21. März -Internationaler Tag gegen Rassismus

21. März 2021

Mumia Abu-Jamal: An alle

Allen

Namenlosen, die vor uns waren

und nicht mehr sind,

allen,

die in finstre, salzige Tiefen stürzten,

allen,

die kämpften

den Widrigkeiten zum Trotz,

allen,

die Göttern

das Leben schenken,

allen,

die sich nicht ergeben –

———-

allen, die vor uns waren,

und allen, die nach uns kommen

widme ich diesen Schild.

M.A.J.

In: Mumia Abu-Jamal – Ich schreibe um zu leben; Zeugnisse eines zum Tode Verurteilten; Vorwort von Cornel West; Einleitung von Julia Wright; 2001, Bremen

Zur aktuellen Situation von Mumia Abu-Jamal

20. März 2021

Noelle Hanrahan von Prison Radio am 18. März 2020:

Mumia Abu-Jamals Gesundheitszustand ist immer noch sehr besorgniserregend, nachdem er kürzlich [Anfang März] für vier Tage mit kongestiver Herzinsuffizienz und Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Danach wurde er in die Krankenstation des Staatsgefängnisses SCI Mahanoy zurückverlegt. Er hat inzwischen mit seiner Familie gesprochen, die er per Telefon für begrenzte 15-minütige Anrufe erreicht hat.

Gestern, am 17.03.2021, teilte er mit, dass bei ihm zusätzliche medizinische Tests in der Krankenstation des SCI Mahanoy durchgeführt wurden, und er erwartet, dass er in den nächsten Tagen wieder in den normalen Gefängnistrakt verlegt wird.

Er hatte noch keine direkten Beratungsgespräche mit seinem Vertrauensarzt Dr. Ricardo Alvarez, seine Haftanwälte Bret Grote vom Abolitionist Law Center [in Pittsburgh] und Robert Boyle [New York City], die ihn in medizinischen Rechtsfragen vertreten, sowie seinem Verteidigungsteam, dass ihn vor den Gerichten vertritt (Sam Spital vom NAACP-Legal Defense Fund und Judith Ritter).

Es wird erwartet, dass bald ein Treffen zwischen Mumia und seinem Anwaltsteam stattfindet.

Auf der Krankenstation hat er keinen Zugang zu seinem Tablet [mit dem er vom Knast zensierte E-Mails lesen und aussenden kann]. So eingeschränkt diese Kontaktmöglichkeit vorher auch gewesen sein mag, sie war für ihn eine Verbindung zum Leben draußen.

Die weltweite Bewegung unterstützt den Kampf um eine angemessene medizinische Versorgung für Mumia Abu-Jamal und fordert gleichzeitig, dass ihm in seinem Berufungsverfahren vor den Gerichten in Philadelphia, Pennsylvania, Gerechtigkeit widerfährt. Wer sich engagieren will, sollte sich den lokalen bis weltweiten Aktiviäten anschließen, um den Ruf nach Mumias Freilassung zu unterstützen.

Übersetzung: Jürgen Heiser

[Erklärungen in eckigen Klammern von mir zum besseren Verständnis; JH]

Nein zur Ethnisierung der Pandemie! Wuppertal ist bunt!

20. März 2021

Pressemitteilung der VVN-BdA Wuppertal vom 20. März 2021

Herr Lothar Leuschen , Chefredakteur der Westdeutschen Zeitung, behauptet im lokalpolitischen Kommentar für Wuppertal „Reden ist Gold“ vom Samstag, 20. März 2021 (Ausgabe Wuppertal, Seite 18), dass „statistische Vergleiche unter den Kommunen Deutschlands (.) den Verdacht sehr nahe [legen], dass die Zahl der Infizierten mit der Struktur der Bevölkerung in einem Zusammenhang steht.“ D.h. bei ihm, dass „Städte mit einer vielfältigeren Einwohnerschaft im Nachteil“ seien. Grund seien mehr „bildungsfernere Familien“ mit höheren „Verständnisbarrieren“.

Diese Gruppen hielten sich nicht an die Pandemieregeln, behauptet er: „die Botschaften [der Verwaltung] kommen nicht an, oder sie werden ignoriert“. So unterstellt er den von ihm markierten Gruppen ein häufigeres Fehlverhalten.

Mit anderen Worten – die einkommensschwachen migrantischen Familien sind seiner Meinung nach schuld an den höheren Inzidenzzahlen hier in Wuppertal.

Herr Leuschen sollte sich das Dashboard zur Corona-Pandemie der Landesregierung anschauen:

https://www.giscloud.nrw.de/corona-dashboard.html

Am 19. März sind da auch die Städte und Kreise Kleve, Borken, Minden-Lübbecke, Herford, Lippe, Märkischer Kreis, Oberbergischer Kreis, Siegen-Wittgenstein rot markiert. Hier liegt der Inzidenzwert über 100.

Die Ruhrgebietsstädte Recklinghausen, Essen, Bochum, Dortmund oder Unna sind orange gefärbt, weil sie unter dem Inzidenzwert 100 liegen. Lediglich Bielefeld (!) und Höxter liegen unter dem Wert 50.

Diese für alle zugängliche statistische Karte zeigt klar, dass Herr Leuschens Verdacht, dass „Städte mit einer vielfältigeren Einwohnerschaft im Nachteil“ seien, sich nicht bestätigen lässt.

Herr Leuschen redet mit diesen Behauptungen der Ethnisierung der Pandemie das Wort.

Wir brauchen keine kollektiven Schuldzuweisungen! Wir wissen in Deutschland, wie gefährlich das ist.

Die VVN-BdA Wuppertal fragt: Will Herr Leuschen weiter diesem Weg folgen, der unsere bunte und liberale Wuppertaler Stadtgesellschaft spaltet, mit negativen Folgen für uns alle?

