Genau hinschauen

8. November 2022

Von Sebastian Schröder

Worin liegt die Einzigartigkeit des Holocaust

In welchem Verhältnis steht der Holocaust zu anderen historischen Verbrechen, zu kolonialen Völkermorden? Ist die Ermordung der europäischen Juden einzigartig, oder ist dies ein Genozid, der der kolonialen Logik folgt? Darum geht es im sogenannten Neuen Historikerstreit; 2021 stehen sich postkoloniale Theorie und Holocaustforschung unversöhnlich gegenüber. Die Bedeutung der Ereignisse und deren Aufarbeitung bzw. Nichtaufarbeitung, ihre Rolle in der Gegenwart und Schlussfolgerungen daraus für Politik und Zukunft sind umkämpft.

Der schmale Sammelband enthält Beiträge von Saul Friedländer, Norbert Frei, Sybille Steinbacher und Dan Diner. Alle beziehen sich auf den Artikel »Katechismus der Deutschen« des Genozidforschers Dirk Moses. Die prominenten Fachhistoriker:innen präsentieren – im Widerspruch zu Moses – zentrale Argumente der Singularitätsthese.

Die christliche Tradition der Stigmatisierung jüdischer Menschen transformiert sich am Ende des 19. Jahrhunderts, um schließlich im Faschismus den Tod aller Juden systematisch zu organisieren. Darin liegt die Einzigartigkeit des Holocaust begründet. Das Verhältnis zu Israel könne vor diesem Hintergrund nach Meinung der Autor:innen nur uneingeschränkt solidarisch sein.

Die Geschichte der Erinnerungskultur der BRD rekonstruiert Norbert Frei in »Deutsche Vergangenheit und postkoloniale Katechese«. Ausgangspunkt seines Textes ist die Rede von Bundespräsident Theodor Heuss zur Eröffnung der Gedenkstätte Bergen-Belsen 1952. Hier bekennt sich Heuss an mehreren Stellen zur Verantwortung der Deutschen, redet von Grausamkeit der Verbrechen, von Schwere der Schuld und Scham angesichts der Gewalt, vor allem gegenüber jüdischen Menschen. Doch es gibt eine seltsame Leerstelle bei Frei. Die Rede »Das Mahnmal« von Heuss liegt in »Ernte der Zeit – Eine Auswahl aus seinen Schriften« und einem weiteren Buch vor. Frei gibt als Literatur jedoch nur die amtliche Veröffentlichung des Presse- und Informationsamtes von 1952 an. Dieser Artikel ist nahezu unmöglich als Quelle erhältlich. Warum? Vielleicht, weil Heuss nicht nur die deutsche Schuld thematisiert, sondern auch sagt, was in seinen Augen zur Ermordung der Juden geführt hat, nämlich »sozioökonomische Konkurrenzgefühle«. Und in klarer zivilisationskritischer Manier führt er in gestelzten Worten aus, dass sich der Holocaust nur zufällig in Deutschland ereignet hat: »Und dies ist unsere Scham, dass sich solches im Raum der Volksgeschichte vollzog.« Es gilt: die Debatte nicht schematisch betrachten, sondern bei jedem Beitrag genau hinschauen!

Nicht das ganze Bild

10. September 2022

Von Sebastian Schröder

Ein populäres Buch über die Organisation Consul – mit Leerstellen

Novemberrevolution 1918: »Mit dem Monarchen verschwand ein System von Hierarchien aus Deutschland, das alle verinnerlicht hatten, vom Adeligen und Offizier bis zum Angestellten, Arbeiter und Dienstboten. Millionen hatten sich für diese Ordnung in den Schützengräben und in der Heimat aufgeopfert, um sie nun in ein paar novemberklammen Tagen zergehen zu sehen.«

Nah an Motiven und Milieu der Terroristen

Das ist der Ausgangspunkt von Florian Hubers Buch über die Ermordung von Matthias Erzberger sowie Walther Rathenau und über die Täter aus der sogenannten Organisation Consul. Dabei schafft es Huber, die Lesenden sehr nahe an die Terroristen heranzuführen, an ihre Motive, an ihr Milieu und an die politischen Geschehnisse.

Im Mittelpunkt der rechten Terrorserie, in der bis 1922 schon 354 (bewiesene) Morde begangen wurden, steht der Marineoffizier Hermann Ehrhardt. Er gründete 1919 das nach ihm benannte Freikorps, eine von circa 350 Söldnergruppen im Dienst des Staates. Von der Regierung befehligt, zerschlug dieses Freikorps mit maßloser Gewalt die Münchner Räterepublik. 1920 war Ehrhardt der dritte Verschwörer im Kapp-Lüttwitz-Putsch und konnte nach dem Scheitern problemlos nach München entkommen. Dort wurde er von Polizeipräsident Pöner in der antirepublikanischen »Ordnungszelle Bayern« vor Verfolgung geschützt. Mit falscher Identität leitete er die paramilitärische Struktur »Organisation Consul«, getarnt als »Holzverwertungsgesellschaft«. »Bis zum Spätsommer 1921 hatte die Organisation Consul mit ihren Regionalablegern ein Netz von mindestens 5.000, internen Gerüchten zufolge bis zu 25.000 wartenden Kämpfern über das deutsche Reich ausgespannt.« Rekrutiert wurde die rechte Geheimarmee in der Unmenge an reaktionären Vereinen, Zusammenschlüssen und Organisationen, etwa dem berüchtigten »Alldeutschen Verband«. Huber verfolgt die Wege von Friedrich Wilhelm Heinz und Ernst von Salomon, die als Intellektuelle ihre Taten später glorifiziert haben.

Auf der politischen Ebene war Karl Helfferich zentral als führender Politiker der Deutschnationalen Volkspartei im Parlament. Er inszenierte 1919 für und mit Hindenburg und Ludendorff die Dolchstoßlegende, und hetzte systematisch gegen Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann und Walther Rathenau.

