An die SpitzenkandidatInnen von CDU, SPD, FDP,Die Grünen, Die Linke
Wuppertal, den 20. Februar 2017
Sehr geehrte Damen und Herren
Das Wuppertaler Bündnis gegen Nazis ist ein breites Bündnis antifaschistischer Personen, Gruppen und Organisationen. In den vergangenen Jahren haben wir uns gegen die NPD, die Republikaner, Pro NRW und Die Rechte und Gruppen von NeofaschistInnen und RassistInnen engagiert.
Wir möchten Sie als KandidatInnen ihrer Parteien bitten, im Wahlkampf für den Landtag in NRW und für den Bundestag auf alle gemeinsamen Veranstaltungen mit den KandidatInnen der Partei Alternative für Deutschland zu verzichten.
Gemeinsame Veranstaltungen legitimieren die fremdenfeindlichen Positionen der AfD und lassen diese menschenverachtenden Ansichten als „normal“ erscheinen. Die AfD vertritt rassistische Inhalte.
Die vielfache Erfahrung zeigt, dass es keine offenen Diskussionen mit FunktionärInnen der AfD geben kann.
Systematisch weisen AfD-PolitikerInnen die Verantwortung für skandalöse Äußerungen aus ihrer Partei zurück, oder sie gehen gar nicht erst auf die kritische Erwähnung rassistischer Zitate, Vorkommnisse und Personen aus der AfD ein.
Diese Erfahrung hat auch das Presbyterium der evangelischen Südstadt-Gemeinde in Wuppertal-Elberfeld gemacht.
Der stellvertretende Vorsitzende des Presbyteriums hat sich als Wuppertaler AfD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl aufstellen lassen. Nach dem Bekanntwerden wurde im Presbyterium die offene Diskussion mit dem AfD-Vertreter gesucht. Auch er hat jede Verantwortung für die politischen Inhalte, die in der breiten Öffentlichkeit mit der AfD verbunden werden, abgelehnt.
In einem bundesweit einzigartigen Schritt ist das Presbyterium der Südstadt-Gemeinde geschlossen zurückgetreten.
So konnte der Versuch des AfD-Politikers, sein gesellschaftliches Ansehen als Presbyter für den Wahlkampf der AfD auszunutzen, unterbunden werden.
Bitte seien Sie genauso mutig und konsequent wie die Mitglieder des Presbyteriums!
Folgen Sie dem Beispiel der Wuppertaler Christinnen und Christen und setzen Sie ein unmissverständliches Zeichen gegen den Rassismus, den die AfD repräsentiert.
Bitte helfen Sie, dem Hass und dem Rassismus kein Forum im Wahlkampf zu geben.
Lehnen Sie alle gemeinsamen Veranstaltungen mit der AfD ab!
Mit freundlichen Grüßen
Für das Wuppertaler Bündnis gegen Nazis
Sebastian Schröder VVN-BdA Wuppertal – Kreissprecher
»Nach den israelischen Wahlen im Herbst – und dem Sieg der extremen Rechten – ist alles anders.« Und seit dem 7. Oktober ist der Konflikt in Israel–Palästina abermals ins Zentrum des Weltgeschehens gerückt. Gerade für die VVN ist es zentral, die Kategorien Israel, Zionismus und Judentum zu klären, um den Antisemitismus zu erkennen und ihm entgegentreten zu können.
Deborah Feldman trägt mit ihrem Buch »Judenfetisch« zum Sichtbarmachen der gesellschaftlichen Komplexität bei, denn es handelt von jüdischer Identität und Selbstbestimmung, von Religiosität, Holocaust, Israel und natürlich von Deutschland. Die Autorin hat 2012 in »Unorthodox« den ersten Teil ihrer Lebensgeschichte geschildert, ihre Kindheit und Jugend in einer chassidischen Gemeinde in New York und ihre radikale Emanzipation von diesen einengenden Verhältnissen. Das Buch ist eine Mischung aus Essay und Roman. Den erzählerischen Rahmen bildet eine Reise nach Jerusalem zur Gedenkzeremonie in Jad Vashem.
Feldman schildert kurz ihr Leben in den USA, seit 2014 lebt sie in Berlin, nachdem sie zuvor in New York eine Gruppe deutscher Juden kennengelernt hatte. »Ganz zu schweigen von der außergewöhnlichen Menge an Konvertiten in der Gruppe. Ich war noch nie so vielen jüdischen Konvertiten auf einmal begegnet.« Bei der Suche nach einer spirituellen jüdischen Heimat zieht sie nach Deutschland und bekommt Einblick in die spezifisch deutsch-jüdischen Verhältnisse. »Schau dich um, die Menschen hier sind eigentlich mindestens zur Hälfte (…) keine Juden. [Es] ist schon auffällig, dass sie eher aus dem christlichen Milieu kommen, viele stammen aus Pfarrersfamilien. (…) Von diesen gibt es hier jede Menge, und in Deutschland reicht das schon, um eine jüdische Gemeinde zu gründen. Dann sind eigentliche Juden eher Störenfriede. «Und in den meisten Positionen in den deutsch-jüdischen Gemeinden und Organisationen findet Feldman Konvertiten. Sie berichtet von einer Rede Walter Homolkas, der seit vielen Jahren der zentrale Akteur bei der Errichtung der deutsch-jüdischen Institutionenwelt ist. Er stammt aus einer christlichen Familie und ist mit 17 Jahren zum Judentum konvertiert.
