Unbeschwert in Zwickau

30. Juli 2023

Von Sebastian Schröder

»Wenn du hier politisch wirst, ändert sich alles«: Zu »Unter Nazis«

Im sächsischen Zwickau fährt ein Bus der städtischen Verkehrsbetriebe mit einem roten Eisernen Kreuz auf schwarzem Hintergrund. Dieser Bus macht stadtweit Werbung für das Tattoo-Studio eines bekannten Zwickauer Rechten, der auf Fotos schwer bewaffnet posiert und auch die Motive »Schwarze Sonne«, der »Rote Baron« und Wehrmachtssoldaten anbietet.

Jakob Springfeld, 21-jähriger Autor von »Unter Nazis – jung, ostdeutsch, gegen rechts« ist in Zwickau geboren und aufgewachsen. Er kennt das Haus in der Frühlingsstraße, in dem elf Jahre lang das NSU-Trio gewohnt und seine Gewalttaten vorbereitet hat, das Haus, das Beate Zschäpe am 4. November 2011 gesprengt hat. Das Trauma des NSU-Terrorismus ist mit seiner Kindheit und seiner Heimatstadt verbunden. In Zwickau herrschte lange bleiernes Schweigen zum NSU-Netzwerk nebenan, erst seit 2016 gibt es ein Gedenken an die Opfer des Naziterrors, aber auch die wiederholte Zerstörung dieser Gedenkorte durch Nazis – das oft geforderte Zwickauer NSU-Bildungs- und Dokumentationszentrum, das nationale Bedeutung wegen nationaler Verantwortung hat, gibt es immer noch nicht!

Geboren in ein christliches Elternhaus, zählt Jakob Springfeld seine Familie zu den Wendegewinnern, bleibt verschont von Armut und Erwerbslosigkeit. Klar sieht er, dass er privilegiert ist: »Wenn du weiß, männlich und unpolitisch bist, kannst du ein schönes, unbeschwertes Leben führen in Zwickau.« Mit dem Anstieg der Zahl an Geflüchteten im Jahr 2015 beginnt sich Jakob Springfeld zu engagieren und zu politisieren, er wird stadtbekannter Klima-Aktivist und Antifaschist.

Der Hass der Rechten gegen Minderheiten, Punks, Zugewanderte und Andersdenkende trifft ihn ziemlich bald. Gewalt unterwegs, direkte Drohungen gegen ihn und seine Familie in der Stadt, dann bespuckt, geschubst, vor dem eigenen Zuhause bedrängt: »Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremen war nicht mehr eine abstrakte Erzählung aus Schulbüchern. Sie wurde persönlich. Für mich verging seither kaum ein Tag, an dem ich mich nicht fragte, ob dies ein Tag sein würde, an dem meine Freund*innen oder ich selbst angefeindet oder bedroht werden.«

Und sein neuer Blick auf die politische Wirklichkeit in Zwickau ändert wirklich alles. Am verehrten Musiklehrer seiner Kindheit wird im Rückblick der rechte Habitus sichtbar, heute ist sein damaliges Vorbild im »Querdenker«-Milieu aktiv. »Früher habe ich mir nichts dabei gedacht, wenn mein Trompetenlehrer darüber klagte, dass zuwenig Volkslieder gespielt würden. Jetzt glaube ich zu erkennen, wie alles zusammenhängt.«

Vor und im deutschen Faschismus waren in Zwickau, wie nahezu überall in Deutschland, die Nazis in der Mehrheit. Im Terror der sogenannten Baseballschlägerjahre nach 1990 wurde der 17jährige Patrick Thürmer 1999 in Zwickau ermordet. Jakob Springfeld und sein Co-Autor Issio Ehrich sehen die Gründe für die eindeutige Stärke der Nachwende-Nazis in den Strukturen der DDR angelegt. Sie beziehen sich dabei auf umstrittene Wissenschaftler wie Uwe Backes. Hier liegt Springfeld, Träger der Theodor-Heuss-Medaille, falsch.

Die BRD war eine postfaschistische Gesellschaft, der Schutz der Täter:innen vor gerechtfertigter Verfolgung war Ziel gemeinsamer Bemühungen: »Nach dem alten Strafgesetzbuch Deutschlands von 1871 verjähren Verbrechen nach zwanzig Jahren. Die unbelehrbaren Anhänger der Nazis hofften, dass damit im Jahre 1965 die Verjährungsfrist für NS-Verbrechen abgelaufen war und Verfolgungen deswegen nicht mehr stattfinden würden. Diese Gefahr einer Amnestierung aller Bluttaten der Nazis hat das Präsidium der VVN (…) veranlasst, Alarm zu schlagen.« So beschreibt Karl Sauer die Situation in der BRD 1972 für die VVN. In der DDR war aber das antifaschistische Gedenken, mit allen seinen Fehlern, präsent.

In jeder Woche liest Jakob Springfeld in Deutschland aus seinem Buch, bei Dutzenden von Lesereisen hat er Präsenz gezeigt, aufgeklärt und Fragen beantwortet. Der Autor berichtet konkret über aktive Nazis, ihre Netzwerke und ihre Taten in Zwickau. Deshalb ist »Unter Nazis – jung, ostdeutsch, gegen rechts« nicht nur ein Buch, es ist mutiger Antifa-Aktivismus. Und so heißt es dort auch: »Ich möchte für die Zukunft meiner Generation kämpfen und klarmachen, dass es überall Verbündete dafür gibt, selbst an Orten wie Zwickau. Das Handeln für eine friedvolle, tolerante, antifaschistische Gesellschaft ist für mich eine logische Konsequenz aus den Krisen unserer Generation. Krisen, die wir nur gemeinsam bekämpfen können.«