Im Januar 1871 wurde als einer der letzten europäischen Nationalstaaten das Deutsche Reich gegründet. Es enthielt in seiner Grundstruktur und seiner ideologischen Verfasstheit bereits jene Elemente, die den Weg in den deutschen Faschismus ebneten. Daher ist es für Antifaschisten heute von Bedeutung, sich mit diesem 150 Jahre zurückliegenden Ereignis zu beschäftigen.
Die Idee eines deutschen Nationalstaates war ursprünglich eine progressive, die gegen die reaktionäre Fürstenherrschaft und Kleinstaaterei im Deutschen Bund gerichtet war. Die bürgerliche Revolution von 1848/49 hatte nicht nur Forderungen nach einer Verfassung und Freiheitsrechten formuliert, sondern auch die Losung eines Deutschen Reiches. Die Paulskirchen-Versammlung sprach sich dann für eine »kleindeutsche« Lösung aus, da Österreich nicht an dieser Entwicklung teilhaben konnte.
Die Niederschlagung der 1848er-Revolution durch das preußische Militär und die gebündelte Kraft der alten feudalen Herrscher führten in den deutschen Ländern zu einer Phase der Reaktion, in der alle demokratischen Bestrebungen und Kräfte polizeilich verfolgt wurden.
Aber schließlich waren es nicht nur die Bestrebungen von Menschen, sondern auch objektive Entwicklungen im Bereich der Industrialisierung, die die Entwicklung zu einem Nationalstaat forcierten.
Der ökonomische, technische und soziale Wandel beschleunigte sich in einem bis dahin ungekannten Maße. Sichtbarster Ausdruck davon waren der Ausbau von Eisenbahnlinien und die elektrische Telegraphie. Damit erhöhten sich entscheidend die Mobilität und Kommunikation zwischen den Menschen. Die Grenzen zwischen den selbstständigen Fürstentümern erwiesen sich zunehmend als störend in diesem Prozess. Zwar hatten viele Staaten bereits seit 1834 den preußisch-dominierten Zollverein geschlossen, der den Handel erleichtern und damit einen Binnenmarkt schaffen sollte. Aber diese Situation bremste die Entwicklungspotentiale der Produktivkräfte in Deutschland, die sich in zahlreichen Erfindungen und Innovationen, in Gründungen von Unternehmen und neuen Formen der Produktionsorganisation zeigten. Nicht umsonst nennt die Wirtschaftsgeschichte diese Jahre den »Durchbruch der Industrialisierung« in Deutschland.
Der Weg zur »Reichsgründung von oben«
Die Veränderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen zwangen auch die Politik dazu, eine nationalstaatliche Lösung voranzutreiben, wobei sich die Herrschenden diese nur als preußisch-dominierten Weg vorstellten. Dabei verfolgte Otto von Bismarck, preußischer Ministerpräsident und Außenminister, das Ziel einer »klein-deutschen Einigung« unter preußischer Führung. Notfalls wollte er diese »mit Blut und Eisen« durchsetzen.
Nachdem Preußen noch 1864 gemeinsam mit Österreich Dänemark den Krieg erklärt hatte, weil der dänische König plante, Schleswig in das dänische Reich einzugliedern, richtete sich die militärische Aggression Preußens 1866 gegen Österreich, den Konkurrenten um den geopolitischen Einfluss. Nach dem Sieg über Österreich wurde Preußen die alleinige Führungsmacht in Deutschland. Der Deutsche Bund wurde aufgelöst, verschiedene Fürstentümer, wie zum Beispiel Hessen-Kassel, dem preußischen Königreich angeschlossen und mit den verbliebenen selbstständigen Feudalstaaten der Norddeutsche Bund gegründet.
Gleichzeitig schloss Bismarck mit den süddeutschen Staaten Bündnisse gegen den »Erzfeind Frankreich«. Er sah in einem Krieg mit Frankreich nicht nur die Möglichkeit, dessen politischen Hegemonialanspruch zu begrenzen, sondern auch die deutsche Einigung voranzutreiben.
Nach einer gezielten Provokation im Zusammenhang mit Streitigkeiten um die Thronfolge in Spanien (»Emser Depesche«) erklärte am 9. Juli 1870 Frankreich Preußen den Krieg. Verbunden war damit die Erwartung, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Preußen in der Gestalt des Norddeutschen Bundes nutzte diese Kriegserklärung, um erstens die süddeutschen Staaten an ihre Bündnisverpflichtung zu erinnern und zweitens durch den Vorstoß auf französisches Gebiet eine militärische Lösung zu erzwingen. Symbolisch für den Krieg waren die Schlacht von Sedan mit der Kapitulation am 2. September und die Schließung des Belagerungsrings um Paris Mitte September 1870. Zwar wurde der Waffenstillstand erst Ende Januar 1871 vereinbart, den Krieg gegen Preußen hatte Frankreich aber schon früher militärisch verloren.
