21. September 2020
Von Dirk Krüger, Kreissprecher der VVN-BdA Wuppertal
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wie in jedem Jahr wurde meine Organisation, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), auch in diesem Jahr zu dieser wichtigen Mahn- und Gedenkveranstaltung als Redner eingeladen.
Dafür möchten wir uns ganz herzlich bedanken!
Bedanken möchten wir uns aber besonders für die unendlich wichtige Erinnerungsarbeit, die die Organisatoren in jedem Jahr leisten – und das bereits seit vielen Jahren!
Auch die VVN hat sich seit ihrer Gründung 1945 zum Ziel gesetzt, die Erinnerung an die Verbrechen des Faschismus immer und immer wieder ins Gedächtnis zu rufen und zum aktiven Handeln zu motivieren.
Das könnte der Grund sein, warum es ernstzunehmende und gefährliche Aktivitäten gibt, der VVN die Gemeinnützigkeit abzuerkennen.
Dagegen gibt es viel Proteste und Solidarität, die uns ermuntern und stärken.
Was viele vielleicht gar nicht wissen – und deswegen wollen wir heute darauf hinweisen -: wir haben – heute muss ich sagen, wir hatten – in Wuppertal eine „Kommission für eine Kultur des Erinnerns“ – so der offizielle Titel. Darin sind (waren) wichtige Mandatsträger (gemeint sich Ratsmitglieder) und weitere bekannte Wuppertaler Persönlichkeiten vereint.
Unbekannt ist, warum diese Kommission nicht zu den Unterzeichnern und Aufrufern für diese Veranstaltung gehört. Vielleicht ändert sich das mit dem neuen Stadtrat.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
In diesem Jahr konnte aus den bekannten Gründen die Gedenkveranstaltung nicht am 8. Mai durchgeführt werden. Darauf wurde schon hingewiesen.
Ich denke, der Ausweichtermin 15. September wurde mit Bedacht gewählt, denn an diesem 15. September im Jahr 1935, also heute vor genau 85 Jahren, wurden auf dem NSDAP „Parteitag der Freiheit“ – wie es zynisch hieß – die Nürnberger Rassegesetze verabschiedet.
Das Gesetz mit dem Namen „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ wurde von den Nazis kurz und zynisch „Blutschutzgesetz“ genannt.
Dem vorausgegangen war bereits am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ mit dem „nichtarische Beamte“ entlassen wurden. Es folgten die Künstler, und mit dem „Reichsbürgergesetz“ die Notare, Hebammen, Apotheker und viele andere Berufsgruppen.
Diese Erinnerungsarbeit ist und bleibt wichtig, denn die Erinnerung hat einen mächtigen Feind: Das Vergessen!
Deswegen haben auch viele Historiker, die sich mit dem Thema Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt haben, solche Überschriften gewählt: „Nach 1945: Vergessene Opfer, vergessene Lager“ oder „Vergessene Opfer – Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“.
Ich möchte noch einmal das ganze Ausmaß dieses Nazi-Verbrechens in Erinnerung rufen.
In Deutschland wurde die NS-Zwangsarbeit – trotz ihrer Verurteilung in den Nürnberger Kriegsverbrecher Prozessen – seitens der Politik und der Gerichte jahrzehntelang als übliche Begleiterscheinung von Krieg und Besatzung bezeichnet und damit zugleich bagatellisiert, nicht aber als Nazi-Verbrechen anerkannt.
Dabei war bereits früh klar: Über acht Millionen Zwangsarbeiter aus 20 europäischen Ländern lebten und schufteten in über 30.000 Lagern in Deutschland. Ein Drittel von ihnen waren Frauen und Mädchen. 85 % der Frauen, die manchmal auch Kinder mitbrachen oder im Lager gebaren, kamen aus der Sowjetunion und Polen. Aus der Sowjetunion wurden 1942 pro Woche 40.000 Menschen von der Straße weg verschleppt.
