Im Rüstungswahn – Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung«. Der Historiker und Politologe ist Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung Tübingen und klärt sachkundig über den Verlauf der Aufrüstung, die Akteure und ihr Zusammenspiel, aber auch über Konflikte bis zur »Zeitenwende« auf und beschreibt dann die Rüstungsexplosion in Deutschland durch das Sondervermögen vom Februar 2022.Der Autor verfolgt die Entwicklung der Bundeswehr, die ab 1992 ihren Schwerpunkt auf Auslandseinsätze legt und deshalb mit mobilen und leichten Formationen im wesentlichen Techniken und Mittel der sogenannten Aufstandsbekämpfung anwendet. Seit 2014 wird die Aufrüstung der NATO-Länder als politisches Projekt, gerichtet gegen Russland, offen vertreten. Das hat auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Vorfeld der Münchner »Sicherheitskonferenz« jüngst erklärt.

Wagner zeigt auf, wie der im »Münchner Konsens« endgültig formulierte deutsche Aufrüstungsplan entstanden ist. Ab dem Jahr 2011 formierten sich die Kräfte, die der deutschen Armee endlich wieder die Fähigkeiten für den großen kontinentalen Krieg zurückgeben sollten. Als Reaktion auf Außenminister Guido Westerwelles unmissverständlich vertretene militärische Zurückhaltung Deutschlands im Bombenkrieg gegen Libyen wurden die Weichen für beharrliches und systematisches Rüsten gestellt. »Damit war der Paradigmenwechsel eigentlich vollzogen, es brauchte nun aber noch jemanden, der ihn der Öffentlichkeit verkaufen konnte. Diese Person war mit dem ohnehin extrem militäraffinen damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck auch schnell gefunden.«

Seit über einem Jahrzehnt folgt die Militärplanung von NATO, EU und Bundeswehr dem Ziel des »Aufbaus digitalisierter Großverbände«. Dabei steht für Deutschland die europäische Zusammenarbeit mit Frankreich zur Vernetzung und Vergrößerung der nationalen Rüstungsindustrien im Mittelpunkt, um über große Produktionsserien von Waffen und Waffensystemen zugleich Output und Profitabilität zu erhöhen. Mit der Aufrüstung geht also die Erhöhung der Rüstungsexporte einher.

»Vor allem drei deutsch-französische Großprojekte sollen sich als europaweite Standardprojekte durchsetzen und von dort aus die globalen Rüstungsmärkte erobern: die bewaffnungsfähige Eurodrohne (MALE RPAS), das Luftkampfsystem der Zukunft (FCAS) sowie das Kampfpanzersystem der Zukunft (MGCS).« Allerdings ist unklar, ob diese Waffensysteme überhaupt fertiggestellt werden können. 2021 war sogar ungewiss, ob die Projekte weiter verfolgt werden können. »Die Umsetzung der mit dem Münchner Konsens artikulierten Weltmachtansprüche drohte zu scheitern oder zumindest auf halbem Wege stecken zu bleiben – bis der russische Angriffskrieg die Zeitenwende einläutete.«

Mit der Sondervermögen genannten Rüstungsfinanzierung werden Pfadabhängigkeiten geschaffen, die über 2026 hinaus wirken werden. Das Sondervermögen läuft 2026 aus, und dann kommen die großen Verteilungskonflikte auf die Gesellschaft zu: »Die Entscheidungen, ob es zu einer Verstetigung der Zeitenwende kommen wird, dürften spätestens 2026 getroffen werden. Dann ist das Sondervermögen aufgebraucht und die Frage einer dauerhaften Erhöhung der deutschen Militärausgaben um 25 bis 30 Mrd. Euro wird im Raum stehen.«

Aber nicht nur um »Butter oder Kanonen« geht es, auch um »olivgrün oder feldgrau«.

Was passiert, wenn die Einführung komplexer multinationaler Waffensysteme an nationaler Konkurrenz, politischem Kalkül, Technik oder Finanzierung scheitert? Wird in Deutschland die westliche »olivgrüne« Militärtradition bleiben – oder wird die mächtige Tradition des preußisch-kaiserlichen Militarismus wiederkehren? Dass »feldgrau« noch lebt, wissen wir!

Jürgen Wagner hat ein unverzichtbares Handbuch geschrieben, in dem das ganze Panorama der Aufrüstung sichtbar wird – unbedingt lesen!

Vor 90 Jahren – Machtübertragung an die NSDAP

30. Januar 2023

Pressemitteilung der VVN-BdA Wuppertal vom 30. Januar 2023

In Wuppertal wird der 90. Jahrestag der Machtübertragung an die NSDAP mit zahlreichen Veranstaltungen begangen.

Geschildert und damit gedacht werden der entsetzlichen Ereignisse in unserer Stadt unmittelbar nach dem 30. Januar, der Verfolgungen („Barmer Blutsonntag“) und Tötungen der politischen Gegner (Ermordung von Oswald Laufer), und schliesslich der systematischen Unterdrückung durch die Errichtung des Konzentrationslagers Kemna.

Und gedacht wird dem ersten antisemitischen Mord in Wuppertal an Alfred Meyer. Er wurde entführt und gefoltert. Seine Leiche wurde in der Bevertalsperre gefunden, eingenäht in einen Sack.

Die Verheerungen, die der Faschismus an der Macht in der jüdischen Community in Elberfeld unmittelbar nach dem 30. Januar anrichtete, wird in zwei Predigten vom April 1933 von Joseph Norden sichtbar, dem Rabbinerder Synagoge Elberfelds in der Genügsamkeitstraße.

Zu den ersten Bücherverbrennungen des faschistischen Deutschland zählen die gleichzeitigen in Elberfeld und Barmen am 1. April 1933. Alle Schüler:innen der höheren Schulen beider Stadtteile zogen, angeführt von ihren Lehrer:innen und mit selbstgebastelten Hetzplakaten ausgestattet, in Sternmärschen in die Ortszentren und verbrannten die in Bollerwagen mitgeführten Bücher.

Während in Elberfeld eine Gedenktafel an diesen frühen Schritt in Richtung des Mordes an den Jüd:innen erinnert, wird am Wuppertaler Rathaus in Barmen gerade die zivilgesellschaftliche Initiative für einen angemessenen Gedenkort ausgebremst und behindert. Obwohl das Konzept als auch die Finanzierung der Gedenktafel durch Private gesichert sind.

Doch nicht nur Pogrom und politischer Mord dürfen die Sicht auf den weltgeschichtlichen 30. Januar 1933 bestimmen. Nicht nur Wahlen und politische Auseinandersetzung haben den Faschismus an die Macht gebracht. Ohne die Unterstützung weiter Teile der einflussreichsten Männer der Wirtschaft hätte die NSDAP nicht zur schlagkräftigen Partei mit der Bürgerkriegsarmee SA werden können, und ohne die Entscheidungen dieser Männer wäre Hitler nicht die Regierung übertragen worden.