Bismarck erkannte die Gelegenheit, im Ergebnis der Niederlage des »Erzfeindes« einen unter preußischer Führung stehenden deutschen Nationalstaat zu schaffen. In Verhandlungen mit den Staaten des Süddeutschen Bundes schaffte er durch Zugeständnisse und Druck eine Verfassungslösung, die keinen »Bund«, sondern ein einheitliches »Reich« zum Ergebnis hatte. Am 10. Dezember 1870 stimmte der Reichstag, der damals noch die Versammlung der Fürstentümer war, Bismarcks Vorschlägen für eine neue Verfassung zu. Festgeschrieben waren darin der Titel »Kaiser« für den Herrscher und »Deutsches Reich« als Staatsnamen. Diese Verfassung trat formal am 1. Januar 1871 in Kraft.
Symbolisch bekräftigt wurde die Reichsgründung am 18. Januar 1871 durch die Ausrufung Wilhelms I., des Königs von Preußen, zum deutschen Kaiser. Dass diese Zeremonie im Spiegelsaal des Schlosses zu Versailles nahe Paris durchgeführt wurde, war ein absoluter Affront gegen das französische Selbstbild. In den Folgejahren erinnerten immer wieder nationalistische Kreise in Frankreich an diese Provokation.
Als Vorbote der revolutionären Alternative zur reaktionären Formierung des deutschen Nationalstaates entstand im weiterhin belagerten Paris vom 18. März bis zum 28. Mai 1871 eine sozialistische Stadtregierung, die »Commune de Paris«, das historische Vorbild für zukünftige Räterepubliken.
Die Kommunarden beschlossen soziale, politische und wirtschaftliche Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der Bürger verbessern sollten. Dazu gehörten ein Dekret über den Erlass von fälligen Mieten, der Erlass über die Rückgabe von verpfändeten Gegenständen, zum Beispiel Kleidungsstücken, Möbeln, Wäsche, Büchern, Bettzeug und Arbeitswerkzeugen sowie die Abschaffung der Nachtarbeit für Bäckergesellen.
Da jedoch eine revolutionäre Alternative weder im Interesse der deutschen Fürsten noch der französischen Reaktionäre liegen konnte, ermöglichte es die deutsche Armee den französischen Streitkräften, den Belagerungsring von Paris zu passieren und die Kommune militärisch niederzuschlagen. Mehrere tausend Tote waren das Ergebnis. Die Pariser Kommune endete am 28. Mai 1871 mit der Erschießung von 147 Kommunarden an der südlichen Mauer – Mur des Fédérés – des Friedhofs Père Lachaise.
Man kann also zurecht behaupten, dass das Deutsche Reich auf den Fundamenten eines Angriffskrieges und der Niederschlagung der revolutionären Bewegung in Paris gegründet worden ist. In den anschließenden Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich musste Frankreich nicht nur erhebliche territoriale Verluste akzeptieren, sondern auch große finanzielle Reparationen leisten, die in den Folgejahren als »warmer Regen« in deutsche Prachtbauten investiert wurden.
Das ideologische Fundament
Ein Nationalstaat benötigt nicht nur ein Territorium und ein ökonomisches Fundament, sondern auch einen ideologischen Überbau, um den in diesem Staat lebenden Menschen eine Identifikation zu ermöglichen. In der 1848er-Revolution war diese verbunden mit den Forderungen nach bürgerlichen Freiheiten und politischer Mitwirkungsmöglichkeit. Doch genau dies ermöglichte der neue Staat, das »Deutsche Kaiserreich«, nicht. Zwar waren in der neuen Verfassung einzelne Freiheitsrechte enthalten, insbesondere bezogen auf das wirtschaftliche Handeln, jedoch fehlten sämtliche Garantien dessen, was man heute unter bürgerlichen Freiheiten wie Persönlichkeitsrechte, Meinungs- und Versammlungsfreiheit versteht. Die politische Partizipation war durch das Dreiklassenwahlrecht (in Preußen gültig bis 1918) und den ungleichen Zuschnitt der Wahlkreise zum Reichstag, der eine Dominanz konservativer und feudaler Vertreter garantierte, geprägt.
Um unter solchen Voraussetzungen eine Identifikation mit dem neuen Staat zu erreichen, waren ideologische Fundamente nötig, die man unter den vier Begriffen: Obrigkeitsstaat, Militarismus, völkischer Nationalismus und Antisemitismus zusammenfassen kann.