Nicht nur bei Daimler-Benz arbeiteten sogar neunjährige russische Jungen. Nach der Einberufung fast aller deutschen Männer in die Wehrmacht war die Aufrechterhaltung gewisser Produktions- und Lebensstandards nur mit der massenhaften Ausbeutung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern möglich.
Sie stellten z.B. bei der AEG fast 60 % der Belegschaft.
Nur mit ihnen wurden die landwirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung und die Rüstungsproduktion aufrechterhalten. Aber auch Religionsgemeinschaften und Stadtverwaltungen bedienten sich der billigen Arbeit der Zwangsarbeiter.
Fritz Sauckel, Generalbevollmächtigter der Nazis für den Arbeitseinsatz, erklärte 1944 offen: „Von fünf Millionen Arbeitern, die nach Deutschland gekommen sind, sind keine 200.000 freiwillig gekommen.“
Die deutschen „Herrenmenschen“ betrieben die systematische Unterwerfung der (Zitat) „rassisch minderwertigen osteuropäischen Arbeitsvölker“.
Für sie war deren Arbeit eine willkommene Beute des rassistischen Vernichtungskrieges.
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Polen und der Sowjetunion (sogenannte Ostarbeiter) waren zudem durch diskriminierende Sondererlasse besonders wehrlos der Willkür der Gestapo ausgeliefert. Sie durften Ihre Lager nur zur Arbeit verlassen und mussten entsprechende Kennzeichen auf der Brust tragen.
Alle Zwangsarbeiterinnen wurden besonders streng überwacht durch einen rassistisch-bürokratischen Kontrollapparat aus Wehrmacht, Arbeitsamt, Werkschutz, SS und Gestapo.
Viele Frauen litten unter zusätzlichen Verbrechen wie Vergewaltigung und Zwangssterilisierung.
Am schlimmsten war das Schicksal der jüdischen Zwangsarbeiterinnen in den zahlreichen KZ-Außenlagern.
Aber auch das gehört zu dieser Bilanz.
Anders als die Vernichtungslager lagen die Zwangsarbeiterbaracken direkt vor den Haustüren und Fenstern der deutschen Bevölkerung.
Selbst meine Schule, die Grundschule Schützenstraße beherbergte eine Zwangsarbeiterunterkunft.
Auf ihren langen täglichen Wegen zu Arbeit durch Stadtteile und Dörfer waren die Fremden ebenso unübersehbar wie auf den Feldern und in den Fabriken.
Keiner konnte sich nach 1945 rausreden…ich habe das nicht gewusst.
Der Historiker Ulrich Herbert schreibt: „Die Diskriminierung der Arbeiter aus Osteuropa wurde ebenso als gegeben hingenommen wie die Kolonnen halbverhungerter Menschen, die täglich durch die Straßen der Städte in die Fabriken marschierten…eben das aber machte das Funktionieren des nationalsozialistischen Arbeitseinsatze aus: dass die Praktizierung des Rassismus zur täglichen Gewohnheit, zum Alltag wurde.“
Ich habe dieses Zitat des Historikers Ulrich Herbert bewusst gewählt, denn die Gräber an denen wir uns heute versammelt haben, sind auch eine Dokumentation dieser Aussagen. Das, was der Historiker formuliert hat, muss auch für das inhumane Geschehen in unserer Stadt als zutreffend hingenommen werden.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
der ehemaligen Bundespräsident Weizäcker hat einmal sinngemäß gesagt: Die Erinnerung an Ereignisse in der Vergangenheit, ja, selbst deren Transport in die Gegenwart macht keinen Sinn, wenn daraus nicht Handlungen für die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft erwachsen.
Darauf weist auch der Aufruf zu unserer heutigen Veranstaltung hin!
Die Auschwitzüberlebende Esther Bejarano fordert: Die Erinnerung an die Vergangenheit muss zum Kampf für eine Gegenwart und Zukunft ohne Krieg und Faschismus werden. Sonst macht die Erinnerung keinen Sinn.