Diebstahl und Ausbeutung, Unterdrückung und Expansion, all dem sind im Faschismus keine Grenzen mehr gesetzt. Immer weiter radikalisieren sich das politische und das ökonomische Handeln, zunächst durch die Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft, dann mit dem Angriff auf Polen, dem Beginn des Zweiten Weltkrieges.

Europas grösstes Chemieunternehmen, die IG Farben, hat sowohl die Aufrüstung vorangetrieben, als auch in den besetzten Ländern geraubt. Und dann errichtet die IG Farben in Auschwitz- Monowitz ein eigenes Konzentrationslager, zur chemischen Produktion für den Krieg, die Arbeitssklaven werden gemietet von der SS. Diese vielen Menschen werden vernichtet durch Arbeit.

Die IG Farben war das Lebenswerk von Carl Duisberg, geboren in Barmen und als Chemiker seit Beginn des Jahrhunderts erster Mann bei Bayer in Elberfeld. Schon im Ersten Weltkrieg hat er die Giftgaserforschung und – produktion vorangetrieben, den Menschenraub durch Zwangsarbeit etabliert und den unbeschränkten U-Boot-Krieg gefordert. Als Mitglied der rechten Deutschen Vaterlandspartei stellte er die radikale Position in der Kriegszieldebatte und war eng mit Ludendorff verbandelt.

Nach 20 Jahren konnte er schliesslich seine Pläne für einen Zusammenschluss aller grossen deutschen Chemieunternehmen 1925 umsetzen, und Europas aggessiven Chemiegiganten IG Farben schaffen.

Und so liegen die Wurzeln von Monowitz bei uns in Wuppertal – deshalb fordert die VVN-BdA Wuppertal heute, am 30. Januar 2023, die städtischen Institutionen, die Parteien, die Organisationen, die Initiativen und Vereine auf, die Ausstellung des Fritz-Bauer-Instituts Frankfurt über Monowitz nach Elberfeld zu holen.

https://www.fritz-bauer-institut.de/ausstellungen/die-ig-farben-und-das-konzentrationslager-buna-monowitz

Wie lange noch die „Mohrenstraße“ in Wuppertal?

20. Januar 2023

Erst kamen die Pfeffersäcke – Rezension zu „Deutschland, deine Kolonien“

Von Sebastian Schröder

„Deutsch-Südwestafrika sollte zur Blaupause eines Rassestaates werden mit einer deutschen Führungsschicht an der Spitze und einem Heer rechtloser schwarzer Arbeiterinnen und Arbeiter.“ [Hoffmann, in: Schnurr/Patalong 115]So Ruth Hoffmann im 2022 erschienenen Buch „Deutschland, deine Kolonien“ – Geschichte und Gegenwart einer verdrängten Zeit, herausgegeben von Eva-Maria Schnurr und Frank Patalong.

Bereits 2021 als Zeitschrift in der Reihe „SPIEGEL GESCHICHTE“ herausgegeben, schreiben hier 18 Journalist:innen und Wissenschaftler:innen über den deutschen Kolonialismus. Das populärwissenschaftliche Buch gibt einen Überblick über alle kolonialen Anläufe seit dem 16. Jahrhundert. Es enthält eine zeitgenössische Landkarte aller Kolonien des Kaiserreiches im Buchrücken, in einem Kompendium werden die 9 Gebiete deutscher Besetzung in Kurzfassung beschrieben mittels zentraler gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und historischer Kategorien. Die Durchdringung der Opferländer und die Intensität der Unterwerfung werden sichtbar. Eine Zeittafel reiht die Ereignisse von 1528 bis 1945 auf. Die Chronik und das Kompendium machen das Buch zu einem wichtigen Beitrag für das Verständnis der historischen Tatsachen, die in der Öffentlichkeit der BRD kaum präsent sind. Das Buch schafft auch Grundlagen für die Diskussion um die Singularität des Holocaust, für die Beurteilung des „Neuen Historikerstreites“ zwischen Postkolonialismus-Studien einerseits und Holocaustforschung auf der anderen Seite.

Deutschland, deine Kolonien“

Am Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die vom Kaiserreich besetzten Gebiete ihre grösste Ausdehnung in Afrika, im Pazifik und in China und waren fest in der Hand der deutschen Wirtschaft, der Verwaltung und des Militärs. Aber schon seit Beginn der Neuzeit waren Deutsche an kolonialer Ausbeutung und Bereicherung beteiligt.

Die Handelsfamilie der Welser aus Augsburg scheiterte zwar 1528 bei der Etablierung eigener Stützpunkte in Venezuela und bei der Suche nach Gold und Bodenschätzen, konnte aber in den Sklavenhandel einsteigen. Im 17. und 18. Jahrhundert waren es Kaufleute aus Bremen und Hamburg, die unter dänischer Flagge im Dreieckshandel reich wurden. Die Dimension des Handels mit Menschen aus Afrika wird sichtbar an der Zahl der „Kammermohren“ [vgl. Klawitter , in: Schnurr/Patalong 44 f.]: die Existenz von mehr als 200 dieser schwarzen Sklaven an deutschen Höfen und Herrenhäusern ist mittlerweile belegt.

Grösster Händler wurde das Kurfürstentum Brandenburg, Keimzelle des Staates Preußen: „Mittels der 1682 gegründeten „Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie“ wurden in den folgenden Jahrzehnten etwa 30 000 Afrikaner in die Karibik verschleppt. (…) An der Menschenhandelskompgnie beteiligte sich auch das Kurfürstentum Köln.“ [Klawitter, in: Schnurr/Patalong 41]

Handelsstützpunkte und christliche Missionsgesellschaften markierten im deutschen Namen während des 18. und 19 Jahrhunderts Gebiete, auf die mit der Gründung des deutschen Nationalstaates ab 1871 zugegriffen wird: Kamerun, Togo, Samoa, Neuguinea.

Umfassend und gründlich wird 1884 auf der Kongo-Konferenz in Berlin zwischen den Kolonialmächten die Aufteilung „freier Gegenden“ verhandelt und Deutschlands Imperium entsteht. Direkte Herrschaft wird nun ausgeübt am Golf von Guinea (Togo), in Namibia (Deutsch-Südwest), Zentralafrika (Kamerun), Tansania-Ruanda-Burundi-Mosambik (Deutsch-Ostafrika), Pazifik (Deutsch-Neuguinea). Wenig später kommen noch Polynesien (Deutsch-Samoa) und in China Hankou, Tientsin und Kiautschou dazu.