Von Obrigkeitsstaat spricht man, wenn die öffentlichen Angelegenheiten nahezu ausschließlich durch einen Herrscher sowie eine ihm zugeordnete aristokratische, militärische oder bürokratische Führungsriege geregelt werden. Und genau diese Strukturen prägten die wilhelminische Gesellschaft. Als Pendant zur Obrigkeit ist der Einzelne als »Untertan« anzusehen, der sich widerspruchslos in dieses System einzufügen hat, davon aber auch – je nach seinem gesellschaftlichen Stand – profitieren kann. Heinrich Mann hat in seinem Roman »Der Untertan« Anfang des 20. Jahrhunderts kongenial diese gesellschaftliche Wirklichkeit und die sie tragenden Mächte (Schule, Kirche, Militär, Verwaltung) nachgezeichnet.
Eines der zentralen Fundamente, in dem sich die Macht des Adels dauerhaft festigen sollte, war der Militarismus im Deutschen Reich. Das bedeutete nicht nur Aufrüstung und Aufbau einer einheitlichen Armee auf der Basis des preußischen Modells, sondern die Militarisierung der gesamten Gesellschaft. »Hamm se jedient?« Diese Frage an den Schuster Voigt in Carl Zuckmayers Roman »Der Hauptmann von Köpenick« sollte über die Wiedereingliederung in die wilhelminische Gesellschaft nach dessen Gefängnisaufenthalt entscheiden. Die Frage macht zugleich deutlich, wie weit das Militär und das Militärische im Deutschen Reich gesellschaftsprägend waren.
Zur Zeit der sich entwickelnden Nationalstaaten in Europa war nationalistische Propaganda keine deutsche Spezifik. Reaktionär und besonders wurde sie jedoch durch eine Verbindung von Nationalismus und völkischem Denken, das in dieser Form für das wilhelminische Deutschland prägend wurde. Der ursprünglich von Emanuel Geibel in einem anderen gedanklichen Kontext 1861 formulierte Satz »Am deutschen Wesen mag die Welt genesen« wurde vom Wilhelminismus zu einem Schlagwort umgedeutet. Damit wurde nicht nur ein globaler Führungsanspruch erhoben, sondern das deutsche Volk konnte auch als höherwertig dargestellt werden. Das bezog sich auf alle Nachbarländer und deren Bevölkerung, hatte aber in seiner rassistischen Dimension Konsequenzen, die ein wichtiges Fundament des Wilhelminismus verstärkten, nämlich den Antisemitismus.
Dass dieser Antisemitismus, der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von seiner christlich-antijudaistischen Tradition zu einer rassistischen Legitimation gewandelt hatte, in der Mitte der herrschenden Gesellschaft verankert war, zeigte die Aussage des Berliner Professors Heinrich von Treitschke. Er löste mit dem Satz »Die Juden sind unser Unglück« 1879 den sogenannten Berliner Antisemitismus-Streit aus. Hier wurden Thesen vertreten, die man zurecht als gedankliche Vorläufer des eliminatorischen Antisemitismus der Nazis bezeichnen kann. Und es war nicht nur das »ideologische Fußvolk« an diesem Streit beteiligt. Auch Kaiser Wilhelm II. war Vertreter dieses Antisemitismus. Sein protestantischer Hofprediger Adolf Stöcker saß als Abgeordneter einer antisemitischen Partei seit 1878 im Reichstag.
Als gesellschaftlichen Gegner hatten die das deutsche Kaiserreich tragenden politischen Kräfte die Arbeiterbewegung und die politische Linke insgesamt ausgemacht. Da diese für die Überwindung von Adelsherrschaft und kapitalistischer Wirtschaftsordnung kämpften, traf sie der Bannstrahl in der Gestalt des »Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie« (Sozialistengesetz). Mit diesem Gesetz verbot und verfolgte von 1878 bis 1890 das Kaiserreich sämtliche sozialistischen und gewerkschaftlichen Organisationen. Linke Versammlungen wurden aufgelöst, die Herstellung und Verbreitung sozialistischer Schriften unter Strafe gestellt. Insbesondere nach Streikaktionen fanden immer wieder Massenverhaftungen statt. Die Arbeiterorganisationen reagierten auf diese Verfolgung mit einer Verlagerung ihrer Aktivitäten in den Untergrund beziehungsweise ins Ausland. Einzig die gewählten SPD-Abgeordneten im Reichstag blieben aufgrund ihrer parlamentarischen Immunität unangetastet. Als das Gesetz 1890 nicht mehr verlängert wurde, ging die SPD deutlich gestärkt aus den nächsten Reichstagswahlen hervor.