Die politische Schuld für die Attentate auf diese drei Politiker wurde damals und wird heute eindeutig bei Helfferich gesehen. Durchgeführt haben Terroristen der Organisation Consul die Anschläge, auf Befehl von Ehrhardt. Die Rechten einte der Hass auf die Republik und offener Antisemitismus. »Im Sommer 1922 zählt Walther Rathenau zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Weimarer Republik.« Er hatte als Außenminister mit dem Rapallo-Vertrag die Annäherung an die Sowjetunion initiiert: »Verführer, Verderber, Verräter, Verweser, Zersetzer. Die Anfeindungen, die Walther Rathenau (…) auf sich gezogen hat, sei es wegen seiner jüdischen Herkunft, seiner Ansichten oder seiner widerspruchsvollen Persönlichkeit, haben ihn (…) begleitet.« Nach der Ermordung Rathenaus setzte Reichskanzler Joseph Wirth im Reichstag, getragen vom Entsetzen und der Empörung der Bürger:innen, das Republikschutzgesetz durch und verkündete: »Der Feind steht rechts!« Kurzzeitig schützt die Republik ihre demokratische Verfasstheit. Im spektakulären Prozess 1922 wurden acht Angeklagte verurteilt, aber Hermann Erhardt als Auftraggeber wurde nicht belangt. Und 1924, in einem Prozess zur Aufklärung der Ermordung Erzbergers, stand die Justiz wieder ganz auf der Seite der Terroristen: »Die juristische Aufarbeitung der Terrorserie war mit der höchstrichterlichen Feststellung abgetan, dass es eine Mordorganisation Consul wohl nie gegeben habe.«

Radikalisierung konservativer Politik

»Rache der Verlierer« ist inhaltlich und stilistisch stark in der Schilderung der Ereignisse, zeigt aber nicht das ganze Bild. Ohne die Vorgeschichte der Rechten im Kaiserreich ist der Terror von rechts nicht verständlich. Spätestens mit der Gründung der Konservativen Partei in den 1890er-Jahren und der Formierung von rechten Massenverbänden hatte sich die konservative Politik radikalisiert. Und dann passt die Charakterisierung der Terroristen als Verlierer nicht mehr, denn sie verfolgten die jahrzehntelang herrschende Erzählung des Kaiserreiches einfach weiter, protestantisch, deutschnational und autoritär.

Alle waren nach 1922 noch verstärkt im rechten Milieu aktiv, so war Ernst von Salomon in der sogenannten Landvolkbewegung an einem Anschlag auf den Reichstag 1929 beteiligt. Sie halfen tatkräftig, den Faschismus in Deutschland durchzusetzen. Und nach 1945 konnten die Terroristen unbehelligt in der BRD leben, Friedrich Wilhelm Heinz als Werbefachmann in Frankfurt am Main, von Salomon als Autor und Intellektueller. Der Mörder von Walther Rathenau schrieb 1951 mit »Der Fragebogen« den ersten Bestseller, die Rechtfertigung seiner Taten. Das Buch wird bis heute unverändert bei Rowohlt verlegt.

„Gemeinsam gegen Nazis im löchrigen Schafspelz und für eine breite solidarische Bewegung gegen Energie- und Klimakrise“

30. August 2022

– Rede auf der Demonstration am 28.8. 2022

Liebe Antifaschist:innen

Mein Name ist Sebastian Schröder, ich bin Kreissprecher der VVN-BdA Wuppertal.

Dahinten demonstriert die Gruppen „NRW erwacht“ und „Wuppertal erwacht“. Schon im April haben sie zusammen mit dem sogenannten Corona-Report Wuppertal eine Veranstaltung als Impfgegner:innen und Coronaleugner:innen abgehalten. Auch für heute wurde gemeinsam mobilisiert.

Die Veranstalter:innen sind eindeutig rechts. Im Mobi-Video für April findet sich folgende rechte Inszenierung: der Marsch zu Trommeln im Fackelzug, die Uniformierung durch Maskierung und schwarze Kleidung, viel Feuer und Rauch, die Drohung durch Maskierung, düstere Musik und irgendetwas Unverständliches mit Walhalla. Natürlich wird auch die „Verurteilung der Verantwortlichen“ gefordert. „Free Michael Ballweg“, „Widerstand“ und der Verschwörungswahn vom „Great Reset“ sind ebenfalls Parolen.

Alle Querdenker-Themen sind auf der Facebook-Seite „Corona Report Wuppertal – Bergisches Land“ gepostet.

Und in der Telegram-Gruppe von „Corona-Report Wuppertal“ wird regelmässig offene Nazi-Propaganda verbreitet!

Die ökonomischen und sozialen Forderungen von „NRW erwacht“ und „Wuppertal erwacht“für heute lauten: bezahlbare Energie, Steuersenkungen, keine Rentenbesteuerung, Stopp der Inflation und Stützen der heimischen Wirtschaft.

Sie folgen damit der aktuellen Strategie der gesamten Rechten von Kubitschek und Höcke bis AfD, die gesellschaftliche Krise zu instrumentalisieren. Beim „Compact“ Sommerfest gestern in Stößen wurde das von Elsässer nochmals bekräftigt.

Aber wir wissen aus Erfahrung, dass Rechte nie die Interessen der Arbeitenden und der Armen vertreten!

In der AfD war der bürgerliche Flügel in der Tradition von Lucke schon immer wirtschaftsfreundlich und neoliberal. Lob des Reichtums als sogenannte Leistung und offener Hass auf die Armen und auf die Gewerkschaften sind Teil des AfD-Sozialdarwinismus. H. Beucker aus Wuppertal vertritt diese Position im Landtag in NRW als AfD-Abgeordneter.

Mindestens ebenso stark ist der völkische Flügel um B. Höcke. Diese Fraktion verbreitet scheinbar kapitalismuskritische Parolen und steht damit in der Tradition der NSDAP.

Die Fokussierung auf soziale Probleme und Ungerechtigkeiten dient aber nur dazu, die eigenen Ziele durchzusetzen.

Wenn die Rechten soziale Forderungen aufgreifen, dann lügen sie!

Es geht nie um mehr Gleichheit und Gerechtigkeit, sondern um die Zerstörung der Demokratie. Es geht um die Bedrohung, Kontrolle und Unschädlichmachung der politischen Gegner.innen, es geht um die rassistische Unterdrückung von Minderheiten und aller anderen maginalisierten Gruppen. Das Ziel ist die Erlangung der Herrschaft, um sich zu bereichern. Mit der Unterdrückung nach innen gehen Aggression und schliesslich Krieg nach aussen einher.

Wir wissen aus unserer schmerzhaften historischen Erfahrung was passiert, wenn die völkischen Rechten an die Macht kommen.