Das Buch zeigt in vielen Artikeln offen die Praxis kolonialer Unterdrückung. Berüchtigt war die sexuelle Ausbeutung junger Frauen, etwa durch Carl Peters in Ostafrika: „Neben etlichen anderen ließ Peters die junge afrikanische Frau Jagodia, mit der er ein sexuelles Verhältnis unterhielt, und seinen einheimischen Diener Mabruk aufhängen.“ [Klußmann, in: Schnurr/Patalong 52 f.]

Die exzessive Anwendung der Prügelstrafe wurde in den deutschen Kolonien etabliert und von noch extremeren Verbrechen wird vielfach berichtet: „Besonders Gouverneur Jesko von Puttkamer presste seine Kolonie [Kamerun] ab 1895 brachial aus. Angeblich „herrenloses Land“ wurde per kaiserlicher Verordnung in deutsches „Kronland“ umgewandelt.

Die Deutschen beschränkten den Besitz afrikanischer Familien auf höchstens zwei Hektar. Sie rissen Häuser entschädigungslos nieder, legten Dörfer zusammen, um größere Landflächen zu schaffen, und zogen die Douala zur Zwangsarbeit ein. Wer aufbegehrte, wurde in Ketten gelegt oder ausgepeitscht.

Puttkamers Mann fürs Grobe war der Offizier Hans Dominik. Er organisierte „Strafexpeditionen“, bei denen Kinder ertränkt wurden, und ließ sich abgeschlagene Köpfe Aufständischer vor die Füße legen.“ [Gunkel, in: Schnurr/Patalong 142 f.]

Gegen den legitimen Widerstand der Bevölkerung in „Deutsch-Südwest“, angeführt vom charismatischen Nama Hendrik Witbooi, wurde ab 1904 die ganze Kraft militärischer Mittel angewendet, systematisch und mit dem offen ausgesprochenen Zieles der Vernichtung der Herero und Nama. Völkermord als deutsche Strategie des Generalleutnant Lothar von Trotha bedeutete den Tod aller Indigenen durch Verdursten in der Wüste.

Ein weiterer Artikel beschreibt die skrupellosen Menschenversuche von Robert Koch bei der Bekämpfung der Schlafkrankheit. Er scheiterte bei der Suche eines wirksamen Medikamentes, und viele Menschen sind an den von ihm verursachten Vergiftungen gestorben. [Grolle, in: Schnurr/Patalong 158 ff.]

Dem Rassismus in Deutschland sollte mit den „Menschenzoos“ eine volkstümliche Basis gegeben werden. Zunächst wurden Indigene als Attraktion von Geschäftemachern, in Deutschland von Carl Hagenbeck, vorgeführt. 1896 errichtete der wilhelminische Staat in Berlin die „1. Deutsche Colonial-Ausstellung“: „Auf größerem Areal als die Weltausstellungen in Paris und London präsentierten 3750 Aussteller auf 917 000 Quadratmetern, was sie zu bieten hatten: Das Gewerbe zeigte die Früchte kolonialer Aktivitäten, während Nachbauten kolonialer Szenerien für die damals so gefragte „Exotik“sorgten. Allein „Kairo“ brachte es inklusive Pyramidenattrappen auf 36 000 Quadratmeter; 400 Menschen, nicht alle von ihnen tatsächlich aus dem arabischen Raum, belebten diese Kulisse.“ [Patalong, in: Schnurr/Patalong 81]

Als pseudowissenschaftliche Rechtfertigung des Rassismus entstand die „Völkerkunde“, direkter Vorläufer der mörderischen „Rassenkunde“, die im Faschismus zu so viel Unheil geführt hat. [vgl. Patalong, in: Schnurr/Patalong 121]

Die deutschen Kolonien wurden nach der Niederlage im 1. Weltkrieg 1919 an Frankreich und England abgetreten, in der Weimarer Republik standen sich starke Pro-Kolonialkräfte und schwache antikoloniale Kräfte gegenüber.

Die Nazis versuchten zwar ab 1933, die Verfechter:innen eines neuen deutschen Kolonialismus zu gewinnen, haben aber eine andere strategische Ausrichtung: die Eroberung des „Ostens“, den Vernichtungs- und Raubkrieg gegen die Sowjetunion. So bleiben koloniale Initiativen unbedeutend und das Thema spielt lediglich in der Goebbels-Propaganda eine Rolle. 1943 wird das „Kolonialpolitische Amt“ aufgelöst.

Abgeschlossen wird das Buch mit einem Blick in das Namibia der Gegenwart. [vgl. March, in: Schnurr/Patalong 200 ff.] „Wir wollen nur Gerechtigkeit“, diese Forderung ist nicht erfüllt. Die viefältigen Schwierigkeiten des Gedenkens verhindern die Wiedergutmachung des Unrechtes ebenso wie die geringen Entschädigungen für die Herero. Die BRD entzieht sich bis heute ihrer Verantwortung für die deutsche Geschichte.

Anmerkungen zu „Deutschland, deine Kolonien“

Während die aggressive Expansion des Handelskapitals beschrieben wird und so gezeigt werden kann, wie die Handelsprofite im Dreieckshandel durch den Transport und Verkauf von Menschen aus Afrika als Slaven realisiert wurden, fehlen im Buch Hinweise auf die zentralen ökonomischen Veränderungen in den grossen Nationen ab den 1870er Jahren. Ausgelöst durch die rasante Entwicklung der Produktivkräfte kam es nach Rudolf Hilferding zur Verschmelzung des Industrie- und des Bankkapitals zum Finanzkapital. Diese Monopolisierung zeigte sich als Konzentration und Zentralisation. Es geht um die „Geschichtsperiode von 1875 – 1914, die durch eine neuartige Expansion der europäischen Großmächte, der USA und später auch Japans gekennzeichnet war und schließlich in den Ersten Weltkrieg einmündete. Das besondere Ziel dieser Expansion war die Beherrschung überseeischer Warenmärkte und Kapitalanlagesphären und der gewaltsame Erwerb von Territorien in Übersee, von Kolonien.“ (Heininger, in: Bellamy/Heininger 1)

Dies war der Kern des klassischen Imperialismus und der bestimmende Grund für die Konkurrenz zwischen den Kolonialmächten. Die Aggression nach aussen benötigte Aufrüstung und Militarismus, und führte zu einem radikalisierten und verstetigtem Nationalismus. Gesteigerter Nationalismus forderte wiederum Aufrüstung und Konfrontation.