Expansionspolitik
Das zentrale Element des wilhelminischen Reiches war seine imperialistische Perspektive. Schon an seiner Wiege stand mit der Annexion von Elsass-Lothringen und weiterer Gebietsteile der preußische Expansionismus. Damit waren aber die Erwartungen an die neue Rolle des »Deutschen Reiches« im Gefüge der europäischen Mächte nicht erschöpft. Die Herrschenden forderten für sich einen »Platz an der Sonne« (Reichskanzler Bernhard von Bülow, 1897). Das hieß, auch einen Anteil an der kolonialen Ausplünderung der Welt. Ärgerlicherweise war die damals erschlossene Welt bereits unter den kolonialen Hauptmächten England, Frank-reich, Spanien, Portugal, Belgien und den Niederlanden aufgeteilt, so dass das Deutsche Reich nur die Reste übernehmen oder zu Lasten einer der Hauptmächte Gebiete beanspruchen konnte. Von daher beschränkten sich die deutschen Besitzmöglichkeiten auf Stützpunkte im pazifischen Raum (unter anderem Neuguinea) und vier Gebiete im südlichen Afrika (Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwest, Kamerun und Togo). Eine zentrale Begründung für diese Kolonialpolitik war die gleichzeitige Abschottung des deutschen Marktes im Interesse der heimischen Bourgeoisie durch Schutzzoll-Politik gegenüber der Konkurrenz aus Großbritannien.
Treibende Kräfte für die politische Legitimation dieser Expansion waren der Deutsche Kolonialverein und der »Alldeutsche Verband«, ein – neudeutsch formuliert – Think Tank der imperialistischen Expansionspolitik. Er war trotz geringer Mitgliederzahlen die einflussreichste Organisation des völkischen Spektrums. Der Verband stellt in den Jahren seiner Existenz (gegründet 1891, aufgelöst 1939) eine organisatorische und ideologische Klammer zwischen dem Kaiserreich und dem deutschen Faschismus dar. Sein Programm, geprägt durch seinen Vorsitzenden Heinrich Claß, war expansionistisch, pangermanisch, militaristisch, nationalistisch sowie von rassistischen und antisemitischen Denkweisen bestimmt. Dabei ging es nicht nur um Kolonialismus, sondern auch um die Errichtung eines völkischen Staates, dessen »weltanschauliches Koordinatensystem« durch Sprache, Religion und »Rasse« geprägt sein sollte. Sprache und Religion sollten der deutschen »Rasse« entsprechen und in der Tradition der Germanen stehen. Das deutsche Volk wurde als höchste aller »Rassen« beschrieben. Durch ein »Rassenerneuerungsprogramm« sollte die »Rassenreinheit« verwirklicht werden. Der Alldeutsche Verband formulierte auch die Losung »Volk ohne Raum« und die daraus abgeleitete Forderung nach Lebensraum für das deutsche Volk, den man schon damals vor allem im Osten sah. Auf »Europa’s Zukunftskarte« reichte das deutsche Kaiserreich von St. Petersburg über das Baltikum bis Antwerpen, wobei Nordfrankreich als »neue deutsche Reichslande« bezeichnet und England und Wales als »Deutsches Schutzgebiet« ausgewiesen wurden. Große Teile Westruss-lands wurden dabei übrigens Österreich-Ungarn zugeschlagen. Dazwischen befand sich noch ein »Königreich Polen« unter deutscher Kontrolle.
Dass es sich hierbei nicht nur um großdeutsche Fantasiegebilde handelte, machte das Kaiserreich schon lange vor dem Ersten Weltkrieg deutlich. Dabei war militärischer Expansionismus immer wieder direkt mit Rassismus verbunden. Bekannt ist der Einsatz deutscher Soldaten in China gegen den »Boxer-Aufstand« zu Beginn des Jahres 1900. Wilhelm II. verabschiedete die deutschen Truppen am 27. Juli 1900 in Bremerhaven mit seiner berüchtigten »Hunnenrede«: »Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!«
Vergleichbar blutig gestaltete sich die Niederschlagung von Aufständen der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht in Deutsch-Südwestafrika während der Jahre 1904 bis 1908. Der Oberbefehlshaber Generalleutnant Lothar von Trotha formulierte für die deutschen Soldaten einen Vernichtungsbefehl: »Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.«
Unterstützt wurde er übrigens von dem preußischen Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen, der den Angriffsplan auf Belgien im Ersten Weltkrieg entwickelte. Im Ergebnis dieses Mordbefehls starben mindestens 40.000 bis 60.000 Herero sowie etwa 10.000 Nama.
Dass das Deutsche Reich in seinem Expansionsdrang nicht vor einer erneuten militärischen Konfrontation mit Frankreich zurückschreckte, zeigte 1911 die zweite Marokkokrise. Auf persönlichen Befehl Wilhelm des II. wurde das deutsche Kanonenboot »Panther« zusammen mit zwei weiteren deutschen Kriegsschiffen nach Agadir geschickt, um Frankreich unter Druck zu setzen. Seitdem kennt man den Begriff der »Kanonenboot-Politik«.
Was bedeutet das für Antifaschisten heute?