»An den Studierenden liege es, zukünftige Führer der Welt zu sein, Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen, Zeitgeschichte zu prägen. (…) [Ich] fand es in dem Moment unfassbar, dass ein Rabbiner öffentlich kundtat, jüdisch zu sein hieße im Prinzip, die Weltherrschaft zu ergreifen. Es war, als hätte jemand die schlimmsten antisemitischen Verschwörungstheorien internalisiert, um sie dann in eine entsprechende neue Performance von Judentum umzuwandeln.«
Doch nicht nur zahlreiche Erlebnisse in Deutschland und Beobachtungen über die deutsche Gesellschaft finden sich im Buch. Die Autorin berichtet über viele Aspekte des orthodoxen Judentums in Israel und in den USA, und über den Wandel der Orthodoxen im Verhältnis zu Israel: »Der ursprüngliche Konsens unter Orthodoxen, Israel dürfe es nicht geben, ist heute einem neuen Konsens gewichen: Israel dürfe es nur ›unter uns‹ geben.« So wird die existenzielle Spannungen auslösende aggressive Siedlungspolitik durch das Zusammengehen der säkularen Rechten mit der seit circa drei Jahrzehnten zum Staat gewendeten rechten Orthodoxie erst verständlich. Es werden an vielen Stellen Elemente der jüdischen Religion erklärt, in inhaltlicher Bedeutung und gesellschaftlicher Wirksamkeit. So beruft sich Netanjahu nach dem 7. Oktober in der Rechtfertigung der Blockade, der Bombardierung und des Einmarsches in Gaza auf »Amalek«, das ist eine Stelle der Purim-Erzählung. Netanjahu fordert öffentlich die Vernichtung aller Palästinenser:innen, da sie Amalek seien! Feldman beschreibt (vor dem 7. Oktober) den Hintergrund: »Agag, König der Amalekiter, der großen achetypischen Feinde der Juden in der hebräischen Bibel, von denen es heißt, alle künftigen Feinde der Juden seien ihre Nachkommen, ganz gleich, ob nun dem Blute oder dem Geiste nach.«
Deborah Feldmans Buch enthält viele wichtige und bedenkenswerte kleine und große Beobachtungen, manche Thesen oder Schlagworte sind unbestreitbar provokant und diskussionswürdig. In der Jüdischen Allgemeinen beschimpft eine »Verriss« genannte Besprechung das gesamte Buch deshalb zu Unrecht als »wirre Kaskade von Klischees, Israelhass und jüdischem Selbsthass«.
Aber gerade in Deutschland ist es ein unverzichtbares Lehrbuch, geschrieben von einer selbstkritischen und reflektierten Autorin. Die Lektüre ist schmerzhaft; und wie jedes wichtige Buch verändert es die Lesenden.
Pressemitteilung der VVN-BdA Wuppertal vom 6. Januar 2024
Die VVN-BdA Wuppertal ist entsetzt über die Äußerung von Jürgen Hardt, Bundestagsabgeordneter der CDU für Wuppertal, Remscheid, Solingen.
Er hat am 2. Januar 2023 auf seinem Instagram-Account folgenden Satz veröffentlicht:
„Der Libanon braucht dringend unsere Hilfe, um den Parasiten Hisbollah loszuwerden.“
Wir lehnen die Verwendung dieses Wortes ab, das aus der faschistischen Tradition stammt. Es war das zentrale propagandistische Schlagwort für die Markierung, Verfolgung und Ermordung von Minderheiten in Deutschland.
Hardt normalisiert mit der Verwendung des Wortes „Parasiten“ den rassistischen Diskurs in unserem Land.
International ist die Provokation mit einem der aggressivsten Begriffe des deutschen Faschismus eine gefährliche Eskalation. Hier werden von Jürgen Hardt gezielt Wege der Diplomatie verbaut, jegliche Bemühungen um Frieden torpediert.
Die VVN-BdA Wuppertal schaut, zusammen mit den Menschen im Bergischen Land, erschrocken auf den außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU- Bundestagsfraktion.
Die Mitgliederversammlung der Kreisvereinigung Wuppertal hat beschlossen:
Wir fordern die Bundesvereinigung der VVN-BdA auf:
1.
Die Bundesvereinigung äussert sich zur Lage und Entwicklung in Gaza, der Westbank und Westjordanland und stellt sich klar und eindeutig auf die Seite der Menschenrechte gegen die brutalen Kriegsverbrechen der israelischen Armee an der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Begründung:
Die einzige Äusserung vom 10. Oktober 2023 liegt schon 2 Monate zurück und kann deshalb nicht mehr der dramatischen Eskalation gerecht werden.