Für einige schon tot

14. März 2021

Solidaritätskundgebungen für Mumia Abu-Jamal: Empörung über Medien, die Nachruf vorbereiten

Von Jürgen Heiser in junge Welt vom 15.März 2021

Während sich die Solidaritätsgruppen für den an Covid-19 erkrankten US-Journalisten und politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal bemühen, sein Leben zu retten und seine Verlegung in eine Klinik außerhalb des Gefängnisses durchzusetzen, gehen Mainstreammedien schon vom sicheren Tod des Gefangenen aus. Wie Pam Africa von der Organisation Move am Samstag mittag (Ortszeit) auf einer Solidaritätskundgebung in Philadelphia berichtete, wurden sie und die Prison-Radio-Produzentin Noelle Hanrahan vom Radiosender WHYY-FM telefonisch kontaktiert und um »Hintergrundgespräche« gebeten. Sie sollten »aus ihrer Sicht über Mumia reden«. Hanrahan lehnte jedoch ab und teilte Africa per SMS den Grund mit: »Die bereiten schon den Nachruf auf Mumia vor!«

Der Sender WHYY-FM in Philadelphia gehört zum National Public Radio (NPR), einem Verbund nichtkommerzieller US-Hörfunksender. Moderatorin Annette John-Hall hatte den Auftrag, den Nachruf auf Abu-Jamal für das gesamte Sendernetzwerk vorzubereiten. Hanrahan erinnerte sich sehr gut daran, dass NPR eine unrühmliche Geschichte mit Abu-Jamal verbindet. Denn Mitte der 1990er Jahre setzte die Sendeleitung eine Reihe vorproduzierter Wortbeiträge Abu-Jamals wieder ab, weil es Druck von der Seite des US-Senators Robert Dole zusammen mit der rechten Polizeibruderschaft FOP gab. Dole war 1996 Präsidentschaftskandidat der Republikaner und nutzte seinen erheblichen Einfluss. Die NPR-Leitung knickte ein, kündigte ihrem zuvor gefeierten Kommentator Abu-Jamal fristlos und verbannte seine Beiträge ins Archiv.

Auf den Kundgebungen in Philadelphia und San Francisco vor den jeweiligen Gebäuden der Bezirksstaatsanwaltschaften ernteten NPR und WHYY-FM harsche Kritik dafür, dass sie ihren Kollegen jahrzehntelang hängenließen und sich erst jetzt zu Wort melden, um Material für den Nachruf zu ergattern. »Aber«, so betonte Pam Africa, »Mumia ist nicht tot, sondern sehr lebendig!« Die zentrale Forderung der Solidaritätsbewegungen ist die sofortige Freilassung des 66jährigen, dessen nicht angemessene Behandlung als »medizinische Folter« gebrandmarkt wurde. Aber auch »alle anderen Inhaftierten über 50«, die Opfer der im US-Gefängnissystem um sich greifenden Coronapandemie seien, sollten sofort entlassen werden.

»Jetzt geht es um Freiheit oder Tod für Mumia!« hatte auch Zayid Muhammad, ein Jazz-Poet, Bühnenschauspieler und, nach eigenen Worten, Angehöriger der New Yorker Ortsgruppe der Black Panther Party, am Tag zuvor in der New Yorker Zeitung Amsterdam News betont. Es komme eine Zeit, »in der Schweigen Verrat ist«, zitierte er den Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. und appellierte an dessen Nachfolger: »Stellen Sie sich vor, schwarze Geistliche würden sich vor den großen Zeitungshäusern versammeln und die Unterdrückung und Dämonisierung von Mumia durch die Medien verurteilen.« Und damit reichte er seinen Appell auch an diejenigen US-Medien weiter, von denen er sich noch einen Funken Solidarität für den zu Unrecht verurteilten Kollegen erhofft: »Stellen Sie sich vor, alle schwarzen Zeitungen der National Newspaper Publishers Association würden regelmäßig und vorrangig Artikel über all die Unschuldsbeweise bringen, die in Mumias Fall unterdrückt wurden.«

Philadelphias angeblich liberaler Bezirksstaatsanwalt Lawrence Krasner, der sich dem Berufungsverfahren Abu-Jamals in den Weg stellt und auch seine Verlegung als Notfall aus der Isolation der Knastkrankenstation in eine Fachklinik nicht unterstützt, steht weiter im Zentrum der Kritik. An ihn richtet sich eine Petition, die im Solidaritätsblatt Jamal Journal propagiert wird. »Sie haben die Autorität«, heißt es darin, »die Freilassung von Mumia Abu-Jamal sicherzustellen«. Krasner habe »die Freilassung von mehr als einem Dutzend Personen erreicht, deren zu Unrecht erfolgte Verurteilungen« nur möglich gewesen seien, weil »Polizei und Staatsanwaltschaft die Unschuldsbeweise bewusst ignoriert« hätten. Abu-Jamal verdiene »das gleiche Maß an Fairness«. Die Zeit sei reif, schloss Muhammad seinen Appell vom Freitag: »Nutzen wir sie. Freiheit für Mumia Abu Jamal!«

Di, 16. März, 19 Uhr: »Corona und Prozessverschleppung: Freiheit für Mumia Abu-Jamal – Free Them All!« Streamlink unter freiheit-fuer-mumia.de

https://www.jungewelt.de/artikel/398410.free-mumia-für-einige-schon-tot.html

„Entschädigung“ der Hohenzollern

13. März 2021

Aus rechtlichen Gründen haben wir an dieser Stelle im Text einen Satz gelöscht.“

Von Sebastian Schröder

In der Zeit von 1945-49 wurden in Ostdeutschland durch die sowjetische Verwaltung alle Großgrundbesitzer*innen zur Durchführung der Bodenreform entschädigungslos enteignet („Junkerland in Bauernhand!“). Direkt nach dem Anschluss der DDR an die BRD wurden von diesen ehemaligen Eigentümer*innen und ihren Nachfahren Entschädigungsansprüche für Immobilien, Möbel Kunstwerke und andere Wertgegenstände gestellt und durch die BRD bewilligt, etwa zugunsten von „Haus Sachsen-Coburg und Gotha“.