Schon dieser äußerst knappe historische Rückblick macht deutlich, wie weit bereits in der Gründung des Deutschen Reichs alle Elemente der späteren faschistischen Politik angelegt waren. Und so kann es nicht überraschen, dass Neofaschisten und »Reichsbürger« nicht nur das Hitler-Regime, sondern auch das wilhelminische Deutschland als politische Schablone für ihre völkischen, rassistischen und expansionistischen Vorstellungen nehmen.
Es war aus ihrer Sicht ein »starkes Reich«, das autoritär regiert ein klares Verhältnis zwischen Obrigkeit und Untertan kannte. Dabei war nur derjenige ein »richtiger« Untertan, der im völkischen Sinne »Rasse«reinheit mitbrachte.
Dieses Reich forderte schon damals »Lebensraum für das deutsche Volk« und eine tatsächliche Eliminierung des Judentums aus der deutschen Volksgemeinschaft. Alle anderen Volksgruppen hatten dem »deutschen Volk« als »Hiwi« (»Hilfswillige« – ein Begriff, den es heute im Sprachgebrauch immer noch gibt) zu dienen. Und in seinen Träumen schwärmt jeder Neonazi und Reichsbürger davon, in einem Land zu leben, in dem »Fremde« Angst davor haben müssen, »etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen«, wie Wilhelm II. in seiner »Hunnenrede« so drastisch formulierte.
Damit so etwas nie wieder geschieht, liegt es auch an den antifaschistischen Kräften, sich nicht nur mit den menschenverachtenden Verbrechen des deutschen Faschismus auseinanderzusetzen, sondern auch die politischen und ideologischen Vorläufer dieser Haltung in den Blick zu nehmen. Antifaschisten sollten darauf achten, dass die Reichsgründung und das wilhelminische Deutschland nicht einfach als »normaler geschichtlicher Vorgang« abgefeiert werden, sondern mit ihren Möglichkeiten diese Zusammenhänge thematisieren.
Zum Weiterlesen:
Antisemitismus im Kaiserreich u.a.
»Handbuch des Antisemitismus.Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart«. Im Auftrag vom Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin.
Hrsg. von Benz, Wolfgang. In Zusammenarbeit mit Bergmann, Werner / Heil, Johannes / Wetzel, Juliane / Wyrwa, Ulrich, Redaktion Mihok, Brigitte. Bd. 1 (2008), Länder und Regionen, 444 S. K. G. Saur Verlag 2008, 99,95 Euro
Kolonialismus und Kaiserreich u.a.
Gerd Fesser, Das Deutsche Kaiserreich, Basiswissen, 127 S., Papyrossa-Verlag, 2015, 9,90 Euro
Gerd Fesser, Der Traum vom Platz an der Sonne, Deutsche ›Weltpolitik‹ 1897–1914, 239 S., Donat-Verlag, Bremen, 1996, 11,99 Euro
Horst Gründer, Hermann Hiery (Hg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick. 352 S., be.bra Verlag, Berlin, 2017, 24 Euro
Köln. Rechtsanwalt Dr. Hans-Georg Maaßen, der frühere Präsident des „Bundesamtes für Verfassungsschutz“ (BfV), hat Ende Januar die Kölner Anwaltskanzlei Höcker verlassen. Sein Ausscheiden sei vorgezogen worden, nachdem die Kanzlei die Vertretung der AfD in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln wegen einer möglichen Beobachtung durch das BfV übernommen hat, heißt es in einer Erklärung der Kanzlei. Eine etwaige Aussage als Zeuge in diesem Verfahren und eine Zusammenarbeit mit der Klägerkanzlei hätte ggf. einen negativen Beigeschmack haben können. Daher sei das Ausscheiden Maaßens um drei Monate vorgezogen worden (hma).
Erster Akt: Die Auferstehung des Berliner Stadtschlosses
100 Jahre nachdem die Novemberrevolution den Potentaten hinweggefegt hat, der Millionen Menschen im ersten Weltkrieg verheizt hatte, ist das Symbol seiner Herrschaft in der Mitte des »neuen« Berlin wieder auferstanden: das Berliner Stadtschloss.
Auf die Idee musste erst mal einer kommen. Und das war der mecklenburgische Adelsspross Wilhelm von Boddien. Schon Ende der 80er Jahre hatte er sich dem Kreis der »Freunde der preußischen Schlösser und Gärten« um den vormaligen Chef-Arisierer der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, angeschlossen und fand dort in Speer-Verleger und -Verehrer Jobst Siedler und Hitler-Biograph Joachim Fest engagierte Mitstreiter für seine Idee. Beide wurden in dem von Boddien initiierten »Förderverein für das Berliner Schloss« aktiv. Kaum war 1992 die Entscheidung gefallen, Berlin zur Hauptstadt des nunmehr wieder größeren Deutschland zu machen, schlug der Freundeskreis vor, das in der Öffentlichkeit bereits völlig vergessene Schloss als »Schlossattrappe« wieder erstehen zu lassen, der Berliner Senat stellte den Ort »leihweise« zur Verfügung.