Die VVN-BdA muss sich hier auf die Expertisen der UNO, Unicef, Unwra und der anerkannten Nichtregierungsorganisationen Internationales Rotes Kreuz, Ärzte ohne Grenzen, Medico International, Oxfam, Human Rights Watch, Amnesty International, Save the Children berufen.
Die Analysen dieser Menschenrechtsorganisationen zu Vertreibung, Massenmord, dem Einsatz von Hunger, fehlendem Wasser und medizinischer Versorgung als Waffe, dem Einsatz von geächteten Waffen wie Weissem Phosphor, der kollektiven Bestrafung der palästinänsischen Zivilbevölkerung insbesondere der Kinder sind eindeutig.
Die Stimmen der israelischen, der jüdisch – palästinensischen NGOs und Friedensorganisationen wie btselem, breakingthesilence, standingtogether sowie nationaler und internationaler jüdischer Stimmen gegen den Krieg muss die VVN/BDA unterstützen und weitertragen um einen Frieden in Palästina_Israel zu erreichen und weiteres Massensterben zu verhindern.
2.
Die Bundesvereinigung lädt organisationsweit zu einer Veranstaltung oder Veranstaltungsreihe oder zu einem außerordentlichen Kongress ein,wo das Verhältnis zu den verschiedenen Definitionen von Antisemitismus und den jeweiligen Implikationen (Bündnispartnerproblematik) diskutiert wird.
Begründung:
Die differenzierte Stellung zu Antisemitismus ist seit dem 7. Oktober 2023 in unserer Organisation besonders wichtig.
Im Namen der sogenannten Staatsräson wird Antisemitismus zugunsten der Unterstützung des Staates Israels instrumentalisiert und damit extremrechte/ rechtsextreme Politik unterstützt.
D.h. auch, dass die Vermischung von Staat Israel, Zionismus und Judentum, jüdischer Religion einer sicheren Einschätzung der Lage entgegensteht und verhindert, den Antisemitismus und alle seine Träger zu erkennen, dem Antisemitismus entgegenzutreten.
Auf unserer jährlichen Mitgliederversammlung haben wir über die Einschränkung der Redefreiheit und des Demonstrationsrechtes,die unvollständig Berichterstattung und dadurch mangelnde umfassende Informtion der Bevölkerung in Deutschland, über die fehlende Rassismus-Kritik, das fehlende Engagement zu einem klaren antimilitaristischen Standpunkt diskutiert.
Es wurde bemerkt, dass die Diffamierung legitimer Kritik an israelischer Politik nicht erst seit dem 7. Oktober zunimmt.
Auch zu diesen Punkten muss die VVN-BdA sich äußern.
Nicht zuletzt fordert die Kreisvereinigung Wuppertal den Bundesverband auf sich vehement für einen sofortigen unbefristeten Waffenstillstand und diplomatische Initiativen einzusetzen.
Im Sinne der Opfer des Holocausts, der Überlebenden, der WiderstandskämpferInnen müssen wir alles dafür tun die Menschenrechte – das Menschenrecht – wiederherzustellen.
Die VVN-BdA wendet sich gegen jede Art und Form des Antisemitismus.
Nicht jede Kritik an israelischer Regierungspolitik und Akteuren der israelischen Gesellschaft ist von vornherein des Antisemitismus zu bezichtigen.
Die VVN-BdA unterstützt alle Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben zwischen Israel und seinen Nachbarn und alle Bemühungen um eine Friedenslösung zwischen Israel und den Palästinenser/innen, die den legitimen Interessen beider Seiten entspricht.
Für die VVN-BdA ist das Verhältnis zu Israel in erster Linie davon bestimmt, dass dort eine große Zahl von Überlebenden des Holocaust und deren Nachkommen leben. Israel ist der Zufluchtsort für Jüdinnen und Juden aus aller Welt.
Wer diese grundsätzliche Konsequenz nach der Shoah infrage stellt, kann für uns kein Bündnispartner sein. Das gilt insbesondere für extrem reaktionäre, frauen- und demokratiefeindliche Organisationen, die das Existenzrecht Israels nicht anerkennen.
Auch die israelische Gesellschaft ist gespalten: Rassismus, Nationalismus, religiöser Fundamentalismus und weitere reaktionäre Strömungen sind genauso vorhanden wie Friedensbewegung, Bürgerrechtsbewegung und die verschiedenen sozialistischen Strömungen.
Wir haben also Freunde und Bündnispartner in Israel, die an der gleichen „Welt des Friedens und der Freiheit“ arbeiten wie wir. Viele dieser KameradInnen stehen in Opposition zur israelischen Regierungspolitik oder stehen ihr zumindest kritisch gegenüber. Ein wichtiger Aspekt ihrer Überlegungen ist die Überzeugung, dass Israel nur in Frieden mit seinen Nachbarn überleben kann.
Die parlamentarische Demokratie in Israel erlaubt auch radikale Kritik. Reaktionäre Regierungspolitik erfordert auch in Israel radikale Kritik. Wer versucht, israelische Oppositionelle, die mit Sorge analysieren, welche katastrophalen Folgen die permanente Kriegssituation für die gesellschaftliche Entwicklung hat, zum Schweigen zu bringen, kann für uns auch kein Bündnispartner sein. Die Vorstellung, deutsche Linke müssten die Grenzen zulässiger linker Kritik an israelischer Politik bestimmen, ist absurd.