Nicht erfüllt wurden bisher die Entschädigungsforderungen der Hohenzollern, der preußischen Königs- und Kaiserdynastie. Das Land Brandenburg hat die Entschädigung 2015 abgelehnt. Das Verfahren um die von Georg Friedrich Prinz von Preußen 2015 gegen das Land Brandenburg eingereichte Klage wegen der Ablehnung der Entschädigung wurde bis August 2021 ausgesetzt, damit die Verhandlungen fortgesetzt werden können mit dem Ziel einer Einigung ohne Gerichsverfahren.

Jürgen Aretz, Verhandlungsführer der Familie Hohenzollern, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Ich kann offen gestanden nicht nachvollziehen, dass es auf der staatlichen Seite nicht bei allen Beteiligten ein ausreichendes Engagement für eine umfassende gütliche Einigung zu geben scheint. Man weiß doch, dass der Ausgang des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Potsdam mit einem hohen Prozessrisiko für die staatliche Seite verbunden ist. Selbst wenn dieses Verfahren für sie nach vielen Jahren günstig ausgehen würde – was ich nicht erwarte – bliebe die eigentlich zentrale Frage unbeantwortet: Wie würde der Prinz von Preußen in diesem Fall über die Stücke verfügen, die unzweifelhaft in seinem Eigentum stehen – und das sind bei der für die Museen günstigsten Auslegung mindestens 70 Prozent. Kluge und verantwortungsbewusste Politik müsste, wenn Sie so wollen, sehr rasch auf die Entspannungssignale des Prinzen von Preußen eingehen. Ihm ist immer noch an einer umfassenden gütlichen Einigung gelegen“ (Quelle: kurzelinks.de/aa9p).

Im Fall eines Gerichtsverfahren ist eine Entschädigung laut Gesetz nur zulässig, wenn dem Nazisystem nicht `erheblich Vorschub` geleistet wurde. Muss diese Unwürdigkeitsklausel auf Kronprinz Wilhelm (1882-1951) angewendet werden?

„Schon 1926 empfing er den gerade aus der Landsberger Haft entlassenen Hitler im Schloss Cecilienhof. Sechs Jahre später, im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl von 1932, sondierte der Kronprinz im Gespräch mit Hitler die Möglichkeit, sich zum Reichspräsidenten wählen zu lassen und Hitler dann zum Reichskanzler zu ernennen. Als das nicht funktionierte, unterstützte er Hitler als Kandidat bei der Präsidentenwahl (…) und brüstete sich dann damit, Hitler enorme Stimmengewinne verschafft zu haben. Fast gleichzeitig setzte er sich für eine Aufhebung des in Preußen verhängten Verbots von SA und SS ein. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme trugen der Kronprinz und andere Angehörige der Familie durch ihre Anwesenheit beim „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 dazu bei, den Schulterschluss zwischen Konservativen und Nationalsozialisten öffentlich zu inszenieren. Für die Zustimmung von Adeligen, Konservativen und Monarchisten zum Nationalsozialismus war gerade dieser Auftritt in der Garnisonskirche – an den Särgen der Preußenkönige und vor dem leeren Thron des Kaisers – von kaum zu unterschätzender Bedeutung“, schreibt Eckard Conze in seinem Buch „Schatten des Kaiserreichs“.

Das Bekanntwerden der vertraulichen Verhandlungen, der Forderungen von Georg Friedrich Prinz von Preußen und von vier Historiker-Gutachten hat seit 2019 zu einer Debatte geführt, in deren Zentrum die Mitwirkung der Kaiserfamilie an der Stärkung, Durchsetzung und Stabilisierung des deutschen Faschismus steht.

Seitdem wurden über hundert Abmahnungen an Historiker*innen und Journalist*innen durch die Anwält*innen von Georg Friedrich Prinz von Preußen verschickt. Dieses Vorgehen führt in der Öffentlichkeit zu Unglauben, Entsetzen und Wut.

Ein Teil der beanstandeten Aussagen sind vor dem Landgericht Berlin verhandelt und untersagt worden, einige Verfahren sind noch offen. Die neuesten Entscheidungen finden sich auf preussen.de. Und auch unser Bericht über dieses – in der Tradition des Obrigkeitsstaates stehende – Vorgehen ist in Gefahr, Opfer einer Abmahnung durch Georg Friedrich Prinz von Preußen zu werden.

Die erhebliche Vorschubleistung von Kronprinz Wilhelm für den deutschen Faschismus ist durch die Forschung eindeutig belegt, so das einstimmige Fazit von Fachhistoriker*innen im von der Bundestagsfraktion der Grünen veranstalteten Online-Fachgespräch „Keine Sonderrechte für den Adel“ vor der am 3. Februar 2021.

erschienen in: antifa, März/April 2021, S.11

Staatlich sanktionierter Mord

12. März 2021

USA: An Covid-19 erkranktem politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal wird Verlegung in Klinik verwehrt. Es geht um Leben und Tod

Von Jürgen Heiser in junge Welt vom 13. März 2021

Die jüngsten Meldungen aus Pennsylvania sind alarmierend: Der an Covid-19 erkrankte politische Gefangene Mumia Abu-Jamal wird nicht etwa in eine Klinik verlegt, wie es allein aus humanitären Gründen geboten wäre, um sein Überleben zu garantieren. Statt dessen wird er in der Krankenstation des US-Staatsgefängnisses SCI Mahanoy in Frackville (Pennsylvania) von der Außenwelt isoliert. Das teilte Noelle Hanrahan von Prison Radio in ihrem jüngsten Newsletter mit. Ohne jede öffentliche Kontrolle müsse klar sein, dass dies »eine Situation ist, in der es um Leben und Tod geht«. Deshalb sei eine sofortige Mobilisierung öffentlicher Proteste erforderlich, so Hanrahan.