Auf die bei der öffentlichen Vorstellung des Projekts von Journalisten geäußerten Bedenken, was wohl im Ausland gesagt würde, wenn das Schloss wieder aufgebaut würde, von dessen Balkon Wilhelm II. die Brandrede hielt, mit der der 1. Weltkrieg ausgerufen wurde, fand Boddien eine diplomatische Antwort: er konnte die französische Monumentalmalerin Catherine Feff gewinnen, das Schloss auf Leinwand zu malen. Dem Deutschlandfunk erzählte er dazu 2012, er habe gedacht »Mensch, die Franzosen, die waren doch über 100 Jahre unser stärkster Erzfeind überhaupt, wenn ich diese Catherine Feff dazu kriege, als Französin das preußischste aller Preußenschlösser zu malen, habe ich doch die Journalisten im Griff.« (1)
2011 schreibt Boddien in einem 44-seitigen vierfarbigen »Berliner Extrablatt« (2) des Fördervereins stolz: »Damit (mit der gemalten Schlossattrappe; d. Verf.) beeinflussten wir auch den internationalen Strukturwettbewerb für die Spreeinsel, bei dem die drei Siegerentwürfe die Kubatur und den Grundriss des Schlosses weitestgehend übernahmen. Unsere Freunde finanzierten auch unsere gesamte Öffentlichkeitsarbeit sowie die Sammlung von Archivmaterial, Daten und Fakten, mit denen wir schon 2002 die ‚Internationale Kommission Historische Mitte Berlin’ beeindruckten. Aufgrund ihrer Empfehlung traf der Deutsche Bundestag danach seine Grundsatzentscheidung zum Wiederaufbau des Schlosses.« Die Empfehlung, tatsächlich auf drei Seiten des Kubus die Fassaden des Hohenzollern-Schlosses nachzubauen, war in der Kommission nur mit knapper Mehrheit gefallen, der Bundestag übernahm sie nahezu mit Zweidrittel-Mehrheit. Die 2011 vom Haushaltsausschuss des Bundestags (nur gegen die Stimmen der Linken) bewilligten Kosten von 590 Millionen € werden weitgehend aus Steuermitteln aufgebracht. Der Förderverein will Spenden in Höhe von 80 Millionen € akquirieren.
Ursprünglich war das Stadtschloss im 15. Jahrhundert vom brandenburgischen Kurfürst Friedrich II errichtet worden. Das Land dafür nahm er kurzerhand den Einwohnern der damaligen freien Städte Berlin und Cölln weg, was 1448 zu einem Volksaufstand führte, der unter der schönen Bezeichnung »Berliner Unwille« in die Geschichte einging. Dennoch wurde der Bau 1451 fertig gestellt und war über Jahrhunderte der Fürsten-, Königs- und Kaisersitz der Hohenzollern.
Dabei erfuhr der Bau immer wieder wesentliche bauliche Veränderungen, mit denen er dem jeweiligen Stil der Zeit angepasst wurde. Die 1854 eingeweihte Rundkuppel machte es zum dominierenden Bau der Spreeinsel und der Residenzstadt Berlin. Als 30 Jahre später der Bau des Reichstags begann und dort ebenfalls eine Kuppel vorgesehen war, setzte Wilhelm II. durch, dass diese auf keinen Fall höher ausfallen durfte, als diejenige, die sein Schloss krönte.
Als Sitz der preußischen Könige und deutschen Kaiser war das Schloss Symbol ihrer Herrschaft. Es ist also verbunden mit der Erinnerung an Sozialistengesetze, Kolonialkriege, den Völkermord an Nama und Herero und vor allem an den Ersten Weltkrieg, mit dem Wilhelm II. die deutschen Ansprüche Weltmacht zu werden, durchsetzen wollte.