Ilko-Sascha Kowalczuk hat den ersten Teil einer monumentalen Biografie zu Walter Ulbrich vorgelegt
Genau fünfzig Jahre nach dem Tod von Walter Ulbricht hat der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk den ersten Teil seiner monumentalen Ulbricht-Bio-grafie vorgelegt, versehen mit dem suggestiven Untertitel »Der deutsche Kommunist«. Kowalczuk schildert die Stationen des Lebens von Deutschlands bekanntestem und umstrittenstem linken Politiker, neben Erich Honecker, beginnend mit Elternhaus und Geburt bis zum 1. Mai 1945.
Geboren 1893 in Leipzig als Sohn eines Schneiders, ist Ulbricht ab 1907 engagiert in der Arbeiterjugendbewegung. Der gelernte Tischler muss dem verhassten Kaiserreich im Ersten Weltkrieg als Soldat dienen. Er ist in Leipzig an der Novemberrevolution beteiligt und wird ab 1919 aktiv für die KPD. Seitdem ist er als Funktionär zunächst in Leipzig und dann an vielen Orten in Deutschland sowie Europa aktiv. Die Geschichte der Weimarer Republik ist auch die Geschichte des Politikers Ulbricht: die Niederschlagung der Räte 1919 durch die Freikorps, der Kapp-Putsch 1920, der rechte Terror mit Ermordung von Matthias Erzberger 1921 und von Walther Rathenau 1922, das Katastrophenjahr 1923 mit Ruhrbesetzung, Hyperinflation, fehlgeschlagenem Oktoberaufstand der KPD und Hitler-Putsch. Die Stabilisierungsphase von 1924 bis 1929 endet mit der großen Depression, mit beispielloser Massenerwerbslosigkeit und der Kaltstellung des Reichstages durch die Notverordnungen. Der explosionsartige Aufstieg der NSDAP ab 1930 führt zu Straßenterror und Bürgerkrieg und zwingt die KPD in den direkten antifaschistischen Kampf gegen die SA. Als am 30. Januar 1933 mit der Machtübertragung an Hitler der Faschismus installiert wird, folgen Illegalität und Emigration, die Volksfront in Frankreich und der Bürgerkrieg in Spanien, die Abgründe der Schauprozesse, Massenverhaftungen und Hinrichtungen deutscher Kommunisten in der UdSSR, der Albtraum des Hitler-Stalin-Paktes und mit dem Überfall auf die Sowjetunion die antifaschistische Agitation unter den deutschen Kriegsgefangenen und die Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland. Ab 1944 bereitet sich Ulbricht auf die Rückkehr in das besiegte Deutschland vor. »Aus einem führenden kommunistischen Funktionär (…) war in der Emigration der wichtigste deutsche Kommunist geworden.«
»Keine Intelligenz, machtmissbrauchend, hölzern, hinterhältig, angsteinflößend, keinerlei Dialogbereitschaft oder diplomatisches Geschick, alles war von Ideologie oder Worthülsen überlagert.« So formuliert Kowalczuk das Zerrbild Ulbrichts, das von seinen Gegnern gezeichnet wurde. Auf Wikipedia leben die feindseligen Zuschreibungen weiter: die »Fistelstimme mit sächsischem Zungenschlag, sein Mangel an rhetorischer Begabung und sein grundsätzlich misstrauischer Charakter«. Dagegen wirft Kowalczuk einen neutraleren Blick auf Ulbricht. Allerdings ist die angestrebte »Gesellschaftsgeschichte« nicht gelungen. So werden Ereignisse häufig nicht in ihrer Bedeutung klar. Wie soll etwa die »Sozialfaschismus-These« verstanden werden ohne die großen politischen Konflikte, an denen sich die Gegnerschaft zur SPD immer wieder entzündet, herauszuarbeiten? Der Autor verliert sich stattdessen in Details, und nur mit Vorwissen kann der geschichtliche Verlauf gesehen werden.
Natürlich war die Politik der KPD fest am Vorbild der Bolschewiki in Russland orientiert, mit allen Implikationen. Ulbricht war »als Moskauer in Berlin«. Zugleich waren in der KPD die konsequentesten Gegner der Rechten organisiert und dann der NSDAP. Deshalb kann ohne eine breite und tiefe Kontextualisierung kein ausgewogener Blick auf Ulbricht und die Politik der KPD geworfen werden. Dies leistet die Biografie nicht.
Als dünne theoretische Folie dient Kowalczuk eine einfache Skizze der Totalitarismustheorie, die sich überall im Buch verstreut findet. Etwa: »Der Leninismus ging wie auch der Faschismus (…) aus dem Marxismus hervor.«
Die Präsentation der vielen Quellen ist die Leistung des Buches. Aber der Autor kann die »Papierberge« nicht bändigen. Es werden unzählige Dokumente zitiert, und es werden sehr viele Personen erwähnt. So bleibt die Relevanz der Ereignisse häufig unklar, Entscheidendes wird nicht von Unwichtigem getrennt.