Abu-Jamals völlige Abschirmung hat indes nichts mit der Coronapandemie zu tun. Die Gründe sind vielmehr im wachsenden öffentlichen Interesse an seiner prekären gesundheitlichen Situation und in den Protesten dagegen zu suchen, dass dem seit 1981 unschuldig wegen eines untergeschobenen »Polizistenmordes« inhaftierten Ex-Black-Panther und Journalisten weiter ein faires Berufungsverfahren verweigert wird.

Laut Hanrahan wird ihm seit der Verlegung auf die Krankenstation im Mahanoy-Gefängnis sein rechtlich garantierter Zugang zu einem Telefon und seinem Tablet verwehrt, mit dem er an ihn gerichtete E-Mails lesen könnte. Beide von der Zensur überwachten Kommunikationswege konnte er bislang ungehindert nutzen. Somit unterliegt der Bürgerrechtler nun einer faktischen Kontaktsperre gegenüber den Anwältinnen und Ärzten seines Vertrauens sowie seiner Familie, seinen Unterstützern und den Medien.

Der 66jährige Abu-Jamal befindet sich ausgerechnet wieder in jener Krankenstation, in der er schon über Jahre nicht angemessen medizinisch versorgt worden war. 2015 hatte er dort durch die systematische medizinische Unterversorgung einen diabetischen Schock erlitten und war in akute Lebensgefahr geraten. Nur durch die Verlegung auf die Intensivstation eines Krankenhauses konnte er damals gerettet werden.

Seine Situation ist typisch für Gefangene im US-Bundesstaat Pennsylvania, dessen Gefängnisbehörde die medizinische Versorgung für Häftlinge »ausgelagert« hat, was sich gerade in Zeiten der Coronapandemie verheerend auswirkt. Der Privatkonzern »Correct Care Solutions« (CCS) ist seit langem Betreiber der Krankenstation im Mahonoy-Gefängnis. 2018 fusionierte das heute nach eigenen Angaben US-weit »in 550 Einrichtungen von lokalen, Staats- und Bundesgefängnissen sowie Lagern für Geflüchtete« tätige marktführende Unternehmen mit dem Konkurrenten »Correctional Medical Group« und nannte sich fortan »Wellpath«. Das Firmenmotto des in Nashville, Tennessee, ansässigen Konzerns erklärt bestens den neuen Namen: »Der gute Weg zu Hoffnung und Heilung«. 2017, im letzten Jahr vor der Fusion, machte CCS einen Umsatz von 1,2 Milliarden US-Dollar mit der Betreuung von rund 300.000 Gefangenen pro Tag. Wie die ganze Gefängnisindustrie wirft auch das privatisierte Geschäft mit den krankmachenden Haftbedingungen unermessliche Profite ab.

Abu-Jamal plagen nach einer aktuellen Stellungnahme seines Vertrauensarztes Ricardo Alvarez derzeit »multiple Erkrankungen«. Mit diesen »Folgen des Stresses der Haft« gehöre er »genau zu den Patienten der Hochrisikokategorie«, die an Covid-19 erkrankten, erklärte der Arzt, der nach wie vor nicht zu seinem Patienten vorgelassen wird. Abu-Jamals »Alter, seine Leberschädigung, sein Bluthochdruck und seine kongestive Herzinsuffizienz« erforderten »eine ständige fachärztliche Überwachung und Behandlung«.

Seit der Covid-19-Infektion hat Abu-Jamal rund 14 Kilo an Gewicht verloren. Hautausschläge bedeckten laut Hanrahan seinen ganzen Körper mit »trockenen, rissigen und blutigen offenen Wunden«. Doch Diagnose und Behandlung würden hintertrieben, und isoliert in der Krankenstation käme er an die lindernden Salben, mit denen er sich in seiner Zelle selbst behandelte, nicht heran. Deshalb bekräftigten Hanrahan und Alvarez, »Mumias einzig richtige Behandlung« sei »seine Freilassung«. Er müsse umgehend »von den Bedingungen des staatlich sanktionierten Mordes befreit werden«.

freiheit-fuer-mumia.de

https://www.jungewelt.de/artikel/398340.free-mumia-abu-jamal-staatlich-sanktionierter-mord.html

Mumia Abu-Jamal: Geheime Kriege – Oktober 2001

11. März 2021

Was die US-Bevölkerung über die Kriegsführung ihrer Regierung nicht weiß

Während diese Kolumne geschrieben wird, zerreißt das Geheul abgeworfener Bomben den nächtlichen Himmel über Kabul, der Hauptstadt der vom Krieg zerstörten Nation Afghanistan. Erneut fällt das amerikanische Empire in martialischer Schlachtordnung in den Mittleren Osten ein.

Auch wenn landesweite Meinungsumfragen versichern, dieser Krieg gegen „Terroristen und all jene, die sie unterstützen“, werde von der Bevölkerung gebilligt, verdeckt die große Zahl von Umfragen die sehr reale und sehr tiefe Angst vor dem in Aussicht gestellten Sieg. Dieser Furcht liegt ein großes Mißtrauen zugrunde, das Amerikanerinnen und Amerikaner historisch gesehen immer wieder gegenüber der Regierung empfunden haben: Was wird ihnen verschwiegen? Was wird ihnen vorenthalten? Wo wird das alles enden? Es gibt in Wahrheit gute Gründe für diese Besorgnis, weil viele Amerikaner ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung in die geheimen Kriege verwickelt werden, die rund um den Globus wüten.