Der Förderverein schreibt auf seiner Homepage: »Mit dem Bau des Humboldt Forums in der Gestalt des Berliner Schlosses gewinnt die Mitte Berlins ihre ursprüngliche Identität zurück! Das Schloss tritt wieder in einen Dialog zu den historischen Gebäuden der Stadt und gibt ihnen ihre frühere Bedeutung zurück. Aus bislang dort fast zusammenhanglos stehenden Einzelgebäuden wird wieder ein Ensemble von Weltgeltung: Das in den Kunstgeschichten (sic!) vor dem Krieg gepriesene architektonische Gesamtkunstwerk Berlin ist wieder da.« Ganz so, als hätte es den Zweiten Weltkrieg, in dem das Schloss zerstört wurde, gar nicht gegeben …
Zweiter Akt: Das Humboldt-Forum
Auch die »Internationale Kommission Historische Mitte Berlin« hatte offensichtlich eine zumindest schwache Ahnung davon, dass die historisierende Rekonstruktion des Kaiserschlosses – v. a. in Verbindung mit dem Abriss des Palastes der Republik, der für die DDR-Moderne stand – in einer kritischen öffentlichen Debatte als das wahrgenommen werden könnte, was sie ist: Ausdruck einer Tendenz zum Revisionismus. (3)
Das war wohl ein wesentlicher Grund für den damaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann (4), dem Berliner Senat und dem Beauftragten der rot-grünen Bundesregierung für Kultur und Medien, Michael Naumann, schon im Vorfeld der Schloss-Entscheidung ein Papier vorzulegen. Darin schlug er vor, die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin aus ihrer städtischen Randlage in Dahlem in die direkte Nachbarschaft der Museumsinsel zu holen. Damit entstünde »eine einmalige Konzentration der Kulturen der Welt in der Mitte Berlins – mit der Leitidee beider Brüder Humboldt«: »während die Museumsinsel […] mit ihren archäologischen Sammlungen und denen der abendländischen Kultur dem humanistischen Bildungsideal Wilhelm von Humboldts entspricht, könnte der Schlossplatz, im Süden der Museumsinsel gelegen, die außereuropäischen Kulturen des jetzigen Dahlemer Musemsquartiers aufnehmen. Dieses Konzept entspräche dem Denken des Weltbürgers Alexander von Humboldt.« (5)
Zugleich spricht er davon, das »Verhältnis Deutschlands zu den Kulturen der Welt« könne darin neu bestimmt werden, was seine Gestaltung »zu einer nationalen Aufgabe mache«. (6) Die Ethnologin Beate Binder spricht in diesem Zusammenhang von »geplantem Kosmopolitanismus«: »Zentriert um die Begriffe Begegnung, Offenheit und kulturelle Erfahrung wird das Humboldt-Forum als Reflexionsraum entworfen, in dem das Nationale innerhalb einer sich globalisierenden Welt verstetigt werden kann und zugleich von der Toleranz und Offenheit der deutschen Nation spricht.« (7)
Vor allem aber spiegelt sich in der Gegenüberstellung von »abendländischer Kultur« auf der Museumsinsel und »außereuropäischen Kulturen«, die im Humboldt-Forum Platz finden sollen, das ganz alte Denken vom »Eigenen« und »Fremden«, das untrennbar mit dem kolonialen Rassismus und der damit verbunden Kategorisierung von Menschen und ihrer Kultur verbunden ist. Wie unangemessen dies ist, wird allein schon deutlich, wenn wir an das Pergamon-Museum denken, das tatsächlich ein Museum des antiken Orient ist, zu dem eben auch die griechischen Eroberungen und Gründungen rund um das Mittelmeer gehörten.
Viele von uns kennen den namensgebenden Fries aus Peter Weiss’ »Ästhetik des Widerstands«, der ihn als Dokument der schon in den frühen Klassengesellschaften vorhandenen Ahnung von Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen interpretiert und ihm so eine tragende Rolle in der Menschheitsgeschichte zugewiesen hat. Damit steht er in deutlichem Kontrast zum aktuellen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, zugleich einer der drei Gründungsintendanten des Humboldt-Forums, der von diesem erwartet, es könne durch »Erfahrungen mit außereuropäischer Kunst und Kultur […] die Menschen neugierig machen und für andere Welten begeistern« und so neue »Formen des Umgangs mit dem Fremden und dem Anderen« (8) befördern.