Die NSDAP verbietet die Gewerkschaften, inhaftiert und ermordet die Aktiven der Arbeiter:innenbewegung, senkt die Löhne, gibt den Unternehmern diktatorische Freiheiten, ermöglicht den Diebstahl jüdischen Eigentums durch „Arisierung“ und entfacht einen beispiellosen Raub- und Vernichtungskrieg.

In Wuppertal, Stadt der Arbeiter:innenbewegung, und des Antifaschismus, war die Unterdrückung extrem. Weltberühmt geworden sind die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse, in denen Hunderte Männer und Frauen von Sondergerichten wegen ihres sozialen Engagements verurteilt wurden. So viele andere wurden verfolgt und erschlagen, in der Kemna, in der von der Heydt-Gasse, im Polizeipräsidium in Unterbarmen, auf den Strassen.

Wenn die Rechten soziale Forderungen aufgreifen, dann lügen sie!

Die rechte Welle hat hier zur Zeit an Kraft verloren. Im Moment stagniert ihr Einfluss und die Rechte wächst nicht mehr. Trotzdem ist die Gefahr gross.

Anders ist es in den USA: dort überschlagen sich die Ereignisse, sogar US-Präsident Biden warnte vorgestern vor einem „halben Faschismus“.

Die Diskriminierung von Black and Persons of Colour im Alltag und im Wahlrecht, die Diskriminierung aller Frauen durch die Kriminalisierung von Abtreibungen, der Angriff auf die Rechte der LGBTQIA*-Menschen, die Ausserkraftsetzung der Demokratie über scheinbar unwichtige Veränderungen im Wahlgesetz, immer aggressivere Pro-Waffen-Gesetze geschieht gerade im Zusammenspiel des Obersten Gerichtshofes mit den grossen reaktionären Medienunternehmen.

Die „Make America Great Again“ Bewegung wird vom Bündnis aus alt-right Rechten und der religiösen Rechten getragen, die stark von den Evangelikalen geprägt sind. Nationalismus, Fundamentalismus und die Vorstellung der weissen Überlegenheit (white supremacy) sind die wichtigsten Teile der MAGA-Ideologie. Biden hat gesagt: „Es ist nicht nur Trump, es ist die gesamte Philosophie.(…) Es ist wie halber Faschismus.“ In den USA ist die Rechte stark wie nie und versucht, die bestehenden demokratischen Institutionen in ein auoritäres System zu verändern.

[Annika Brockschmidt: Amerikas Gotteskrieger – Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet, 2021, Hamburg, 2. Auflage]

So soll es hier nicht werden. Wir sagen nein, wenn der legitime Protest in der gesellschaftlichen Krise von den Rechten instrumentalisiert werden soll!

Wenn die Rechten soziale Forderungen aufgreifen, dann lügen sie!

Immer gab es in Wuppertal antifaschistischen Widerstand. Darauf sind wir stolz, das ist unsere Verpflichtung! Deshalb sind wir heute hier.

Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!

Albert Norden – Das spanische Drama

10. Juli 2022

17. Juli 1936 – Putsch der Generale gegen die Spanische Republik

Sie reden vom Abendland und meinen – Erz

Vor den Kulissen des blutigen spanischen Geschehens ergingen sich die faschistischen Führer, allen voran die Herren des „Dritten Reiches“, in tönenden Reden über die Wahrung der heiligsten Güter.

Hinter den Kulissen feilschten sie um Erz.

Vor den Kulissen trug Hitler, wie Goebbels auf dem Naziparteitag im September 1936 sagte, „die Fahne der Kultur, der Menschheit und der Zivilisation für Europa und die Kultur des Abendlandes“.

Hinter den Kulissen erwies sich diese Fahne als blutbeschmiertes Piratenbanners eines Räubers, der auf Zivilisation und Kultur, auf Abendland und Menschheit pfiff, um als getreuer Eckart der Interessen des deutschen Finanzkapitals aufzutreten.

Vor den Kulissen wurde, wenn man dem offiziellen SS-Organ, „Das Schwarze Korps“, vom 8. Juni 1939 glauben wollte, „an den spanischen Fronten die abendländische Kultur verteidigt“.

Hinter den Kulissen redeten die faschistischen Hierarchien die weniger erhabene Sprache der Zahlen und Dividenden, stritten sie verbissen um den Anteil an dem, was dem spanischen Volk gestohlen wurde.

Vor den Kulissen pries man Franco als Held und Roland des 20. Jahrhunderts.

Hinter den Kulissen setzte man ihm die Pistole auf die Brust, um ihn zur schnelleren Auslieferung der spanischen Rohstoffquellen zu zwingen.

Vor den Kulissen gaben sich die Herren des „Dritten Reiches“ als die selbstlosen Helfer des „nationalen“ Spanien aus.

Hinter den Kulissen pochten diese Shylocks der Neuzeit auf ihren Schein und heischten Zahlung mit Zins und Zinseszins für jedes Geschütz, für jedes Flugzeug, für jeden Mann.

Vor den Kulissen tobte der mörderische Krieg zwischen dem Weltfaschismus und dem spanischen Volk.

Hinter den Kulissen tobte ein zweiter Krieg: der erbitterte Kampf unter den faschistischen Gaunern um die Beute.

Schon frühzeitig hatten die deutschen Trusts im Wirtschaftsleben Spaniens eine bedeutende Rolle erobert. Das gilt besonders für den IG-Farben-Konzern, der eine monopolartige Position in der Herstellung von Farbstoffen in Spanien einnahm, für die beiden deutschen Elektrizitätstrusts AEG und Siemens, die große Fabriken zur Herstellung von elektrotechnischen Apparaten in Spanien besaßen, für Krupp mit Erz-, Stahl- und Eiseninteressen in Nordspanien und engen Verbindungen mit spanischen Schiffsbaufirmen, für die Hannoverschen Contiwerke mit zwei großen Fabriken zur Herstellung von Auto- und Gummireifen in Madrid, für die beiden Giganten der deutschen Hochfinanz, die Deutsche und die Dresdner Bank, die über ihre Filialen in Spanien nicht nur die dortigen, sondern auch große Geschäfte mit Südamerika abwickelten.