Als die Vereinigten Staaten noch eine sehr junge Nation waren und noch in den Kinderschuhen steckten, heckte ein im ganzen Land gut bekannter Regierungschef ein geheimes Komplott aus, das zum Ziel hatte, in Libyen einzumarschieren und die dortige Regierung zu stürzen. Einer seiner Agenten wurde mit Zehntausenden Dollars und tausend Gewehren ausgestattet, um eine Geheimarmee gegen Libyen aufzubauen. Dieser Beamte des US-Außenministeriums wurde der Marine unterstellt und erhielt den Titel „Bevollmächtigter der Flotte der Vereinigten Staaten im Mittelmeerraum“. Dieser Geheimagent, der ohne Wissen und ohne Zustimmung des US-Kongresses arbeitete, ging nach Ägypten, organisierte eine Söldnerarmee und führte Krieg gegen Libyen, war aber nicht imstande, die dortige Regierung zu destabilisieren. Der Agent im Regierungsauftrag war Captain William Eaton. Er handelte auf Geheimbefehl des damaligen US-Präsidenten Thomas Jefferson, mit dem er am 10. Dezember 1803 eine verdeckte Unterredung hatte.

[ William Eaton (Soldat) (1764–1811), US-amerikanischer Militäroffizier, (https://de.wikipedia.org/wiki/Eaton_(Name) kein Artikel auf wikipedia vorhanden! ]

Die amerikanische Geschichte ist gespickt mit diesen geheimen Kriegen und hat den USA Millionen von Feinden auf verschiedenen Kontinenten beschert. Die Armen in Lateinamerika, in der Karibik, in Afrika und in Teilen von Asien sehen die Macht der Vereinigten Staaten, sie sehen aber gleichzeitig, daß das Empire schizophren handelt. Völlig willkürlich werden Staatschefs beseitigt, Agenten eingeschleust, die Chaos schaffen sollen, und mit Hilfe der Medienmaschinerie verwerfliche Propagandakriege gegen andere Länder geführt. Wenn wir es hier angeblich mit einer Demokratie zu tun haben, warum gibt es dann überhaupt die Notwendigkeit für solche geheim geführten Kriege? Wie kann eine Nation, die für sich beansprucht, die Interessen des Volkes zu vertreten, geheime Kriege führen? Das eine schließt das andere aus, denn wenn die Regierung „des Volkes“ ist, wie Abraham Lincolns berühmte Worte lauten, wie kann diese Regierung dann Geheimnisse vor sich selber haben?

Während die Medien die öffentliche Meinung manipulieren, um das Führen geheimer Kriege zu rechtfertigen, sind ihre wahren Nutznießer und ihre wirklichen Ursachen tatsächlich kaum bekannt. Die Ursachen sind zumeist ökonomischer Natur: Während die Bürger und Soldaten Fahnen schwenken, schwenken die Konzerne mit ihren Brieftaschen. Man findet zum Beispiel heute noch genug Leute in der älteren Generation, die erzählen, daß der Zweite Weltkrieg gegen Hitler und die Nazi-Ideologie wurde. Kaum jemand widerspricht dieser Ansicht, weil nur wenige in den USA wissen, daß US-Konzerne Geschäfte mit den Nazis machten, sogar noch während des Krieges. Charles Higham schrieb 1984 in seinem Buch „Trading With The Enemy“:

„Was wäre passiert, wenn Millionen von Amerikanern und Engländern, die sich mit Lebensmittelkarten durchschlugen und vor Tankstellen Schlange stehen mußten, 1942 erfahren hätten, daß die zum Rockefeller-Empire gehörende Standard Oil (ESSO), New Jersey, den Feind über die neutrale Schweiz mit dem Treibstoff der Alliierten versorgte? Man stelle sich vor, die Öffentlichkeit hätte davon gewußt, daß die Chase Bank mit Wissen ihres Vorstandes (u. a. der Rockefellers) nach Pearl Harbor im von den Nazis besetzten Paris millionenschwere Geschäfte mit dem Feind abwickelte. Oder daß Ford an die deutschen Besatzungstruppen in Frankreich Lastwagen lieferte, abgesegnet von der Zentrale in Dearborn, Michigan. Oder daß Colonel Sosthenes Behn, Chef des internationalen Telefon-Konglomerats, das hinter dem US-Multi ITT steht, von New York über Madrid nach Bern flog, um Hitler dabei zu helfen, seine Telekommunikationssysteme zu verbessern, und Austrüstung für die V2-Flugkörper zu liefern, mit denen London verwüstet wurde. Oder daß ITT die Focke-Wulf-Maschinen mitbaute, von denen aus Bomben auf britische und amerikanische Truppen abgeworfen wurden. Oder daß mit stiller Duldung durch den Vizepräsidenten der US-Kontrollbehörde für die Kriegsproduktion und in Partnerschaft mit dem Cousin von Hermann Göring in Philadephia so wichtige Waren wie Kugellager an Kunden in Lateinamerika geliefert wurden, die direkte Verbindungen zu den Nazis hatten, während die amerikanischen Streitkräfte verzweifelt den Mangel an diesen Ersatzteilen beklagten. Und daß man in Washington von solchen Geschäften Kenntnis hatte und sie entweder absegnete oder bewußt ignorierte.“

Es gibt offensichtlich verschiedene Arten von Kriegen. Unglücklicherweise gibt es auch geheime Kriege, und jene, die auf den Schlachtfeldern kämpfen oder die Fahnen schwenken, erfahren zuletzt, worum es wirklich geht.