Jan Friedmann sieht dagegen den Kolonialismus „von unten“ wachsen: „Kolonialträumereien und Rassismus (…) entstanden lokal vor Ort – und fanden Rückhalt in der gesamten Gesellschaft. So ergriff die Sehnsucht nach imperialer Größe im Kaiserreich breite Schichten der Bevölkerung. Kaufleute und Angestellte, Großstädter und Landbewohner, Honoratioren und Handwerker begeisterten sich für die koloniale Idee.“ [Friedmann, in: Schnurr/Patalong 59]

Diese Erklärung ist ungenau, denn hier vermischt der Autor die spätere Phase der Verbreiterung der Kolonialbewegung mit dem Beginn der Werbung für den Kolonialismus. Eckard Conze beschreibt in „Schatten des Kaiserreichs“ die Wechselwirkungen zwischen dem Druck einer fordernden Minderheit und dem nachgebenden Staat: „Fortdauernde Wirkung gewann die Bismarck`sche Kolonialpolitik auch dadurch, dass sie entscheidend zum Wachstum und zur Radikalisierung der deutschen Kolonialverbände beitrug. Die ersten dieser in den späten 1870er und frühen 1880er Jahren gegründeten Organisationen waren nicht besonders mitgliederstark. Das änderte sich mit der Gründung des „Deutschen Kolonialvereins“ (1882) und der Gesellschaft für deutsche Kolonisation“ (1884) (…) Der Nationalismus dieser Mitglieder (…) fand in der Idee überseeischer Expansion neue Nahrung. Aus dem deutschen Anspruch auf den Status einer „Weltmacht“ speisten sich Forderungen nach einem Kolonialreich und damit nach einer global ausgreifenden imperialen Politik. Die kolonialen Erwerbungen der Jahre 1884 und 1885 hatten das Tor zu einer solchen Politik aufgestossen.“ [Conze: 181 f.]

Der Kolonialismus in der deutschen Gesellschaft des Kaiserreiches war ausserdem nur ein Betätigungsfeld aus dem Kreis vieler wirkmächtiger pressure groups, die alle reaktionäre Ziele verfolgten: „Der Bund der Landwirte war nicht der einzige nationalistische Agitationsverband, der sich vordergründig ein bestimmtes Interessse auf die Fahne geschrieben hatte – den Schutz der Landwirtschaft, den Flottenbau, die Heeresrüstung oder den deutschen Kolonialismus -, darüber hinaus und ganz allgemein aber einen radikalen Nationalismus vertrat.“ [Conze: 148]

Ab 1903 stand der „Alldeutsche Verband“, mit dem sich die rechteste Fraktion der Herrschenden die einflussreichste Lobby-Organisation in Deutschland geschaffen hatte, im Zentrum der Aktivitäten.

Die Kriegervereine, in denen sich überall in Deutschland die Veteranen und ehemaligen Soldaten organisierten, stellten unten die „Massenbasis für den gesellschaftlichen Militarismus“. [Conze: 152]

Dem Argument, dass der ursächliche Rückhalt für den Kolonialismus aus der gesamten Bevölkerung stamme, hält Conze entgegen: „Nicht die Unterschicht war Träger dieses radikalen Nationalismus, sondern die bürgerliche und kleinbürgerliche Mittelschicht, darunter zahllose Akademiker.“ [Conze: 148]

Es stimmt, mit dem Wilhelmismus wurde der Kolonialismus ein breit akzeptiertes Projekt.

Aber diese Begeisterung wurde – mit viel Ausdauer und Professionalität – gemacht und hat sich dann als Teil des sich immer weiter radikalisierenden Nationalismus entfaltet. Angelegt war die nationale Aggressivität aber schon mit der Reichsgründung 1871, denn es „entstand ein Reichsnationalismus, der machtstaatlich aufgeladen , nach außen konfrontativ und nach innen immer weniger liberal war.“ [Conze: 139] Erst haben die Multiplikator:innen getrommelt, die Vielen folgten später.

„Auch in der Mission waren Deutsche tätig, schon bevor es das formale deutsche Kolonialreich gab. (…) Die Mission bereitete der kolonialen Landnahme den Boden – vor Ort, aber auch weil sie Akzeptanz des Kolonialismus in der deutschen Gesellschaft erhöhte.“ Darauf weist der Historiker Sebastian Conrad im Interview hin (Conrad, in: Schnurr/Patalong: 28).

Erstaunlich ist deshalb, dass die christlichen Missionen lediglich anhand eines Artikel von Kokou Azamede über die Diskriminierung afrikanischer Missionare bei ihrer „Ausbildung“ in Deutschland bei der Norddeutschen Mission erwähnt werden [vgl. Azamede, in: Schnurr/Patalong 68 ff.].

Nur in der Zeittafel finden wir die vier grossen protestantischen Missionen aufgeführt: Dänisch-Englisch-Hallesche Mission, Rheinische Missionsgesellschaft, Norddeutsche Mission, Evangelisch-Lutherische Mission; daneben gab es noch viele kleinere Missionen.

Unter dem Deckmantel religiöser Sendung betrieben die Missionare eifriges und systematisches Sammeln von Herrschaftswissen (geographisch, sozial, ethnographisch, ökonomisch). Als unverzichtbare intellektuelle Vorhut schufen sie so die technische und ideologische Basis der späteren kolonialen Besetzung.

Die Rheinische Mission etwa war ein Zusammenschluss der Missionsvereine Elberfeld, Barmen und Köln im Jahr 1828. Unmittelbar nach der Gründung wurde im südlichen Afrika die erste Station „Wupperthal“ eröffnet. 1913 betrieb die Rheinische Mission 117 Stationen und 683 Filialen, aktiv waren „in Übersee“ 207 Missionare mit 154 Ehefrauen. [vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Rheinische_Missionsgesellschaft]

Seit 1971 ist die Rheinische Mission in der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM) aufgegangen, immer noch mit Sitz in Wuppertal, mit einem Museum auf der Hardt mit einem grossen ethnologischen Bestand. Vor knapp 200 Jahren fingen die Missionäre an, zu sammeln und nach Wuppertal zu bringen…

Götz Aly nennt die Unterdrückung durch die Deutschen im Pazifik den „blinden Fleck in der kolonialgeschichtlichen Debatte“. Und dies ist auch eine augenfällige Lücke des Buches.

Leider findet sich in „Deutschland, deine Kolonien“ zur pazifischen Region nur ein Interview mit dem Linguisten Peter Maitz über die Reste einer aus der Kolonialzeit stammenden veränderten deutschen Sprache [Saltzwedel, in: Schnurr/Patalong: 155 ff.]