Kaum war Hitler zur Macht gekommen, da stellten die deutschen Trusts aus dem Bestand ihrer Angestellten das ganze Korps der Ortsgruppen- und Gauführung der Nazipartei in Spanien sowie fast alle dort postierten Gestapobeamten. In jeder Naziortsgruppe in Spanien – und es gab dort eine sehr große etwa 15 000 Deutsche umfassende Kolonie – wurden die jeweils zwei führenden Funktionäre, oft aber auch mehr, von den deutschen Firmen bezahlt. Es gab keinen Ortsgruppenleiter, der nicht sein volles Gehalt entweder von IG-Farben oder von Siemens und AEG oder einer der deutschen Großbanken bezog.

Diese Leute (…) waren also die politischen Exponenten des deutschen Finanzkapitals in Spanien, deren besondere Aufgabe darin bestand, mit den reaktionären Gruppierungen in den Parteien und der Armee beständigen Kontakt zu halten und die faschistischen Treibereien zu fördern, die seit der Abschaffung der Monarchie 1931 das Land periodisch erschütterten.

Die Himmlersche Geheime Staatspolizei (Gestapo) operierte in Spanien unter der harmlosen Bezeichnung „Hafendienst“, der sich übrigens keineswegs auf die spanischen Häfen beschränkte. Am 20. Juli 1936, als der faschistische Militäraufstand in Madrid und Barcelona niedergeschlagen worden war, wurden im Verlauf von Haussuchungen an den Sitzen der Landesgruppe der Nazipartei und ihrer Nebenorganisationen Materialien gefunden, aus denen hervorgeht, daß sämtliche 50 Hafendienstleiter der Gestapo von deutschen Firmen angestellt und voll bezahlt worden waren. Ihr erster Chef, Karl Cords, war ein höherer Angestellter des Siemens-Konzerns, der auch den Landesgruppenführer der Nazis für Spanien, Walter Zuchristian, stellte und finanzierte. Dieser „Hafendienst“ befaßte sich mit allem, von der Anwerbung spanischer Politiker und anderer Agenten bis zur Überwachung des Schiffsverkehrs, von der Bespitzelung politischer Gegner bis zum Menschenraub.

(…)

Spaniens Erdschätze lockten schon die Eroberer des Altertums und den größten Wucherer der beginnenden Neuzeit, Jakob Fugger, diesen Finanzier von Päpsten und Kaisern, dessen gefürstete Augsburger Nachkommen in der CDU Konrad Adenauers eine Rolle spielen. Neben Kupfer, Quecksilber und Schwefelkies haben Spaniens Erze stets das deutsche Finanzkapital magnetisch angezogen. Denn Erz muß zur Kohle kommen, wenn Eisen und Stahl entstehen soll. Die Kohlefeuerung muß das Erz umschmelzen, damit Maschinen, Werkzeuge und Waffen produziert werden können.

(…) Als seit Mitte der zwanziger Jahre dem deutschen Imperialismus die Schwingen wieder zu wachsen begannen und seine extremsten Vertreter 1933 die politische Macht antraten, da richteten sie ihre gierigen Blicke vor allem auch auf die hocheisenhaltigen (..) Erze Spaniens und Spanisch-Marokkos, und die Aufrüstung und Remilitarisierung des „Dritten Reiches“ voranzutreiben. Sie hätten das Erz im friedlichen Austausch einhandeln können. Aber das Finanzkapital will herrschen, und darum trachteten die deutschen Finanzkapitalisten nach dem Monopolbesitz der spanischen Erzgruben (…).

Freilich, solange eine souveräne spanische demokratische Regierung existierte, blieben solche Pläne auf dem Papier. Darum betrieb der Hitlerfaschismus den Sturz der rechtmäßigen spanischen Regierung. (…)

Der raffgierige Göring nahm die Sache persönlich in die Hand. (…)

Eine Woche später erfolgte in Burgos, dem Sitz Francos, die Unterzeichnung eines Protokolls, das mit den Worten schließt: „Die spanische Nationalregierung wird die Gründung von spanischen Gesellschaften für die Erschließung und wirtschaftliche Nutzung von Bodenschätzen und sonstigen Rohstoffen und für andere wirtschaftliche Zwecke unter Beteiligung deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Firmen erleichtern.“

Dieser Geheimvertrag trägt die Unterschrift von Francos Außenminister Jordana und deutscherseits von General Faupel und eines Mannes, der auf den sinnigen Namen Wucher hört.

Mit diesem Protokoll in der Tasche suchten die deutschen Imperialisten Franco abzuknöpfen, was nur eben möglich war, und die englische Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen.

(…)

Die Dinge spitzen sich zwischen Nazis und Frankisten beträchtlich zu. Göring (…) schrie nach „Sicherstellung der deutschen Kriegsbeute … Herr von Jagwitz solle sich unverzüglich nach Salamanca begeben und dem General Franco `die Pistole auf die Brust setzen`.“

So war das also! In Spanien wurden die Militärfaschisten gegen das Volk bewaffnet und gehetzt, dort starben Hunderttausende, damit die Göring, Krupp und Konsorten billigst zu ihren Rohstoffen kamen. Wir führen Krieg, sagten sich die Görings, und trieben auch viele Hunderte Deutsche in den Schlachtentod. Darum her mit dem Profit, her mit der Beute! Erz für Blut! Auch die vornehmen Aristokraten des Auswärtigen Amtes, der Minister von Neurath und sein Schwiegersohn, Staatssekretär von Mackensen, vergaßen ihre Kinderstube, ließen alle Zurückhaltung fallen und wurden pampig. Neurath schickte am 30. November 1937 ein Geheimtelegramm an den deutschen Botschafter bei Franco:

„Im besondern müssen wir darauf bestehen, daß der Hauptanteil der Erz- und Eisenausbeute aus den Gruben von Bilbao und Asturien uns vorbehalten bleibt und daß des weiteren eine uneingeschränkte Konzession für den Schrottankauf gegeben wird … Eine Begünstigung Englands … werden wir keinesfalls hinnehmen. Sollte General Franco ausweichend antworten … so bitte ich, ihm unmißverständlich zu erklären, daß wir uns in diesem Fall leider gezwungen sehen würden, auch unsererseits unsere Haltung gegenüber nationaler spanischer Regierung … zu überprüfen.“

Drei Tage später telegrafiert Mackensen an den deutschen Botschafter, um ihm mitzuteilen, daß „der Generaloberst (Göring – A. N.) zu den letzten Konsequenzen entschlossen sei, wenn nicht der Generalissimus (Franco – A. N.) unsere Interessen in absolut klarer Form sicherstelle.“