Oktober 2001 – jW 27.10.01

in: Mumia Abu-Jamal: Das Imperium kennt kein Gesetz, Texte gegen Globalisierung und Krieg, aus dem Amerikanischen übersetzt und mi einem Vorwort versehen von Jürgen Heiser, Bremen, 2003, S. 92-95

Seit 100 Jahren: 8. März als Internationaler Frauentag

8. März 2021

Erklärung der FIR – Federation Internationale des Resistants

Seit der II. Internationalen Konferenz kommunistischer Frauen 1921 wird der 8. März als Internationaler Aktionstag für die Gleichberechtigung von Frauen begangen. Schon 1910 hatte auf Vorschlag von Clara Zetkin der Internationale Frauenkongress in Stuttgart einen jährlichen Agitationstag für das Frauenwahlrecht beschlossen. Dies wurde mit der Oktoberrevolution in Russland und der Novemberrevolution in Deutschland in zahlreichen Ländern verwirklicht. Im Gedenken an den Streik der Petrograder Frauen 1917, dem Auftakt der Februarrevolution, wurde 1921 der internationale Frauentag nun auf den 8. März festgelegt.

Die FIR und ihre Mitgliedsverbände nehmen dieses Datum zum Anlass, um an den großartigen Beitrag der Frauen in allen Ländern zum antifaschistischen Widerstandskampf zu erinnern. Ihre Rolle war so vielfältig, wie das politische Leben des Widerstandskampfes. Nur einige wenige Beispiele seien genannt:

Jeder kennt die großartige Frau der spanischen Republik, Dolores Ibárruri Gómez genannt La Pasionaria. Sie war Präsidentin der spanischen Cortes. Mit ihren Reden brachte sie viele Spanier, insbesondere Frauen, auf die Seite der Republikaner. Von ihr stammt die Parole „¡No pasarán!“ („Sie werden nicht durchkommen!“). Sie musste 1939 ins Exil gehen und kehrte erst 1977 – politisch ungebrochen – nach Spanien zurück.
Frauen kämpften in den Reihen der bewaffneten Partisanenverbände. In den Partisanengruppen der albanischen und jugoslawischen Befreiungsarmeen gab es eigene Frauen-Bataillone.
Auch in der Sowjetunion kämpften Frauen in den Reihen der Partisanen. Die wohl bekannteste Figur ist Zoia Kosmodemjanskaja. Nach erfolgreichen Einsätzen hinter der Front wurde sie im Alter von 18 Jahren verhaftet, gefoltert und am 29. November 1941 öffentlich hingerichtet. Als dies bekannt wurde, schrieben sowjetische Soldaten auf ihre Bomben und Panzer auf dem Vormarsch nach Westen: „Für Zoia“.
Der jüdische Dichter Hirsch Glik setzte der Litauer Partisanin Vitka Kempner in dem Lied „Schtil, di nacht is ojsgeschternt“ ein künstlerisches Denkmal.
In allen illegalen Strukturen der Widerstandsorganisationen waren Frauen beteiligt. Auch in der Etappe, in der Verbreitung von antifaschistischem Material und in der Versorgung war ihre Rolle bedeutend. Außerdem erledigten sie Aufgaben, die für Männer unmöglich waren. So nahmen z.B. im besetzten Frankreich Frauen gezielt Kontakte zu Besatzungssoldaten auf, um Informationen für die kämpfenden Einheiten des Maquis zu bekommen.
Und wir vergessen nicht die vielen tausend Frauen, die nicht allein im KZ Ravensbrück, sondern in den zahllosen Außenlagern aller KZ und als Zwangsarbeiterinnen vom faschistischen Regime ausgeplündert, misshandelt und ermordet wurden.

Diese verdienstvolle Rolle der Frauen im antifaschistischen Kampf wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht immer in der gebührenden Form gewürdigt. Umso wichtiger ist es, dass wir in der heutigen Zeit – und insbesondere in der Weitergabe der Geschichte des antifaschistischen Widerstands der Völker – die Rolle aller Frauen für das gemeinsame Handeln deutlich machen.

Antifaschismus ist keine Frage des Geschlechts. Aber es gehört zu den Grundlagen antifaschistischer Überzeugung, für eine vollständige Gleichberechtigung und die Würdigung des bedeutenden Beitrags von Frauen im antifaschistischen Handeln damals und heute einzutreten.

In diesem Sinne gratulieren wir allen Frauen zum 100. Jubiläum des Internationalen Frauentags, wünschen ihnen „Brot und Rosen“ und versichern ihnen, dass dieser Tag für die FIR und ihre Mitgliedsverbände eine Verpflichtung für heute und morgen darstellt.

Mumia Abu-Jamal: Jailhouse Lawyers – Knastanwälte

7. März 2021

Überall in Amerika gibt es Männer und Frauen in Bezirks-, Staats- und Bundesgefängnissen, die aktiv als Knastanwälte und Knastanwältinnen arbeiten, aber die meisten von ihnen haben keine einzige Stunde an einer juristischen Fakultät verbracht. Sie haben auf ihre eigene Art und Weise gelernt, was „Recht“ ist, hart erkämpftes Wissen, das sie in jahrelanger Erfahrung im Kampf erworben haben.

Dies ist die Geschichte eines Rechts, das nicht in den Elfenbeintürmen von Universitäten gelehrt wird, die mit etlichen Millionen gesponsert werden, von ordentlichem Rasen umgeben sind und von armen Menschen am Laufen gehalten werden, die alle prosaischen Sorgen wegputzen, -kehren und -waschen. Es ist das Recht, das im Laderaum der Sklavenschiffe, in den verborgenen, dunklen Kerkern Amerikas – dem Gefängnishaus der Nationen – gelernt wurde.

Es ist ein Recht, das man in einer Welt der Verbitterung erlernt, unter der ständigen Drohung von Gewalt, an Orten, an denen Millionen von Menschen leben, die Millionen andere Menschen lieber ignorieren oder vergessen wollen.