Im zweiten Band, der 2024 erscheint, wird Kowalczuk über den »kommunistischen Diktator« Ulbricht erzählen. Der erste Teil der Biografie ist die notwendige Vorarbeit dazu. Immer hat die Existenz der DDR die bundesrepublikanische Gesellschaft herausgefordert, und immer steht die Deutung der Geschichte der DDR in Wechselwirkung mit der Geschichte der BRD. Dann geht es auch um die Gegenwart.
Wir sind in tiefer Trauer über die vielen Toten der letzten Tage und die grauenhafte Gewalt, die diese Woche überschattet. 700 Frauen, Kinder und Männer wurden in ihren Wohnungen hingerichtet, entführt, vergewaltigt und durch die Straßen gezerrt. Wir verurteilen den Terror der islamistischen Hamas und den Antisemitismus, der sich in diesen Tagen – nicht nur im Nahen Osten – Bahn bricht. Wer die Gewalttaten der letzten Tage „feiert“, sich über den Tod hunderter Menschen freut und ihn als „Befreiung“ tituliert, stellt dadurch seine Menschenverachtung zur Schau. Wir sind in Gedanken bei allen Menschen in Israel und in Gaza, die bei Bombenangriffen getötet und verletzt wurden. Unsere Anteilnahme gilt auch jenen, deren Angehörige und Freund*innen sich derzeit in der Gewalt der Hamas befinden.
Als Vereinigung, die auch von jüdischen NS-Verfolgten gegründet wurde, möchten wir außerdem daran erinnern, dass noch heute circa 150.000 Menschen in Israel leben, die einst die Shoah überlebten und Zuflucht in Israel fanden. Wir hoffen, dass alle diese schreckliche Zeit überstehen.
Der vergangene Samstag war auch ein schwarzer Tag für alle, die sich im Nahen Osten für ein menschenwürdiges Leben für alle und gegen religiösen Fanatismus einsetzen. Die demokratische Zivilbewegung in Israel und ihr Protest gegen den Demokratieabbau im eigenen Land dürfte vorerst an ihr Ende gekommen sein.
Wir warnen vor der Gewaltspirale, die sowohl für die israelische als auch für die palästinensische Bevölkerung nur weitere Katastrophen bereithält und appellieren an die politischen Verantwortlichen, eine gewaltfreie Antwort auf den schrecklichen Terror zu finden. Gaza dem Erdboden gleichzumachen und dabei hunderte Zivilist*innen zu töten, bringt weiteres unvorstellbares Leid mit sich und befeuert die Gewaltspirale. Wir warnen auch vor rassistischen Reflexen, die arabische und palästinensische Menschen mit Antisemitismus gleichsetzen und von rechten Akteur*innen hier in Deutschland für ihre Zwecke missbraucht werden.
Warum wir keinen VS brauchen: Ronen Steinkes Buch zum BRD-Geheimdienst
Der Jurist und Autor Ronen Steinke arbeitet als Journalist für die Süddeutsche Zeitung und recherchiert schon lange im Bereich der deutschen »Sicherheitspolitik«. Das vorliegende Buch ist eine Mischung aus aktuellen Reportagen und der Untersuchung der Geschichte, der Funktionsweise und der Bedeutung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) von 1949 bis heute. »Das Personal (…) hat sich innerhalb der vergangenen zwanzig Jahre knapp verdoppelt. (…) Zugleich hat sich das Budget (…) innerhalb desselben Zeitraumes sogar verdreifacht.« Die Macht des Geheimdienstes sind die knapp 4.000 Hauptamtlichen, zu denen noch circa 3.700 Agent:innen in den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz kommen.
Der VVN bestens bekannt
Die VVN kennt den VS schon aus vielen Auseinandersetzungen: »Heute beobachtet der Verfassungsschutz im Bund, in Nordrhein-Westfalen, in Baden-Württemberg, Hessen und Bayern die Vereinigung noch immer. Seit 2005 informiert das Bundesamt allerdings schon nicht mehr in seinen jährlichen Verfassungsschutzberichten darüber. Das sei bei weniger wichtigen Gruppen nicht nötig.«
1959 hatte die Bundesregierung ein VVN-Verbotsverfahren wegen »Verfassungswidrigkeit« angestoßen, das 1962 ohne Erklärung nicht mehr weitergeführt wurde. Der Grund: Das Gericht und die Anklage wurden von den furchtbaren Juristen Dr. Fritz Werner und Dr. Hermann Reuß geführt, und die internationale Öffentlichkeit reagierte entsetzt auf deren Nazivergangenheit. Seit der Öffnung der VVN für junge Mitglieder zum Bund der Antifaschisten im Jahr 1971 fand ab 1973 eine Erwähnung im VS-Bericht statt. Die Mitgliedschaft in der VVN-BdA wurde damit für viele Jahre zum Grund für ein Berufsverbot. Steinke schildert auch die Enttarnung eines Spitzels in Bayern 2011, der über Jahre genauestens die Aktiven für den VS beobachtet hat. Ab 2019 folgte dann der Versuch des Entzugs der Gemeinnützigkeit, wieder mit der konstruierten Behauptung der Verfassungswidrigkeit der VVN-BdA.