Dabei gibt es mit dem Luf-Boot aus „Deutsch-Neuguinea“ im Humboldt-Forum ein imposantes Ausstellungsstück, anhand dessen die koloniale Unterdrückung ganz konkret gezeigt werden könnte. Könnte, aber nicht wird. Aly: „(…) plädiere ich dafür, zunächst einmal zu den Schauobjekten die jeweilige koloniale Geschichte zu erzählen. (…) Sie sollen sich ehrlich machen.“

[https://www.spiegel.de/kultur/deutscher-kolonialismus-in-der-suedsee-historiker-goetz-aly-ueber-die-zerstoerung-eines-paradieses-a-a4e4c3b8-b142-4b88-a5dd-749a1a9465fa]

Immer noch wird ein fairer Tausch beim Kauf des Bootes durch einen Deutschen behauptet, die Frage nach einer Forderung der Restitution ist in der Schwebe, und das Boot bleibt in Berlin eingemauert. Wirklich eingemauert, nicht sinnbildlich, denn 2018 wurde dieser Teil des Gebäudes um das schon platzierte Ausstellungsstück fertiggstellt.

Es ist Anspruch der Herausgeber:innen, den Opfern damals und den heute Forschenden aus den ehemaligen Kolonien eine Stimme zu geben:

Mit David Simo kommt ein Wissenschaftler der Universität Yaounde, Kamerun, zu Wort. Er vertritt allerdings reaktionäre Postionen, wie sie im globalen Norden nur in chauvinistischen Kreisen gepflegt werden. Er spricht sich gegen weitere Entschädigungen aus und gegen die Rückgabe geraubter Kunstschätze [Simo, in: Schnurr/Patalong: 37 f.]

Kokou Azamede schreibt über die systematische Diskriminierung afrikanischer Missionare bei ihrer „Ausbildung“ in Deutschland bei der Norddeutschen Mission. Der Autor nimmt die Perspektive des Blickes der Indigenen ein und zeigt so das eindeutige rassistische Innenverhältnis der Missionen.

Die Zeitzeugeninterviews des Projektes „Recollections of the German Period in Cameroon“ von Kum’a Ndumbe III lassen die Lesenden die authentischen historischen Stimmen hören. In den 1980er Jahren wurde mit den „letzten noch lebenden Zeugen der Kolonialzeit“ [Bohr, in: Schnurr/Patalong: 168] gesprochen und es wird sichtbar, wie überwältigend die Herrschaft der Deutschen war: „Deutsch galt plötzlich als Amtssprache. Wer nicht in der Lage war, sich auf Deutsch zu artikulieren, wurde nicht gehört. (…) Die Afrikaner, die ein Geschäft betrieben, durften unter den deutschen Kolonialherren nicht mehr eigenverantwortlich Handel treiben. Sie mussten als Angestellte in deutschen Läden fungieren und waren abhängig von den deutschen Kaufleuten.“ [Kum’a Ndumbe III, in: Schnurr/Patalong: 175]

Felix Bohr befragt Kum’a Ndumbe III zu den Voraussetzungen, der Entstehung, der Durchführung und dem Stand des Projektes heute.

Bisher konnten 30 Bände der Interviews gar nicht bearbeitet werden, von den bereits verlegten Bänden sind nur drei auf Deutsch erschienen, obwohl die Herausgabe in der Täter:innensprache das Wichtigste wäre!

Ein Hinweis auf die reale Ungleichheit in der Wissenschaft: über die Forschenden David Simo und Kokozu Azamede gibt es keinen Wikipedia-Eintrag!

Die aus dem Kolonialismus stammende Diskriminierung im öffentlichen Raum durch Denkmäler und Strassennamen besteht fast überall weiter. So ist es etwa in Wuppertal immer noch nicht gelungen, den abwertenden Namen „Mohren“-Strasse zu ändern!

Literatur:

Azamede, Kokou: „Wir waren bloß wie Tiere“ in: Schnurr/Patalong 2022

Bohr, Felix: „Die Weißen waren Monster“, in: Schnurr/Patalong 2022

Conze, Eckard (2020): Schatten des Kaiserreichs – Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe, München

Friedmann, Jan: Der Wahn vom Herrenvolk, in: Schnurr/Patalong 2022

Grolle, Johann: Menschenversuche im Paradies, in: Schnurr/Patalong 2022

Gunkel, Christoph: Der Prozess, in: Schnurr/Patalong 2022

Heininger, Horst: Geschichte der Imperialismustheorie (bis 1945), in: Foster, John Bellamy / Heininger, Horst (2002): Geschichte der Imperialismus- und Monopoltheorien, Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Hamburg

Hoffmann, Ruth, in: Schnurr/Patalong 2022

Klawitter, Nils: Sklavenhändler zur Untermiete, in: Schnurr/Patalong 2022

Klawitter, Nils: Wie Deutsche die Sklaverei finanzierten, in: Schnurr/Patalong 2022

March, Leonie: „Wir wollen nur Gerechtigkeit“, in: Schnurr/Patalong 2022

Patalong, Frank: Menschenzoo, in: Schnurr/Patalong 2022

Patalong, Frank: Vermessen, in: Schnurr/Patalong 2022

Schnurr, Eva-Maria / Patalong, Frank (Hg.) (2022): „Deutschland, deine Kolonien“ – Geschiche und Gegenwart einer verdrängten Zeit, München

„Die ganze deutsche Gesellschaft profitierte von der Ausbeutung“. Ein Interview von Uwe Klußmann und Eva-Maria Schnurr, in: Schnurr/Patalong 2022

„Du wid get wo?“ Ein Interview von Johannes Saltzwedel, in: Schnurr/Patalong 2022

Die Suche nach Zeugen – Ein Interview von Felix Bohr, in: Schnurr/Patalong 2022

„Die Deutschen zerstörten ein Paradies – und behaupten bis heute das Gegenteil“ Ein Interview von Felix Bohr und Ulrike Knöfel

[https://www.spiegel.de/kultur/deutscher-kolonialismus-in-der-suedsee-historiker-goetz-aly-ueber-die-zerstoerung-eines-paradieses-a-a4e4c3b8-b142-4b88-a5dd-749a1a9465fa]

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»Konfusion« in der Debatte

16. Januar 2023

Historiker streiten – nicht alle. Sammelband versucht Argumente nachzuvollziehen

»Konflikte und polemische Debatten überall: das Humboldt-Forum und koloniale Beutekunst; die Umbenennung der M-Straße; einhundertfünfzig Jahre Deutsches Kaiserreich; Achille Mbembe, Holocaust und Kolonialismus, die Deutschen mit ›Nazihintergrund‹ und nicht zu vergessen die Machenschaften der Hohenzollern. So unterschiedlich die Debatten im Einzelnen sind, immer wird dabei die Deutung der NS-Zeit oder des Kolonialismus mitverhandelt; häufiger sogar beides.« So beschreibt der Historiker Sebastian Conrad im Buch »Historiker streiten« den Hintergrund der Debatte um die Einzigartigkeit des Holocaust; hier sind vorwiegend Beiträge einer Tagung im Einstein-Forum in Potsdam vom Oktober 2021 veröffentlicht.