Wenn diese Veranstaltung am 8. Mai stattgefunden hätte, hätten wir es da gesagt. Nun wollen wir es heute sagen. Esther Bejarano hat am 8. Mai gefordert, dass dieser Tag der Befreiung vom Faschismus auch in unserem Land zu einem offiziellen nationalen Feiertag wird! Eine entsprechende Petition wurde inzwischen von vielen Menschen unterzeichnet. Wir sollten diese Initiative nach Kräften unterstützen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir über das nachdenken, was in Gegenwart und Zukunft zum wichtigen Thema unseres Kampfes werden muss, dann sehe ich das.
Wir werden immer häufiger Zeugen einer gefährlichen Rechtsentwicklung in unserem Land. Die Vorgänge vor einigen Tagen in Berlin haben es erneut gezeigt. Nun ist die AFD mit 6% Prozent in den Wuppertaler Stadtrat gewählt worden. Das ist eine Schande für unsere Stadt! Eine der Aufgaben für die Zukunft muss sein, dass wir alle gemeinsam gegen die Rechtsentwicklung, gegen alle Formen des Neofaschismus kämpfen. Wenn die Erinnerung hier heute an den Gräbern der Zwangsarbeiter einen Sinn machen soll, dann ist es die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Rechtsentwicklung.
Ein weiteres Thema unseres Kampfes in der Zukunft muss der Kampf gegen den Rassismus sein, der sich nicht nur in den USA zeigt. Auch in unserem Land haben wir es immer wieder mit dem Alltagsrassismus zu tun, der öffentlich von den davon betroffenen Menschen geschildert wird. Erinnern möchte ich an die Auseinandersetzung um die Umbenennung der „Mohrenstraße“, die ja von der Bezirksvertretung verschoben worden ist. Das sollte nicht auf die lange Bank geschoben, sondern rasch erledigt werden.
Vor ein paar Tagen wurde im Fernsehsender arte ein Dokumentarfilm zur Geschichte des Rassismus gezeigt. Es war einfach erschütternd zu sehen, was Menschen Menschen antun können. Wir sollten prüfen, ob man diesen Film nicht besorgen und den Bewohnern der „Mohrenstraße“ und in Jugendeinrichtungen zeigen kann.
Ein ganz wichtiges Thema für die Zukunft ist und bleibt der Kampf um Frieden, um Abrüstung statt Aufrüstung, um den Stopp des Exports von Kriegswaffen. Wir müssen weiter dafür eintreten, dass die US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland verschwinden. Das waren die wichtigsten Themen am 1. September, dem internationalen Antikriegstag, die auch auf einer Veranstaltung hier in unserer Stadt im Zentrum standen.
Abschließen möchte ich mit einem kleinen Mut machenden Bericht. 100 Musiker des bundesweiten Netzwerks „Lebenslaute“ haben vor ein paar Tagen in der Ortschaft Unterlüß das dortige Werk des Rheinmetall-Rüstungs-Konzerns blockiert. Sie konnten die vier Haupttore gewaltfrei und effektiv für mehrere Stunden mit musikalischen Konzerten unpassierbar machen und mit den Arbeitern diskutieren. Im Anschluss an die musikalischen Blockaden besuchten die Musiker das ehemalige Außenlager Tannenberg und legten für die in dem Lager ermordeten jüdischen Zwangsarbeiterinnen, die für den Rüstungskonzern Rheinmetall schuften mussten, Blumen nieder. Es wurde die Forderung an Rheinmetall und die Gemeinde nach einer würdigen Gedenkstätte zur Erinnerung an die Zwangsarbeiter und die an ihnen begangenen Verbrechen erhoben.
Damit schließt sich der Kreis zu unserer heutigen Veranstaltung: Für ein friedliches und solidarisches Miteinander!
Vielen Dank für ihre Geduld und Aufmerksamkeit!