Es ist ein Recht, das mit Bleistiftstummeln oder mit zehn Zentimeter langen, biegsamen Kuli-Minen geschrieben wird, mit Mut, gelegentlich auffunkelnder Brillanz und dem klaren Wissen, dass die Vergeltung vor der Zellentür lauert.

Es ist eine andere Perspektive auf das Recht, eine Perspektive von ganz unten, mit der vagen Hoffnung, dass ein Unrecht in Recht verwandelt, eine Ungerechtigkeit wiedergutgemacht werden kann.

Es ist hart errungenes Recht. Dies sind die Geschichten dieses Ringens.

Das Recht lernen

Das Folgende sind Geschichten und Berichte aus erster Hand – aus der Schattenwelt der Knastanwälte und Knastanwältinnen. Es sind Geschichten von Häftlingen, die ihre Zeit und ihre geistige Energie darauf verwenden, ihren oftmals ungebildeten und des Lesens und Schreibens nicht mächtigen Mithäftlingen, für wenig mehr als ein Päckchen Kaffee oder einen Beutel Tabak als Lohn zu helfen.

Steve Evans

Steve war ein schmächtiger, energiegeladener Mann mit einem ausgeprägten Hinken, da aus seiner Zeit in Nord-Philadelphia stammte. Mit einem lockigen Haar und seinen markanten Gesichtszügen sah er aus wie ein olivhäutiger Puerto-Ricaner. Aber wenn er den Mund aufmachte, zeigte sein Akzent deutlich, dass er aus Nord-Philadelphia, und erinnerte auch ein bisschen an die ursprüngliche Herkunft seiner Familie – Virginia.

Weil er sich weigerte, seine Zelle mir einem anderen Häftlinge zu teilen, wurde er ins „Loch“ gesteckt, die Disziplinarabteilung in Block B des 100 Jahre alten Staatsgefängnisses Huntingdon. In den ungefähr sieben Jahren, die er im „Loch“ verbrachte, verließ er kaum seine Zelle und wagte sich innerhalb dieser Zeit vielleicht alle zwei, drei Jahre auf den sogenannten Hof hinaus (der eigentlich nur aus einer Reihe von Käfigen bestand). Den größten Teil seiner Zeit verbrachte er damit, durch seine Zellentür mit anderen Häftlingen zu quatschen oder ihnen kleine Botschaften zu schicken.

Er hatte zwei unumstößliche Regeln, die für seine Praxis verbindlich waren: keine Spitzel und keine Kinderschänder. Alle anderen Gefangenen konnten ihn um Hilfe bitten und er fand für gewöhnlich immer die Zeit, an ihren Fällen zu arbeiten. Außerdem fungierte er als Lehrer für jüngere Männer, die sich bemühten, Knastanwälte zu werden. Er arbeitete unaufhörlich.

Er bat andere Mitgefangene, sich sowohl aus der Rechtsbibliothek des Gefängnisses als auch von verschiedenen Gerichten die Unterlagen zu diversen Fällen zu bestellen (…)

Steve las also ununterbrochen, wobei er, immer eine Tasse Maxwell House Kaffee und seine starken selbstgedrehten Top-Zigaretten zur Hand, gern eine Pause einlegte, um mit Leuten, die sich dafür interessierten, bis tief in die Nacht hinein irgendwelche Fälle zu diskutieren.

Es hatte sich überall herumgesprochen, was er tat; die Männer wussten, dass sie ihm das Verfassen ihrer Schriftsätze anvertrauen konnten und dass er auch dann half, in der richtigen Form und am richtigen Ort Einspruch zu erheben, wenn kein Mensch sonst auf der Welt bereit war, sich darum zu kümmern. Hin und wieder kam dann jemand von seinem Gerichtstermin zurück und verkündete, Steves Rat sei richtig gewesen und er habe deswegen eine neue Anhörung in seinem Fall oder sogar ein neues Verfahren bekommen. Steve nahm solche Nachrichten mir wahrer Gelassenheit auf. Falls ihm das einen Schub für sein Ego gab, merkte man ihm das jedenfalls nie an. Seine beträchtlichen Talente schienen ihn eher verlegen zu machen und jegliches Lob wurde von ihm rigoros zurückgewiesen. (…)

Steve Evans brachte das, was er über das Recht gelernt hatte, allen Männern bei, die seiner Meinung nach genug Geduld hatten, es zu erlernen. Es gibt heute Dutzende von Leuten überall in Pennsylvania, die von ihm gelernt haben.

Das Problem war nur, dass Steve, so sehr er sich auch bemühte, mit seinem eigenen Fall nicht weiter kam. Das ist der Fluch der Knastanwälte. Sie scheinen allen helfen zu können außer sich selbst. In seinem eigenen Fall wegen schwerer Körperverletzung – Steve sagte, er habe auf einen Mann geschossen, der versuchte, ihn zu erschießen – konnte er kein neues Verfahren erreichen. Aber jenseits von Sieg oder Niederlage versuchte er weiter, ein gutes Ergebnis zu erreichen. Er kämpfte so lange und so hart wie er konnte.

Steve fand in seinem eigenen Fall nie den richtigen Dreh und saß die volle Haftstrafe ab. Als er sich schließlich darauf vorbereitete, das Huntingdon-Gefängnis zu verlassen, und ins Haus seiner geliebten Familie in Virginia zurückzukehren, legte man ihm einen längst vergessenen Haftbescheid auf Bundesebene vor – eine gerichtliche Anordnung, die nur eine Entlassung in Bundeshaft erlaubte – und verlegte ihn sofort in ein Bundesgefängnis , wo sein Kampf um Freiheit von vorn begann.