Die Geschichte des VS zeigt, dieser war als Teil des Staatsapparates der BRD immer rechts, sei es unter liberalen oder unter konservativen Regierungen. Bezeichnend ist da die »Karriere« des SA-Mannes Hubert Schrübbers, der schon ab 1939 als NS-Staatsanwalt Widerstandskämpfer:innen verfolgte und von 1955 bis 1972 Präsident des BfV war. Bezeichnend auch die Rolle des VS beim sogenannten Radikalenerlass und der Durchsetzung der Berufsverbote ab Beginn der 1970er-Jahre. Nicht zu vergessen die Rolle der »Schlapphüte« hinsichtlich des NSU-Terrors: Die Morde unter den Augen des VS bleiben ungeklärt. Der damals zuständige Leiter des Verfassungsschutzamtes Thüringen, Helmut Roewer, publiziert jetzt in rechten Medien, genau wie Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesamtes von 2012 bis 2018.
Die Befugnisse des VS sind im Vergleich zu ähnlichen Institutionen in den USA, in Frankreich und Österreich einzigartig, denn die offene Ausspähung legaler Aktivitäten gibt es dort nicht. Zugleich unterliegt der VS kaum parlamentarischer Kontrolle; dafür ist die Behörde weisungsgebunden an Bundes- und Länderinnenministerien. »Vielleicht ist Björn Höcke nächstes Jahr schon Innenminister in Thüringen und damit Dienstherr des Verfassungsschutzes. Dann schauen wir mal …«, so ein AfD-Abgeordneter im Innenausschuss des Bundestages im Juni 2023.
Die Beobachtung und die Beeinflussung in den sozialen Medien durch systematisch aufgebaute Fake-Accounts, die Onlinedurchsuchungen sind moderne Methoden der Bespitzelung. Noch wichtiger und jahrzehntelang bewährt hat sich die Infiltration durch sogenannte V-Leute: »Es ist ein mächtiges, wirkungsvolles Instrument, das der Geheimdienst da in den Händen hält.«
Steinke fordert offen die Abschaffung des VS: »Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen legale politische Aktivitäten spioniert, dann schädigt das die Demokratie. Wenn der Inlandsgeheimdienst gegen – mutmaßlich – illegale politische Aktivitäten spioniert, dann (…) unterläuft [dies] das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.«
Abschaffung eher unwahrscheinlich
Allerdings ist die Bedeutung des täglich erfassten Herrschaftswissens in Verbindung mit dem kontinuierlichen Wachstum enorm und macht es unwahrscheinlich, dass der Verfassungsschutz wirklich abgeschafft wird. Unter Thomas Haldenwang ist der VS mächtiger als je zuvor.
Der liberale Jurist und Journalist Ronen Steinke hat ein wichtiges Sachbuch geschrieben. Alles, was wir über den Verfassungsschutz wissen müssen, finden wir darin. Er zeichnet ein realistisches Gesamtbild dieses Geheimdienstes und ermöglicht zugleich die Rehabilitierung der früheren Opfer der Überwachung als auch der heutigen. Dazu zählen neben der VVN viele andere Organisationen, Personen und Medien. Und die faschistische AfD? Für die VVN ist klar, dass die Partei mit politischen Mitteln bekämpft werden muss. Dieser »Politik-Beobachtungs-Geheimdienst« kann das nicht!
»Wenn du hier politisch wirst, ändert sich alles«: Zu »Unter Nazis«
Im sächsischen Zwickau fährt ein Bus der städtischen Verkehrsbetriebe mit einem roten Eisernen Kreuz auf schwarzem Hintergrund. Dieser Bus macht stadtweit Werbung für das Tattoo-Studio eines bekannten Zwickauer Rechten, der auf Fotos schwer bewaffnet posiert und auch die Motive »Schwarze Sonne«, der »Rote Baron« und Wehrmachtssoldaten anbietet.
Jakob Springfeld, 21-jähriger Autor von »Unter Nazis – jung, ostdeutsch, gegen rechts« ist in Zwickau geboren und aufgewachsen. Er kennt das Haus in der Frühlingsstraße, in dem elf Jahre lang das NSU-Trio gewohnt und seine Gewalttaten vorbereitet hat, das Haus, das Beate Zschäpe am 4. November 2011 gesprengt hat. Das Trauma des NSU-Terrorismus ist mit seiner Kindheit und seiner Heimatstadt verbunden. In Zwickau herrschte lange bleiernes Schweigen zum NSU-Netzwerk nebenan, erst seit 2016 gibt es ein Gedenken an die Opfer des Naziterrors, aber auch die wiederholte Zerstörung dieser Gedenkorte durch Nazis – das oft geforderte Zwickauer NSU-Bildungs- und Dokumentationszentrum, das nationale Bedeutung wegen nationaler Verantwortung hat, gibt es immer noch nicht!