So geht das noch ein ganzes Jahr lang hin und her. In der Öffentlichkeit behängt man sich gegenseitig mit Großkreuzen, Adlersternen und anderen Orden. Untereinander betragen sich die Herrschaften als das, was sie waren und sind: Räuber, die einander nicht über den Weg trauen. (…)

Die Helden des republikanischen Spaniens hatten im Sommer 1938 den Angriff von 20 faschistischen Divisionen zur Eroberung Kataloniens in erbitterten Kämpfen zurückgeschlagen und waren ihrerseits trotz außerordentlicher Waffenunterlegenheit zum Angriff übergegangen, wobei sie in einer kühnen Operation den Ebro überschritten. Monatelang verteidigten sie erfolgreich den Brückenkopf. Wieder einmal schlug Franco in Berlin und Rom Alarm und flehte um neue Flugzeuggeschwader, Artilleriebatterien, Tanks und Soldaten. Das betrachteten die deutschen Faschistenführer als eine großartige Gelegenheit zur Erpressung. In „Geheimer Reichssache“ wandte sich das Reichswirtschaftsministerium am 18. Oktober 1938 an das Auswärtige Amt:

„Betrifft: Neue Materialanforderungen der nationalspanischen Regierung. Gegenwärtig wird die Frage der Lieferung neuer größerer Materialmengen nach Nationalspanien geprüft. In diesem Zusammenhang weise ich auf folgende zur Zeit noch schwebenden Fragen hin, die einer baldigen endgültigen Klärung bedürfen: (.) Endgültige Sicherung der deutschen Bergwerks- und Minenrechte in Nationalspanien.“ (…)

Nun begann ein erbauliches Hin und Her. Waffenbitten der spanischen Faschistenführer wechselten wochenlang mit kühlen Erklärungen der deutschen Faschistenführer, erst einmal die Bergwerkskonzessionen herauszurücken, bevor man die Großmaterialforderung Francos wohlwollend prüfen werde. Dieser suchte sich mit Teilkonzessionen aus der Affäre zu ziehen. Aber das nutze ihm nichts. Den spanischen Faschisten brannte das Feuer der Republikaner auf den Nägeln. Sie konnten nicht mehr warten. Am 21. November 1938 erschien Francos Botschafter in Berlin bei dem Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amtes, Woermann, und überbrachte im die schriftliche Zusage der Franco-Regierung, wonach das Aktienkapital der obengenannten Gesellschaften entweder ganz oder in großer Mehrheit in deutschen Händen konzentriert werden könne und damit die 80 baskischen Bergwerke und diejenigen von Spanisch-Marokko in den Besitz des deutschen Finanzkapitals übergingen. Triumphierend konnte Hitlers Botschafter bei Franco nach Berlin berichten:

„Wir haben unseren Willen durchgesetzt.“

Jetzt gingen im Eiltempo und ununterbrochenem Strom massive Waffenlieferungen der Hitlerfaschisten nach Spanien mit dem Ergebnis, daß am 23. Dezember 1938 300 000 italienische Legionäre, deutsche Faschisten und Franco-Soldaten mit 20facher Luftwaffenüberlegenheit, 30facher Artillerie- und 35facher Panzerüberlegenheit gegen 120 000 republikanische Soldaten vorstießen, von denen nur jeder Dritte ein Gewehr hatte.

Wir nannten eben den Unterstaatssekretär Ernst Woermann. Als in London 1937 das Nichteinmischungskomitee tagte, da taten in seinen Sitzungen Ribbentrop, Fürst von Bismarck – heute ein prominenter CDU-Politiker Bonns – und der damalige Botschaftsrat Woermann als Vertreter der Hitlerregierung auf. Munter leugnete Woermann mit seinen Kumpanen die Verschickung von Hitlereinheiten nach Franco-Spanien, er, dessen Vetter Kurt Woermann als Vorstandsmitglied und späterer Aufsichtsrat der Hamburger Woermann Linie AG selber an der Abfertigung der Dampfer teilnahm, die seit Ende Juli 1936 Hitlers Kanonen und das Kanonenfutter, Flugzeuge und Panzer nach Spanien brachten und auf der Rückfahrt die Beute an Bord nahmen und mit der Beute auch das, was sie kostete. Denn neben dem Erz standen die Särge, und in den Särgen lagen junge deutsche Männer, gefallen als Flieger und Kanoniere und Panzerbesatzungen, die ersten Toten des zweiten Weltkrieges. Und aus dem Erz wurden neue Waffen, deren Träger, für den Überfall auf andere Länder mißbraucht, zu Millionen starben, ohn` Ruhm und Ehr, verscharrt unter allen Himmelsstrichen, und ihr vergossenes Blut mehrte den Besitz der herrschenden Kriegsgewinnler Deutschlands.

Die Woermann-Reederei meldete in den Geschäftsberichten während des Spanienkrieges, daß „die Ausnutzung des Schiffsraums hundertprozentig befriedigend war“. (…) Die 6 Handelsschiffe, die während es Interventionskrieges in Spanien gestohlen und in die Woermann-Flotte eingereiht wurden, hüllte die Firma in schamhaftes Schweigen.

Der Botschaftsrat Woermann aber, dessen Familie an dem von ihm geleugneten Interventionskrieg so prächtig verdiente und den Transport der Todeskandidaten wie der Toten in eine Gewinnquelle verwandelte – dieser Woermann machte dank seiner im Nichteinmischungskomitee an den Tag gelegten Unverfrorenheit Karriere: Hitler beförderte ihn schließlich zum Unterstaatssekretär. Eine so blutschmutzige Ehe gingen Völkermord und kommerziell-politisches Geschäft im Hitlerfaschismus ein! Seine Untaten im zweiten Weltkrieg brachten Woermann im Nürnberger Wilhelmstraßen-Prozeß eine siebenjährige Gefängnisstrafe wegen Verbrechens gegen den Frieden und gegen die Menschlichkeit ein. Aber die amerikanische Regierung ließ ihn schon wenige Monate nach der Verurteilung wieder frei. Denn der Staatssekretär Woermann hatte ja schließlich „nur“ 52 000 slowakische Juden vernichten lassen und in ein Hitlersches Satellitenland nach dem anderen die Befehle zur Abfertigung von Todestransporten nach dem Osten ausgeschickt. Das verdient nach den Sittlichkeitsmaßstäben des heutigen Washingtons keine Strafe.