Aber es sollte nicht sein. Entmutigt durch die Wendung der Ereignisse, nach beinahe zehn Jahren im „Loch“, in dem er – wie er immer witzelte – rauchte „wie ein Cherokee“ und kaum mit frischer Luft oder Sonnenlicht in Berührung kam, starb Steve im Bundesgefängnis Lewisburg in Union County, Pennsylvania, nahe der Universität Bucknell, an Lungenkrebs.

In: Mumia Abu-Jamal: Jailhouse Lawyers – Knastanwälte, Strafgefangene im Kampf gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, Mit einem Vorwort von Angela Davis, Münster, 2013, Einleitung und Seite 35 ff.

Mumia hat Covid-19

5. März 2021

USA: Anwälte des politischen Gefangenen bestätigen Erkrankung. Solibewegung mobilisiert für Freilassung

Von Jürgen Heiser in junge Welt vom 5.März 2021

Im Bangen um die gesundheitliche Situation des US-Bürgerrechtlers Mumia Abu-Jamal hat eine Kundgebung der Solidaritätsbewegung für den politischen Gefangenen in Philadelphia am Mittwoch mittag (Ortszeit) traurige Gewissheit gebracht. Gegen Ende der vor dem Amtssitz des Bezirksstaatsanwalts Lawrence Krasner abgehaltenen Infoveranstaltung traf bei Johanna Fernández von der Kampagne »Bring Mumia Home« telefonisch die Nachricht ein, Abu-Jamal sei »positiv auf Covid-19 getestet worden«.

Gegenüber jW bestätigte Rechtsanwalt Robert Boyle telefonisch, die Information über das positive Testergebnis an Fernández weitergegeben zu haben. Gefragt nach einer weitergehenden Stellungnahme zur medizinischen Situation Abu-Jamals verwies Boyle darauf, sie werde »von einem der Komitees herausgegeben«. Bis jW-Redaktionsschluss am Donnerstag hatte diese Mitteilung der US-Solidaritätskomitees noch nicht vorgelegen.

Der New Yorker Anwalt Boyle und sein Kollege Bret Grote vom »Abolitionist Law Center« in Pittsburgh, Pennsylvania, hatten als Abu-Jamals Haftanwälte im März 2017 nach zähen juristischen Verhandlungen und internationaler Unterstützung die Anordnung eines US-Bundesgerichts durchgesetzt, dass die jahrelang von den Gefängnisbehörden ignorierte Hepatitis-C-Infektion ihres Mandanten endlich angemessen behandelt wird. Seine Leber war jedoch infolge der langen Verzögerung schon dauerhaft geschädigt.

Nach der jüngst eingetroffenen detaillierteren Schilderung der medizinischen Situation Abu-Jamals durch Noelle Hanrahan vom Projekt Prison Radio war er bereits am vergangenen Sonnabend in ein örtliches Krankenhaus eingeliefert worden. Das Personal der Krankenstation des Staatsgefängnisses SCI Mahanoy hatte die Verlegung wegen seiner Brustschmerzen und Kurzatmigkeit veranlasst. Die Klinikärzte diagnostizierten eine »kongestive Herzinsuffizienz«, so Hanrahan, also eine Herzschwächung, die durch eine Virusinfektion hervorgerufen worden sein könnte und dringender Diagnose und Behandlung bedarf.

Nachdem Abu-Jamals Unterstützer die Behörden seit Sonnabend mittels einer Telefonaktion unter Zugzwang gesetzt hatten, waren vom medizinischen Knastpersonal laut Hanrahan »drei negative oder falsch negative Covid 19-Tests und ein negativer Antigentest« erfolgt, die zu den kurzzeitigen Entwarnungen geführt hatten. Erst bei einer »im Krankenhaus durchgeführten serologischen Blutanalyse« sei Abu-Jamal »positiv auf Covid-19 getestet« worden, wie von Anwalt Boyle gemeldet.

Es sei »unklar, wie lange Mumia im Krankenhaus lag, aber am Mittwoch befand er sich in Isolation auf der Krankenstation des Gefängnisses«. Von dort habe er »seine Dankbarkeit für die weltweite Unterstützung und die Aufmerksamkeit für ihn und andere ältere Gefangene, deren Leben im Gefängnis bedroht« sei, übermittelt, so Prison Radio.

»Die Haftbedingungen in den US-Gefängnissen sind unmenschlich, wie bereits der UN-Menschenrechtsrat und die Richterin im Auslieferungsprozess gegen Julian Assange festgestellt« habe, erklärte dazu Zaklin Nastic, die menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag. Der »seit fast 40 Jahren unschuldig inhaftierte Mumia Abu-Jamal« müsse »mit sofortiger Wirkung freigelassen werden«, forderte Nastic in einer Pressemitteilung und prangerte die »Verschleierungsversuche der Gefängnisbehörden« an.

Hanrahan von Prison Radio forderte die Solidaritätsbewegung zum Handeln auf: »Wir, das Volk, müssen unsere Ängste beiseiteschieben. Es ist nicht die Zeit zu zögern, und wir dürfen nicht in Verzweiflung verfallen«. Die angesichts Tausender an Covid-19 Verstorbenen im US-Gefängnissystem lauter werdende Forderung nach Entlassung kranker Gefangener wie Abu-Jamal und aller über 50jährigen sei »kein Traum, sondern eine Notwendigkeit«. Um das Ziel zu erreichen, mobilisiert die Kampagne »Bring Mumia Home« für diesen Sonnabend zu einem »Global Virtual Street Meeting« von 20 bis 22 Uhr hiesiger Zeit. Motto: »Noch nie war die Freiheit so nah.«

kurzelinks.de/mumiastreetmeeting

https://www.jungewelt.de/artikel/397782.free-mumia-abu-jamal-mumia-hat-covid-19.html

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