Geboren in ein christliches Elternhaus, zählt Jakob Springfeld seine Familie zu den Wendegewinnern, bleibt verschont von Armut und Erwerbslosigkeit. Klar sieht er, dass er privilegiert ist: »Wenn du weiß, männlich und unpolitisch bist, kannst du ein schönes, unbeschwertes Leben führen in Zwickau.« Mit dem Anstieg der Zahl an Geflüchteten im Jahr 2015 beginnt sich Jakob Springfeld zu engagieren und zu politisieren, er wird stadtbekannter Klima-Aktivist und Antifaschist.
Der Hass der Rechten gegen Minderheiten, Punks, Zugewanderte und Andersdenkende trifft ihn ziemlich bald. Gewalt unterwegs, direkte Drohungen gegen ihn und seine Familie in der Stadt, dann bespuckt, geschubst, vor dem eigenen Zuhause bedrängt: »Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen war nicht mehr eine abstrakte Erzählung aus Schulbüchern. Sie wurde persönlich. Für mich verging seither kaum ein Tag, an dem ich mich nicht fragte, ob dies ein Tag sein würde, an dem meine Freund*innen oder ich selbst angefeindet oder bedroht werden.«
Und sein neuer Blick auf die politische Wirklichkeit in Zwickau ändert wirklich alles. Am verehrten Musiklehrer seiner Kindheit wird im Rückblick der rechte Habitus sichtbar, heute ist sein damaliges Vorbild im »Querdenker«-Milieu aktiv. »Früher habe ich mir nichts dabei gedacht, wenn mein Trompetenlehrer darüber klagte, dass zuwenig Volkslieder gespielt würden. Jetzt glaube ich zu erkennen, wie alles zusammenhängt.«
Vor und im deutschen Faschismus waren in Zwickau, wie nahezu überall in Deutschland, die Nazis in der Mehrheit. Im Terror der sogenannten Baseballschlägerjahre nach 1990 wurde der 17jährige Patrick Thürmer 1999 in Zwickau ermordet. Jakob Springfeld und sein Co-Autor Issio Ehrich sehen die Gründe für die eindeutige Stärke der Nachwende-Nazis in den Strukturen der DDR angelegt. Sie beziehen sich dabei auf umstrittene Wissenschaftler wie Uwe Backes. Hier liegt Springfeld, Träger der Theodor-Heuss-Medaille, falsch.
Die BRD war eine postfaschistische Gesellschaft, der Schutz der Täter:innen vor gerechtfertigter Verfolgung war Ziel gemeinsamer Bemühungen: »Nach dem alten Strafgesetzbuch Deutschlands von 1871 verjähren Verbrechen nach zwanzig Jahren. Die unbelehrbaren Anhänger der Nazis hofften, dass damit im Jahre 1965 die Verjährungsfrist für NS-Verbrechen abgelaufen war und Verfolgungen deswegen nicht mehr stattfinden würden. Diese Gefahr einer Amnestierung aller Bluttaten der Nazis hat das Präsidium der VVN (…) veranlasst, Alarm zu schlagen.« So beschreibt Karl Sauer die Situation in der BRD 1972 für die VVN. In der DDR war aber das antifaschistische Gedenken, mit allen seinen Fehlern, präsent.
In jeder Woche liest Jakob Springfeld in Deutschland aus seinem Buch, bei Dutzenden von Lesereisen hat er Präsenz gezeigt, aufgeklärt und Fragen beantwortet. Der Autor berichtet konkret über aktive Nazis, ihre Netzwerke und ihre Taten in Zwickau. Deshalb ist »Unter Nazis – jung, ostdeutsch, gegen rechts« nicht nur ein Buch, es ist mutiger Antifa-Aktivismus. Und so heißt es dort auch: »Ich möchte für die Zukunft meiner Generation kämpfen und klarmachen, dass es überall Verbündete dafür gibt, selbst an Orten wie Zwickau. Das Handeln für eine friedvolle, tolerante, antifaschistische Gesellschaft ist für mich eine logische Konsequenz aus den Krisen unserer Generation. Krisen, die wir nur gemeinsam bekämpfen können.«
Seit 1986 ist die Oberbürgermeisterin beziehungsweise der Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal als Mitglied in der Kampagne Mayors for Peace – Bürgermeister für den Frieden aktiv.
Diese Friedensinitiative vereint über 7000 BürgermeisterInnen auf der ganzen Welt mit dem Ziel, Atomwaffen zu achten und internationale Abrüstung durch eine Nuklearwaffenkonvention zu erreichen. http://www.mayorsforpeace.de
Auch der Oberbürgermeister unserer Nachbarstadt und Landeshauptstadt Düsseldorf, Thomas Geisel, hat sich am 8. Juli 2016, am grossen internationalen Flaggentag, die Friedensfahne der Bürgermeister für den Frieden hissen lassen (siehe Anlage „Aktiv gegen Atomwaffen“, in: Informationen 157 / 2016-3, herausgegeben von Ohne Rüstung leben)
Leider wurde von Ihnen 2016 weder das Jubiläum der dreißigjährigen Mitgliedschaft Wuppertals begangen, noch haben Sie sich am internationalen Flaggentag 2016 beteiligt.