Albert Norden: Das spanische Drama, erweiterte und überarbeitete Ausgabe der Broschüre „Die spanische Tragödie, Berlin 1961, Seite 29 ff.

Nazi-Milliardäre – Reich, rechts, mächtig

7. Juli 2022

Zu David De Jongs Buch „Braune Erben“

Von Sebastian Schröder

BMW, Mercedes-Benz, Porsche, Allianz, Oetker; wie sind diese deutschen Weltkonzerne groß geworden?

Die vier reichsten Männer in der BRD waren 1970 Friedrich Flick, August von Finck, Herbert Quandt und Rudolf-August Oetker. Den entscheidenden Teil ihrer enormen Vermögen konnten sie ab 1933 erwerben, in der Stahl- und Rüstungsindustrie, bei Versicherungen und Banken und in der Lebensmittelindustrie.

Der langsame Aufstieg dieser Familienclans in den zwanziger Jahren, der rasante Weg in die höchsten Machtpositionen im deutschen Faschismus, das kurze Straucheln nach dem 8. Mai 1945, die spektakuläre Rückkehr an die Spitze seit den fünfziger Jahren und die heutige Debatte um die Nazi-Milliardäre sind das Thema des Buches des niederländischen Wirtschaftsjournalisten David De Jong.

Die Konzernchefs teilten nach dem Ende des Kaiserreiches die republikfeindlichen und reaktionären politischen Vorstellungen des deutschnationalen Milieus. Das erleichterte die bewusste Annäherung an Hitler und die NSDAP mit sehr grossen Spenden und regelmässigen Treffen ab 1930.

Für alle sichtbar wurde dieses Zusammengehen durch die Heirat von Goebbels und Magda Quandt, zuvor Ehefrau Günter Quandts, dem Besitzer der Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken (DWM) und der AFA-Werke (später Varta). Auf dem Buchumschlag der deutschsprachigen Ausgabe von „Braune Erben“ ist ein Foto der faschistischen Prominentenfamilie: Josef und Magda Goebbels mit dem Quandt-Sohn Harald.

Nach der von ihnen mit vorangetriebenen Zerstörung der Weimarer Republik 1933 haben Quandt, Flick, Finck, Porsche und Kaselowsky (Oetker) 12 Jahre lang immer schneller an der Aufrüstung und der „Arisierung“ verdient. Alle waren Mitglieder in Himmlers „Freundeskreis Reichsführer SS“ und der NSDAP.

Im Zweiten Weltkrieg kam es zum systematischen Einsatz von Zwangsarbeiter:innen. Skrupellos haben sie die vielen Verschleppten ausgebeutet, allein bei Quandt mussten 57500 Menschen arbeiten. „Mindestens 403 Menschen starben in Günther Quandts (.) AFA-Werk.“ Eingesperrt in Lager, gefährdet durch Arbeit, Unfälle, Hunger und Krankheit, von Ermordung bedroht, wurden viele Zwangsarbeiter:innen schliesslich auf die Todesmärsche geschickt. Die 1016 Toten des grausamen Verbrechens in Gardelegen kamen aus einem der AFA-Werke. Sie wurden lebend in der Feldscheune verbrannt.

Nach der Befreiung musste sich nur Friedrich Flick vor Gericht verantworten, die Taten der anderen Unternehmer blieben ungesühnt, geschützt durch die alten Netzwerke und Persilscheine.

Die mit Zwangsarbeit erweiterten und modernisierten Fabriken waren die Grundlage der „Wirtschaftswunder“ genannten Restauration in der BRD der fünfziger Jahre.

Alle Wirtschaftsbosse kehrten an die Spitzen der Firmen zurück und setzten ihre Geschäfte erfolgreich fort. Keiner gestand die Beteiligung am Faschismus ein, niemand distanzierte sich, und sogar die rechte Ideologie und neofaschistische Politiker wurden von August von Finck weiter unterstützt.

Die Stärke des „erzählenden Sachbuches“ von David De Jong sind die Kapitel über die Nachkriegszeit, die BRD, und vor allem der letzte Teil über das Verhalten der Milliardärsfamilien gegenüber der eigenen NS-Geschichte bis heute. De Jong schildert, dass auch die Familie Reimann ihren Reichtum einem Nazi-Vorfahren verdankt. Während Reimanns, die reichsten Deutschen, den Weg der Aufklärung und Wiedergutmachung eingeschlagen haben, verharren die anderen Familien in Schuldabwehr durch Verleugnung und Relativierung.

Die zentrale Schwäche des Buches ist seine Unvollständigkeit, dadurch entsteht ein schiefes Bild des deutschen Faschismus. Der Autor fokussiert sich auf wenige Personen, und entscheidende Akteure fehlen, so Carl Duisberg und die Chemieindustrie. Ohne die IG Farben bleibt etwa die Übertragung der Macht am 30. Januar 1933 unverständlich. Während Schacht, Thyssen, Krupp, Schmitt zumindest erwähnt werden, heisst es nur „Manager des Chemiekonglomerats IG Farben und des Kaligiganten Wintershall“…

Gleichzeitig verliert sich De Jong stellenweise in Klatsch und Tratsch zu Hitler, Goebbels, Magda und Günther Quandt.

Überhaupt wird Quandt sehr nachsichtig geschildert: „Obwohl er zum größten Waffenproduzenten des „Dritten Reichs“ geworden war, wollte Günther Quandt keinen Krieg.“

Und eine naheliegende Frage: Warum wurde der englische Originaltitel „Nazi Billionaires“ nicht einfach übersetzt? „Nazi-Milliardäre“ trifft es doch viel besser als „Braune Erben“!

Verharmlosend

14. Mai 2022

Die Bundeszentrale für politische Bildung huldigt dem deutschen Militarismus

geschrieben von Sebastian Schröder

Was können wir in Sönke Neitzels 800-Seiten-Buch »Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte« (2020) nicht alles lesen: Krieg ist auch nur ein Handwerk, eine von Neitzel behauptete militärische Eigenlogik wird (rassistisch besetzt) zur »tribal culture« umgebogen, die deutschen Armeen haben natürlich ihre Fehler – aber den deutschen Militarismus, den gibt es nicht. Also alles nicht so schlimm, eigentlich sowieso normal fürs Militär, das will uns Professor Neitzel weismachen. Halt kämpfen, töten, sterben.