Die unter dem Begriff »Zweiter Historikerstreit« (und auch in der antifa-November-/Dezemberausgabe verschiedentlich sichtbar) geführte Debatte, dreht sich im wesentlichen um den Aufsatz »Der Katechismus der Deutschen« von Dirk Moses. Im Sammelband führt Moses nochmals seine provokanten Thesen aus, mit Erläuterungen der Vorgeschichte und der späteren Diskussion. Michael Wildt konstatiert »Konfusion« in der Debatte, aber das Buch ermöglicht es den Lesenden mit einigem Aufwand, die Argumente beider Seiten des Neuen Historikerstreites nachzuvollziehen.

Hier kann nicht auf die vielen Autor:innen und ihre verschiedenen Zugänge zur Diskussion um die Bewertungen des Verhältnisses von Holocaust und Kolonialgewalt eingegangen werden, deshalb nur kurz: Mario Keßler widmet sich der Forschung zum Kolonialismus in der DDR, und kann zeigen, dass die Ergebnisse bis heute Gültigkeit haben. Auch Susan Neiman und Ingo Schulze bekräftigen diese Wahrnehmung. Die Herausgeberin Susan Neiman bezieht im Vorwort einen grundsätzlichen Standpunkt in der Diskussion, gegen die Singularitätsthese: »Für Universalisten, ob jüdisch, schwarz oder sonst was, ist eine solche Opferkonkurrenz mehr als unsinnig: Es schwächt die Solidarität, die wir brauchen, um gemeinsam gegen alle Formen des Rassismus zu kämpfen.«

Die Alten in der VVN-BdA waren schon immer Universalist:innen. Kurt Goldstein hat 2007 in der Petition »Shalom 5767« gegen den Libanon-Krieg legitime Kritik an der israelischen Politik formuliert: »Israel ist aber auch ein Land, das nicht mehr Rechte als jedes andere Land hat. Ein Land, das in besonderem Maße an die Einhaltung der Menschenrechte gebunden ist, weil seine Existenz an eben diese Menschenrechte geknüpft ist.« Peter Gingold hat sich für Mumia Abu-Jamal eingesetzt, den in einem rassistischen Prozess zum Tode verurteilten linken Journalisten, der seit 1981 in den USA inhaftiert ist. Dank seines Wortes wurde Mumia 2002 zum Ehrenmitglied in unserer Vereinigung. Der offene Brief an die Minister Fischer und Scharping 1999 gegen die Bombardierung Serbiens steht ebenfalls in dieser universalistischen Tradition der VVN-BdA. Und auch Esther Bejarano prangerte die Probleme der Gegenwart im »Appell an die Jugend« von 1997 an: »1945 war es für uns unvorstellbar, dass Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten. Lasst Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Lasst sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden: Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!«

Im vorliegenden Buch fehlt der Beitrag »A German History of Namibia or a Namibian History of Germany?« der simbabwisch-amerikanischen Soziologin Zoé Samudzi, den sie auf der Tagung im Einstein-Forum gehalten hat. Das Thema ihres Vortrages waren die unzureichenden Entschädigungen der deutschen Regierung für den Genozid an den Herero und Nama von 1905/1906 in der Kolonie »Deutsch-Südwest«. Und sie beschrieb, wie die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht bis heute als Traumata über die Generationen weiter wirken. Sie wollte den Betroffenen, den Indigenen, auf dieser Veranstaltung in Deutschland eine Stimme geben. Erst über die sozialen Medien hat sie erfahren, dass ihr Beitrag nicht im Buch enthalten ist. Die Herausgeber:innen Susan Neiman und Michael Wildt haben – ebenfalls über Twitter – den Ausschluss aus dem Sammelband im Nachhinein damit gerechtfertigt, dass der Vortrag eben nicht zum Motto der Konferenz gepasst hätte. Wenn dies wirklich der Maßstab gewesen wäre für die Aufnahme in das Buch, dann hätte eine ganze Reihe von Artikeln, die jetzt enthalten sind, noch viel eher draußen bleiben müssen!

Der verletzende Ausschluss einer bekannten wissenschaftlichen Stimme aus dem Süden durch die wissenschaftliche Community des ehemaligen kolonialen Aggressors im Jahr 2022 – vielleicht ist dies der alarmierendste und bedrückendste Aspekt des Buches.

„nachts, wenn die Gestapo schellte…“

8. Januar 2023

Nachwort von Sebastian Schröder (2018)

„Der weitverbreiteste Ruf in der Stadt im Tal ist in diesen Tagen das befreiende „Nie wieder“!“

Mit diesem Satz endet am 12. März 1968 die große Artikelserie „Nachts wenn die Gestapo schellte…“ von Klaus und Doris Jann über den Wuppertaler Widerstand in der NeuenRheinZeitung (NRZ).

Das Jahr 1968 – In der Bundesrepublik heißt das Kampf gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnamkrieg, gegen die aggressiven Kampagnen der BILD-Zeitung.

Trotz der Ermordung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967, trotz des Attentats auf Rudi Dutschke herrscht Aufbruchstimmung, die autoritären Verhältnisse der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft werden nicht mehr ohne Widerspruch hingenommen.

23 Jahre nach der Befreiung fragen die jungen Menschen nach den Verbrechen der eigenen Eltern, der ganzen Generation im deutschen Faschismus. Diese Auseinandersetzungen um die Schuld der Älteren werden häufig unmittelbar geführt.

Deshalb steht 1968 in Westdeutschland auch für kämpferischen Antifaschismus. Es gibt breiten Widerstand gegen die offen neofaschistische NPD. Globke, Oberländer, Lübke und Kiesinger sind die bekanntesten Schreibtischtäter der Bundesrepublik – sie stehen stellvertretend für tausende Faschisten in allen Bereichen der Gesellschaft, die ihre Karrieren trotz Blut an den Fingern ungehindert fortgesetzt haben und das politische Leben und auch das Klima in der BRD prägen.