Die VVN-BdA Wuppertal – als Teil der Friedensbewegung – bedauert beide Versäumnisse sehr und möchte Sie hiermit auffordern, ab sofort Anteil an dieser wichtigen Kampagne zu nehemen. Verleihen Sie als Oberbürgermeister dem Friedenswillen der Wuppertalerinnen und Wwuppertaler Ausdruck!
Im Juli 1933 wurde in einem Randbezirk Wuppertals das KZ Kemna eingerichtet, initiiert von Willi Veller, dem zum Wuppertaler Polizeipräsidenten gemachten SA-Schläger und Mörder. Das Lager wurde von der SA betrieben und diente der massenhaften Internierung von Antifaschisten aus der Arbeiterbewegung aus dem Bergischen Land und darüber hinaus. Im Januar 1934 wurde da KZ Kemna geschlossen. Konstitutiv war die systematische Folter der circa 2.500 bis 3.000 Gefangenen durch die Wachmannschaft. 25 Suizidversuche sind überliefert. Massive und breite Gewalt sollte die Kraft der Arbeiterbewegung schnell brechen.
Wem hat das Gelände seit Kriegsende gehört, und wer hat sich darum gekümmert?
Es war bis 2019 immer in kommerzieller Nutzung, die Gedenkstätte befindet sich seit 1983 auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Am Gebäude konnten keine Schilder oder ähnliches angebracht werden, allerdings haben einige Eigentümer den Zugang zum Gelände für Gedenkfeiern erlaubt. Seit 2019 ist die evangelische Kirche Eigentümerin.
Sie sprechen von einem seit jeher umkämpften Gedenken. Wie meinen Sie das?
Karl Ibach und Willi Spicher waren zwei Mitbegründer der VVN in Wuppertal und Kemna-Häftlinge, wie viele spätere VVN-Mitglieder. Ibach hat zudem 1948 das in großer Auflage erschienene Buch zum Prozess gegen die Wachmannschaft geschrieben. Dies war der erste KZ-Prozess überhaupt nach der Befreiung. Es ist klar, dass eine Gedenkinitiative, die von der als kommunistisch markierten VVN gestützt wird, in der Adenauer-BRD bekämpft wurde. Und so wurde die Kemna-Gedenkstätte 1964 auf einem zentralen Denkmal in Frankfurt am Main genannt, aber erst 1973 in Wuppertal selbst.
1983, 50 Jahre nach der Lagereröffnung, wurde der große Gedenkort neben der Fabrik fertiggestellt. Die Gründe dafür waren zum einen die harsche Ablehnung einer Würdigung des linken Widerstandes in Westdeutschland, zum anderen das Schweigen der bürgerlichen Kreise zum Wuppertaler KZ. Dabei handelte es sich um wohlwollendes Schweigen, nicht um ängstliches. Und es gab auch Zustimmung: Aus den Reihen der faschistischen »Deutschen Christen« waren sogenannte Missionare in dem Lager, um die Häftlinge zu »bekehren«.
Geschichtsstudenten der Bergischen Universität haben unter Leitung von Ulrike Schrader, Leiterin der Wuppertaler Begegnungsstätte »Alte Synagoge«, Mitte Juni ein Konzept zur Gestaltung einer Gedenkstätte auf dem Gelände und im Gebäude des KZ vorgestellt. Was kritisieren Sie daran?
Bei der Präsentation wurden von Studierenden und Frau Schrader krude Aussagen über Täter und Opfer in dem KZ Kemna gemacht, die die Westdeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 16. Juni dokumentierte. Aussagen wie »die Grenzen seien schwammig«, »rund 80 Prozent der Häftlinge waren Kommunisten und damit auch Gegner der Weimarer Republik, also der Demokratie« und »eine weiße Weste habe deshalb keiner, man wolle niemanden zum Helden machen oder eine Vorbildfunktion geben, die er nicht hat.« Zu Recht hat sich daraus eine große Debatte entwickelt. Die Vorschläge zur Gestaltung sind deshalb bisher noch nicht diskutiert worden, allerdings sind gestalterische Elemente wie »Hördusche«, »drehbare, lebensgroße Würfelkomplexe« und ein »Stangenwald mit Stangen unterschiedlicher Länge als Symbol für die Individualität der Häftlinge« genannt. Der evangelische Kirchenkreis hat sich von den Aussagen bei der Präsentation distanziert und die alleinige Verantwortlichkeit für alle Phasen der Gedenkstättenplanung hervorgehoben.
Wie müsste Ihrer Meinung nach ein würdevolles Gedenken statt dessen aussehen?
Es ist klar, dass die von den Studierenden genannten Vorschläge nicht zu einer ernsthaften Beschäftigung mit Folter und Gewalt in der Kemna-Gedenkstätte beitragen können. Dies kann nicht weiter verfolgt werden. Die entscheidende Frage ist, wie nach diesem Skandal von der evangelischen Kirche ein vertrauensvoller Prozess in Gang gebracht werden kann, an dessen Ende ein ehrendes und mahnendes Gedenken auf objektiver Grundlage steht. Denn das KZ ist ein faschistischer Tatort von nationaler Bedeutung und unbedingter Teil der deutschen Geschichte.