Vor allem geht es ihm um die Frage, welche Tradition in der deutschen Armee bestimmend sein soll. Seine Antwort ist einfach: Die »soldatischen Leistungen« der faschistischen Wehrmacht müssen rehabilitiert werden, denn »deutsche Krieger« brauchen zum Vorbild eine wirklich kriegführende Armee. Und das heißt auch, dass die antifaschistische Benennung und die demokratische Zurückweisung der verbrecherischen Wehrmachtstradition falsch ist. Es soll ja in Zukunft wieder mehr solides deutsches Kriegshandwerk geben.Jetzt verlegt die Bundeszentrale für politische Bildung Neitzels »Deutsche Krieger« als Sonderausgabe für sieben Euro. Im Handel kostet das Buch als E-Book 24,95 Euro, gebunden sogar 35 Euro. Dies ist die handfeste Garantie für einen Bestseller. Durch den Dumpingpreis wird das Buch auch in die Breite wirken. So etabliert die bpb »Deutsche Krieger« als Standardwerk, das in allen Bibliotheken und Schulen stehen wird. Zumal die bpb als Herausgeberin die Publikation legitimiert.

Entsetzt stellt sich in der Öffentlichkeit die Frage: Die politisch gewollte Verharmlosung des deutschen Militarismus bei Neitzel, ist dies auch die offizielle Sicht der quasi-staatlichen Bundeszentrale für politische Bildung? Nein, denn »diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar«. Ach so, dann wohl eher der Reichszentrale für Heimatdienst (RfH), eben echte deutsche Traditionen.

https://antifa.vvn-bda.de/2022/05/13/verharmlosend%ef%bf%bc/

Rede zum 8. Mai 2022 auf dem Friedhof Norrenberg

8. Mai 2022

Von Sebastian Schröder, Kreissprecher der VVN-BdA Wuppertal

Sehr geehrte Damen und Herren

Viele Millionen Menschen wurden im 2. Weltkrieg zur Zwangarbeit nach Deutschland verschleppt.

In Wuppertal wurden zwischen 18000 und 25000 Menschen, Erwachsene und Jugendliche, zur Arbeit gezwungen in allen Bereichen der Stadt, für Unternehmen, Landwirte, Behörden und auch bei Privatpersonen. Kleinere und grössere bewachte Lager waren in der ganzen Stadt verteilt. Viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden ermordet oder sind an Arbeitsbedingungen, Krankheit und Hunger gestorben.

Auf diesem Gräberfeld liegen einige der Menschen, die aus ihrer Heimat gerissen worden sind, um für das feindliche Deutschland unverzichtbare Arbeit zu leisten, hier in Wuppertal. Sie sind hier zu Tode gekommen, sie sind Opfer des Faschismus.

Ihrer wollen wir heute, am 8. Mai 2022 gedenken:

Anna Gontschrowa, 58 Jahre, Russin

Iwan Obretschow, 17 Jahre, Russe

Ursow Timeley, Russe

Schura Alunowa, 17 Jahre, Russin

Duisi Eadenko, 19 Jahre, Pole

Sergej Lininow, 37 Jahre, Russe

Bolislaw Schinkowska, 4 Jahre, Pole

Paulina Schinkowska, 28 Jahre, Polin

Alexandra Smirinowa, 15 Jahre, Russin

Wladislaw Slawinski, 59 Jahre, Russe

Roman Giloewicz, 20 Jahre, Russe

Stanislawa Benz, 60 Jahre, Polin

Tadeutsch Sienkowski, 27 Jahre, Russe

Josef Goual, 23 Jahre, Pole

Wassil Simoniwitsch, 26 Jahre, Russe

Wassil Nikonenko 59 Jahre, Russe

Theophil Tasebur, 17 Jahre, Pole

Wassel Bondarek, 28 Jahre, Russe

Unbekannter Pole

Unbekannter Russe

2 Unbekannte

Vera Gerasko, 27 Jahre, Russin

George Skatschenko, 25 Jahre, Russe

Katharina Seluk, 19 Jahre, Polin

Matrona Schotkok, 20 Jahre, Russin

Toni Iwanetzkaja, 19 Jahre, Russe

Jakob Kuchla, 17 Jahre, Russe

Warwara Antipowa

Polja Hakin

Vera Nitzewitz

Warwara Totoczka

Nina Alexienko

Nira Baranetzka

Vera Kostijewa

Katharina Uczakowa

Michael Aleska

Juru Seizo

Michalina Slanilawska

Lydia Heraschenko

Leo Bartoczkiewicz

Maria Ray und Kind

Lucia Zasialla

Franziska Stemoniak

Maria Oskiewicz

Stasia Samoluk

Maria Czubalkowska

Maria Schwetschenko, Russin

Siemon Petschk, Russe

Unbekannter Pole

Maraia Batraxchka, Russin

Anna Broditsch, Russin

Andrey Naustiny, 40 Jahre, Russe

Nikoley Jurtschuk, 25 Jahre, Pole

Unbekannter

Wassyl Sliwnyj, 17 Jahre, Russe

Martha Thiljuk, 44 Jahre, Russin

Konrad Kleskowiy, Russe

Mwascheslaw Wamdel, Russe

Iwan Djakow, 21 Jahre, Russe

Hendrik Milenko, Russe

Pael Tschebotnikow, Russe

Nicoley Hroschinkschenko, Russe

Klara Tscheikowska, Russin

Rudokino Wetrijak, Russe

Peter Diatschenko, Russe

Peter Boudonis, Russe

Marga Karolanow, Russin

Unbekannter

Fedor Mastow, Russe

Peter Kukulenko, Russe

Stanislaus Klakoscher, Russe

Unbekannter

Die Toten mahnen uns!

Kein Krieg! Die Waffen nieder!

7. Mai 2022

Seit 1985 ist der 8. Mai Anlaß zu einer Mahn- und Gedenkveranstaltung an den Gräbern der Wuppertaler Bombenopfer und der polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zur Erinnerung an die

Befreiung von Krieg und Faschismus am 8. Mai 1945

Zum zweiten mal seitdem steht diese Gedenkveranstaltung unter dem unmittelbaren Eindruck eines Krieges in Europa.