Professor Dr. Theodor Oberländer war allerdings nicht nur Schreibtischmörder, sondern ganz nah bei den von ihm befohlenen Verbrechen. Als politischer Führungsoffizier des Bataillons „Nachtigall“ war er mitverantwortlich für die Ermordung tausender Menschen Anfang Juli 1941 in Lwow. Filip Friedmann berichtet: „Es begann mit einer Jagd auf jüdische Männer in den Straßen. Dann wurden die Wohnungen der Opfer durchsucht. Man verschleppte Männer, ganze Familien, auch mit Kindern. Etwa zwei bis drei Tage nach dem ´Blitzpogrom´ begann eine neue Aktion. Etwa 2000 Juden schleppte man auf den Hof der Pelczynska 59, wo sich damals der Sitz der Gestapo befand. Hier wurden gegenüber den unglücklichen Menschen zwei Tage lang die allerschlimmsten Torturen sadistischen und perversen Charakters angewandt. Rund 1400 Mann, die diese Torturen durchhielten, verschleppte man in den Biloborski-Wald bei Lwow, wo sie erschossen wurden.“

An vielen Orten bilden sich lokale antifaschistische Initiativen, etwa in Bielefeld. Der Inhaber des Oetker-Konzerns, Rudolf-August Oetker, hatte seit 1959 den Bau einer Kunsthalle vorangetrieben, die den Namen des unumschränkten Firmenchefs (seines Stiefvaters) tragen sollte: Richard Kaselowsky. Dieser hatte als SS-Gruppenführer, als Mitglied der NSDAP und vor allem des „Freundeskreises Reichsführer SS“ den Oetker-Konzern zum „Nationalsozialistischen Musterbetrieb“ gemacht. Vielfältig wurden Aufrüstung und Raubkrieg unterstützt durch „Dr. Oetker“ und natürlich stieg der Profit. 1968 setzen sich die BürgerInnen der Stadt gegen den Namenspatron Kaselowsky zur Wehr; der feierlichen Eröffnung wird mit Offenen Briefen, Demonstrationen und Teach-ins entgegengetreten, und so muss die Einweihung der Kunsthalle abgesagt werden.

Trotzdem wird die Halle erst 1998 umbenannt, nach drei Jahrzehnten des Ringens.

In Wuppertal werden seit Oktober 1967 die Greueltaten Wuppertaler Polizisten im Bialystock-Prozess angeklagt. Die grausame Ermordung von über 2000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern Ende Juni 1941 im weißrussischen Bialystock wird mühsam aufgedeckt, die Täter sind allesamt angesehene Bürger der Stadt.

Beispielhaft sei ein weiterer angesehener Bürger erwähnt: Professor Dr. Hans-Bernhard von Grünberg, NSDAP-Mitglied seit 1931, bis 1944 Rektor der Universität Königsberg und als Staatswissenschaftler in weiteren faschistischen Organisationen und Funktionen tätig. Nach 1945 war er im Vorstand der Deutschen Reichspartei, einer Vorläuferpartei der NPD. Die Gründung der NPD im Jahr 1964 wurde maßgeblich in Wuppertal-Vohwinkel vorbereitet durch den ideologischen Vordenker Hans-Bernhard von Grünberg.

Klaus und Doris Jann berichten dagegen über die Menschen des Widerstands, über diejenigen WuppertalerInnen, die sich den faschistischen Tätern entgegengestellt haben.

Nicht zuschauend und scheinbar neutral, sondern Stellung ergreifend an der Seite der HitlergegnerInnen fordern sie die LeserInnen auch in ihrer Zeit zum antifaschistischen Handeln auf.

Klaus und Doris Jann zeigen, dass es während der 12 Jahre der Naziherrschaft immer Widerstand gegen die Diktatur gab. Trotz Haft, Folter, Ermordung, Zerstörung der Familie konnten die FaschistInnen die Opposition nicht besiegen. Es haben immer wieder mutige Menschen ihr Leben riskiert im Kampf gegen den Faschismus in Wuppertal. Sie sind heute Vorbilder.

Willi Spicher, von 1963 bis 1978 Vorsitzender der VVN Wuppertal, berichtet über die Folter: „Das erste „Verhör“ werde ich nie vergessen. Die Gestapoleute brachten mich ins „Jägerschlößchen“. Sie stießen mich in einen Raum, in dem eine Pritsche stand, voller Blut und Kot. Einige SS-Leute kamen, zwangen mich, meine Kleider auszuziehen. Einer höhnte mit freundlicher Grimasse: „Du wirst hier genauso verrecken wie dein Freund Giersiepen! Du hast es in der Hand. Du kannst es gut haben und kommst raus. Also …?!“ Karl Giersiepen aus Remscheid kannte ich gut. Ihn haben sie im „Jägerschlößchen“ erschlagen.

Sie hielten mich auf der Pritsche fest. Ein großer, schwerer SS-Mann setzte sich auf meinen Bauch, so daß ich fast keine Luft mehr bekam. Und plötzlich schlugen sie mit Lederpeitschen und einem Knüppel auf mich ein. Noch heute höre ich das Sausen und Klatschen der Peitschen. Immer wieder verdränge ich das. Doch manchmal bricht die Erinnerung einfach durch, läßt sich nicht zurückhalten.

Um mich fertigzumachen, hielten sie einige Male bei der Fahrt vom „Jägerschlößchen“ zum Gefängnis auf einer Rheinbrücke an, zerrten mich aus dem Wagen und drohten, wenn ich jetzt nicht endlich aussagen würde, wollten sie mich in den Rhein werfen. Es war ja Dezember. So ging das in Abständen mehrere Wochen lang. Allmählich war ich ziemlich kaputt. Da habe ich versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Als mich die Gefängnisaufseher fanden, wurde ich nach Wuppertal in eine Krankenhauszelle verlegt. So entkam ich der Folter erst einmal. Ich wog damals noch etwa 100 Pfund.“

„Nachts wenn die Gestapo schellte…“ erschien 23 Jahre nach dem 8. Mai 1945, die Zeit des deutschen Faschismus war 1968 überall offen oder versteckt präsent. 2018 begehen wir den 73. Jahrestag der Befreiung, und auch jetzt müssen wir uns den Gespenstern der Vergangenheit entgegenstellen. Mit der AfD haben die Deutschnationalen, die Völkischen eine Partei etabliert, die den Rassismus, den Hass gegen Minderheiten propagiert und auf mehr Ungleichheit zwischen den Menschen abzielt.

Sie wollen ein anderes Land; wir sehen die Gefahr.

Ernst Köchly, Arbeitskollege des ermordeten Gewerkschafters Fritz Senger bei den Stadtwerken, schreibt in seinem Leserbrief: „Vielfach dieselben Kräfte in Wirtschaft und Politik, gleiche oder ähnliche Ursachen, die weite Teile des Volkes in Existenzangst halten, verbunden mit einer Aufrüstung von nicht erlebter Vernichtungskraft, stoßen in der Bundesrepublik auf eine Bevölkerung, die durch die Schuld der Herrschenden und der öffentlichen Meinungsbildner in den letzten 20 Jahren noch keineswegs immer gegen Verführungskünste neuer Rattenfänger immun geworden ist.