Es bleibt notwendig, zu erinnern und zu mahnen: Kriege schaffen Leid, Zerstörung und Opfer mit langwierig nachhaltigen Wirkungen.

Wir laden ein zur Mahn- und Gedenkveranstaltung

am Sonntag, 8. Mai 2022 – 17.00 Uhr

auf dem Friedhof Norrenberg

Theodor-Fontane-Str. 52

Wuppertal – Heckinghausen

Ansprachen:

  • ein Vertreter der Stadt Bürgermeister Rainer Spiecker MdL
  • ein Vertreter der Kirche / Christian Höhne
  • VVN/BdA / Sebastian Schröder
  • Wuppertaler Friedensforum /Jochen Vogler
  • Zeitzeugenberichte

Musikalische Begleitung:

Bläserensemble Carmina venti

Erstunterzeichner dieses Aufrufs:

In der Reihenfolge der Kenntnis

Vereinigte evangelische Kirchengemeinde Heckinghausen (Veranstalter)

Evangelische Kirchengemeine Sonnborn/

Wuppertaler Friedensforum

Else Lasker Schüler Gesellschaft

Verein Spurensuche-NS Geschichte in Wuppertal

SPD Unterbezirk Wuppertal

SPD Fraktion im Rat der Stadt Wuppertal

Die Linke Kreisverband Wuppertal

DKP Kreisorganisation Wuppertal

VVN – Bund der Antifaschisten Wuppertal

Heidter Bürgerverein e. V.

Bürgermeisterin Dagmar Liste-Frinker Bündnis 90/ Die Grünen

Bündnis 90/ Die Grünen Kreisverband Wuppertal

Humanistischer Verband Wuppertal

Freidenker Wuppertal e. V.

Bezirksvertretung Heckinghausen

DGB-Stadtverband Wuppertal

Buchenwald-Überlebender Boris Romantschenko bei Bombenangriff getötet – Stoppt den Krieg!

23. März 2022

Wir sind zutiefst erschüttert und betroffen vom Tod des NS-Überlebenden Boris Romantschenko, der laut der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora vergangenen Freitag Opfer eines Bombenangriffs auf sein Wohnhaus im ukrainischen Charkiw wurde. Der ehemalige Buchenwaldhäftling war Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos für die Ukraine (IKBD).

Romantschenko hat die KZs Buchenwald, Peenemünde, Dora und Bergen Belsen überlebt und ist nun im Rahmen des neuen Krieges in Europa getötet worden. Wir sind in Gedanken bei den Angehörigen. Als Vereinigung, die den Schwur von Buchenwald politisches Vermächtnis und als Handlungsanleitung betrachtet und die unter anderem von Buchenwald-Häftlingen gegründet wurde, stürzt uns diese Nachricht in tiefe Trauer. Es ist bitter, dass Boris Romantschenko den 77. Jahrestag der Selbstbefreiung von Buchenwald am 11. April nicht mehr erleben kann.

Mit jedem Tag, den dieser Krieg voranschreitet, wird weiteres Blut vergossen. Deshalb fordern wir: Die Waffen nieder! Der Krieg gegen die Ukraine muss sofort beendet werden! Die russischen Truppen müssen sich zurückziehen!

Kontakt:

Hannah Geiger (Pressereferentin VVN-BdA)
presse@vvn-bda.de
Mobil +49 (0)178 2785958
Telefon (+49) 030-55579083-4

Gegen jede Ausgrenzung beim Gedenken an die Opfer der faschistischen Barbarei und der Befreiung von Faschismus und Krieg

23. März 2022

In den vergangenen Tagen erreichten uns Informationen aus verschiedenen Gedenkorten, die den sowjetischen Opfern der faschistischen Barbarei – darunter Zwangsarbeiter*innen, KZ-Häftlingen oder Kriegsgefangenen – gewidmet sind, dass vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine bei den diesjährigen Gedenkveranstaltungen Vertreter aus Belorussland und der russischen Föderation ausgeladen wurden.

Das ist aus unserer Sicht nicht nur falsch, sondern ein Affront gegenüber den sowjetischen Opfern und ihren Angehörigen.

Es ist uns wichtig, zwischen der notwendigen Verurteilung des Kriegs in der Ukraine und der Erinnerung an die Toten des deutschen Faschismus deutlich zu unterscheiden. Außerdem gilt es zu bedenken, dass an diesen Tagen und an diesen Orten aller sowjetischen Opfer der Faschismus gedacht werden soll, und diese kamen aus allen Teilen der damaligen UdSSR.

Zudem unterstreichen wir noch einmal, dass die Rote Armee – als Teil der Anti-Hitler-Koalition – den entscheidenden militärischen Beitrag zur Befreiung auch unseres Landes von der faschistischen Barbarei geleistet hat. In dieser Armee der Sowjetunion kämpften Seite an Seite Russ*innen, Ukrainer*innen, Vertreter*innen aller Völker der Sowjetunion.

Es ist daher vollkommen ausgeschlossen, dass aus diesem Anlass die staatlichen Vertreter von Nachfolgestaaten der UdSSR keine Gelegenheit bekommen sollen, sich in würdiger Weise an diesem Gedenken zu beteiligen. Denn bei diesem Gedenken stehen die Opfer im Zentrum. Und dabei sollte es sichtbar werden, dass dieses Gedenken auch eine Verpflichtung zum Frieden, zur Versöhnung und zur gemeinsamen Erinnerung ist.

Vergleichbares gilt aus unserer Sicht auch am 8./ 9. Mai – dem „Tag der Befreiung“ und dem „Tag des Sieges“. Auch bei dieser Gelegenheit sollten wir im Sinne einer Friedensbotschaft gemeinsam an die bedeutsame Leistung aller Veteranen der Roten Armee, aus welchem Nachfolgestaat der UdSSR auch immer sie kommen, erinnern. Wir sollten daran erinnern, wie sie gegen den Nazismus und für den Frieden gekämpft haben und welche Opfer sie für diese Befreiungsleistung gebracht haben.

Eine Ausgrenzung von Teilnehmenden steht dazu im diametralen Gegensatz. Dies gilt gleichermaßen auch für die Familienangehörigen und Nachkommen, die sich an einem würdigen Gedenken beteiligen wollen.

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