Von besonderer Bedeutung ist es, heute den Faschismus in den Anfängen zu erkennen und die Kräfte, die ihn fördern und unterstützen, aufzudecken und bloßzustellen. Die Lehren der Vergangenheit gerade in dieser Hinsicht sollten uns helfen, diesmal rechtzeitig eine starke und erfolgversprechende Abwehrfront zu schaffen.

Das wurde mir auch besonders deutlich und bewußt, als in der Serie das furchtbare Schicksal meines früheren Betriebs- und Gewerkschaftskollegen Fritz Senger geschildert wurde.“

Wir gedenken der Toten, wir ehren die Überlebenden und bekräftigen für die Zukunft:

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Bibliografie

CheSchahShit – Die sechziger Jahre zwischen Cocktail und Molotow. Ein Bilderlesebuch, Hamburg, 1986

Finger, Jürgen; Keller, Sven; Wirsching, Andreas: Dr. Oetker und der Nationalsozialismus. Geschichte eines Familienunternehmens 1933 – 1945, München, 2013

Frei, Norbert: 1968 – Jugendrevolte und globaler Protest, München, 2017, aktualisierte und erweiterte Neuausgabe

Kühnl, Reinhard; Rilling, Reiner; Sager, Christine: Die NPD. Struktur, Ideologie und Funktion einer neofaschistischen Partei, Frankfurt am Main, 1969

Norden, Albert: Die Wahrheit über Oberländer; in: ders.: Die Nation und wir; ausgewählte Aufsätze und Reden 1933-1964, Band 2, Berlin, 1965; Seite 177 ff.

Okroy, Michael: „…mit Lust und Liebe als anständiger Deutscher Polizeidienst versehen.“ Der Wuppertaler Bialystock-Prozess 1967/68 – Ermittlung gegen Polizisten wegen Massenmord; in: Okroy, Michael; Schrader, Ulrike (Hg.): Der 30. Januar 1933 – Ein Datum und seine Folgen, Wuppertal, 2004

Podewin, Norbert (Hrsg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West), Reprint der Ausgabe 1968 (3. Auflage), Berlin, 2002

VVN-BdA Wuppertal: In der Zelle zum Abgeordneten gewählt – Willi Spicher. Nach Interviews und Gesprächen bearbeitet von Klaus Himmelstein, Wuppertal, 1981

Pressemitteilung zum 9. November 1938

9. November 2022

VVN-BdA Wuppertal

Heute, am 9. November 2022, gedenken wir der schrecklichen Pogromnächte 1938, in denen überall in Deutschland und Österreich jüdische Menschen angegriffen wurden, auf der Strasse und in ihrem Zuhause. Wohnungen, Geschäfte, Synagogen und Betstuben wurden gestürmt, zerstört und ausgeraubt.

Weit über tausend Menschen wurden ermordet, 20-000 bis 30.000 Männer in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt.

In einer zentral angeordeten Aktion wurden die Synagogen erst verwüstet und dann angezündet.

Auch in den Synagogen in Elberfeld und Barmen und in den Kapellen der jüdischen Friedhöfe am Weinberg und der Hugostrasse wurde Feuer gelegt.

„In der Elberfelder und Barmer Innenstadt wurden Schaufenster eingeschlagen, Ladenlokale demoliert und Auslagen geplündert. So etwa das Schuhgeschäft Emil Rosendahl und die Textilhandlung Wolf & Heimann in der Berliner Straße. Vor dem Bettenhaus Alsberg lagen Kissenbezüge und Federn verstreut. Die Herzogstraße und die heutige Friedrich-Ebert-Straße waren mit zerstrümmerten Gegenständen aus jüdischen Geschäften übersät.

Ganze Wohnungseinrichtungen wurden auf die Straße geworfen – beispielsweise aus dem Fenster eines Hauses in der Grünstraße ein Klavier. In der Elberfelder Wortmannstraße zündeten SA-Leute das Auto einmes jüdischen Mitbürgers an. Nicht nur in ihren Wohnungen, auch auf offener Straße wurden die Juden mißhandelt – unter den Augen der Polizei.“ Zitiert aus Kurt Schnöring: Auschwitz begann in Wuppertal

Das Erinnern daran kann nicht nur ein historisches Gedenken sein, sondern es muss auch Bedeutung in der Gegenwart und Bedeutung für die Zukunft haben.

Deshalb macht die VVN-BdA Wuppertal auf eine unmittelbar bevorstehende antisemitische Provokation in unserer Stadt durch die Kabarettistin Lisa Eckhart aufmerksam.

Am 13. November wird sie mit ihrem Programm „Der Vorteil des Lasters“ in der Stadthalle auftreten.

In diesem Programm finden sich als Scherz getarnte antisemitische Aussagen. Diese „Witze“ sind nicht, wie von ihren Fans behauptet, entlarvend und zuspitzend, sondern eindeutig bejahend.

Die Antidiskriminierungsberatung und Intervention bei Antisemitismus und Rasissmus ADIRA (Dortmund) sagt dazu: „Insofern wird deutlich, dass sich die Kabarettistin unter dem Deckmantel der Satire immer wieder antisemitischer Stereotype bedient. Auch wenn Humor ein Mittel sein kann, um Antisemitismuszu thematisieren, so wird dies von Lisa Eckhart ins Gegenteil verkehrt.“

Und Philip Peyman Engel schreibt:“ sie ergeht sich, … genüsslich in judenfeindlichen Pointen, ohne jegliche ironische oder andere künstlerische Brechung. Sie reproduziert judenfeindliche Bilder, die in unserer Gesellschaft ohnehin schon massenhaft zirkulieren, und trägt zu ihrer Verbreitung bei.“

Es ist schon zum zweiten Mal seit 2018, dass Eckhart sich der Verbreitung von Vorurteilen schuldig macht. Die aktuelle antisemitische Äusserung wurde genau heute vor einem Jahr, am Jahrestag des Gedenkens an die Pogromnacht, von ihr öffentlich vorgetragen.

In Dortmund wurde deshalb im Dezember 2021 von ADIRA gegen den damals geplanten Auftritt Stellung bezogen.

Wir wissen natürlich, dass unsere Kritik wieder antisemitisch gedeutet werden wird. In der Welt der Rechten heisst es: „Jetzt zeigen die Antifaschist:innen, dass sie Teil der Verschwörung gegen die freie Meinungsäusserung sind.“

Das stimmt nicht. Wir widersprechen, weil wir wissen, dass Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen ist! Gerade heute am 9. November, erinnern wir daran!

Die VVN-BdA Wuppertal wendet sich gegen den Auftritt von Lisa Eckhart in Wuppertal.

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