Dieser Geist, der vordergründig dem »Denken des Weltbürgers Alexander von Humboldt« zu widersprechen scheint, ist allerdings nicht ganz so fern vom Namensgeber und anderen »Entdeckern«. (9) Wer in den letzten 500 Jahren in der »Neuen Welt«, auf dem »Schwarzen Kontinent« im Orient oder in der Südsee auf Forschungsreise war, tat dies notwendig in engem Einvernehmen mit den kolonialen Strukturen: Reiseerlaubnis und Reisewege, logistische Unterstützung waren kaum ohne Kooperation mit den jeweiligen Kolonialherren zu haben, oft haben sie auch die Reisen direkt finanziert. Diese Unterstützung war ohne »Gegenleistung« nicht zu haben. Die Entwicklung moderner Wissenschaften wie bspw. der Geographie, Geologie, Biologie und ganz besonders der Ethnologie oder, auf gut Alt-Deutsch: Völkerkunde, ist ohne die koloniale Expansion Europas schlicht nicht denkbar. (10)
Ja, Alexander von Humboldt war ein aufgeklärter Europäer, und ja, er hat sich immer wieder kritisch gegenüber der Kolonialpolitik und der Behandlung der Kolonisierten geäußert. Dennoch hat die Initiative »No Humboldt21« 2013 in ihrem »Moratorium für das Humboldt-Forum im Berliner Schloss« auch diese Namensgebung kritisiert und sich mit ihren Kritikern öffentlich auseinandergesetzt. Auch Humboldt war auf seiner berühmten »Reise nach Südamerika. Vom Orinoko zum Amazonas« (11) auf Kooperation mit der spanischen Kolonialmacht angewiesen. Nicht nur erhoffte sie sich von ihm »Hinweise auf die bessere Nutzung der zahlreichen Bergwerke« (12), sein Pass mit dem Siegel des spanischen Königs verpflichtete ihn nach außen zur Loyalität gegenüber der spanischen Krone und deren Repräsentanten. (13) In seinem Buch schrieb er selbst: »Ich übergab während meines Aufenthalts in Amerika den Statthaltern der Provinzen Abschriften des von mir gesammelten Materials über die Geographie und Statistik der Kolonien, das dem Mutterlande von einigem Nutzen sein könnte.«
Auch an einem weiteren wesentlichen Punkt unterschied sich Humboldt in keiner Weise von anderen Reisenden seiner Zeit. Wie fast alle war er der Meinung, dass die Menschen, die er traf und ihre Kulturen kategorisiert, inventarisiert und in Museen gebracht werden mussten, um sie als Zeugnisse einer baldigen Vergangenheit zu bewahren. So grub er auf der Rückreise vom Orinoco gegen erheblichen Widerstand der ansässigen Bevölkerung in der Höhle von Ataruipe Skelette Verstorbener aus, verpackte sie und nahm sie für anthropologische Forschungszwecke einfach mit.
Wenn er in seinem Buch schreibt »Es wird in beiden Amerikas überhaupt kein dauerndes Glück geben, als bis diese, durch lange Unterdrückung zwar gedemütigte, aber nicht erniedrigte Rasse alle Vorteile teilt, welche aus den Fortschritten der Zivilisation und der Vervollkommnung der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen«, so macht das in Kürze deutlich, dass auch die preußische Lichtgestalt zwar konkrete Begleiterscheinungen der kolonialen Expansion kritisch betrachtete, aber keineswegs ihre »zivilisatorische« Mission.
Dritter Akt: Koloniale Trophäen reloaded
Der hochtrabend formulierte Anspruch des Humboldtforums ist, »indigene Völker« in seine künftige Arbeit als »Haus der Kulturen der Welt« einzubeziehen. In diesem Sinne war 2013 eine kleine Delegation aus Kolumbien zu Gast in Berlin Dahlem. Zwei Vertreter der Kogi, einer heute 18.000 Menschen zählenden Gruppe, die sich vor den anrückenden Spaniern in das unwirtliche Küstengebirge zurückziehen und so ihre Kultur weitgehend erhalten konnte, waren eingeladen, Auskunft zu geben über zwei »Sonnenmasken«, die sich seit 100 Jahren im Depot der Stiftung Preußischer Kulturbesitz befinden. Hergestellt wurden die Masken in der Mitte des 15. Jahrhunderts, kurz vor der Ankunft der Spanier in Mittelamerika.
Kaum haben die beiden Gäste – ein Priester und politischer Vertreter der Kogi – die Masken gesehen und in einem Ritual Kontakt zu ihnen hergestellt, fordern sie ihre Rückgabe. »Wir sind ihre lebenden Söhne. Wir möchten mit ihnen sprechen und in Kontakt sein« sagt der Sprecher José de los Santos Sauna Limaco. Das sieht Gründungsintendant Parzinger offensichtlich anders: Juristisch gebe es keinen Anlass zur Rückgabe, die hätte gegenüber der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (statt gegenüber der Kuratorin) vorgebracht werden müssen; man könne – falls die konservatorischen Gegebenheiten dies zuließen – über eine Ausleihe sprechen. Man müsse eine gemeinsame Form finden. (14)
Am 18. Dezember 1973 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen in ihrer Resolution 3187 zunächst in der Präambel an die Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker von 1960 und die UNESCO-Konvention von 1970 erinnert. Sie kommt dann auf die »häufig als Ergebnis kolonialer oder fremder Besatzung« erfolgte Wegnahme von Kunstwerken und drückt ihre Überzeugung aus, dass deren Rückerstattung »den schweren Schaden wiedergutmachen werde«. Als operative Schlussfolgerung wird bekräftigt dass die »unverzügliche und kostenlose Rückerstattung von Kunstgegenständen, Denkmälern, Museumsstücken, Manuskripten und Dokumenten insofern geeignet ist, die internationale Zusammenarbeit zu stärken, als sie eine gerechte Entschädigung für den zugefügten Schaden« darstelle.
2004 kommt Thomas Fitschen in seinem sehr informativen Artikel »30 Jahre ‚Rückführung von Kulturgut’« zu dem Schluss »30 Jahre nach der Rede Mobutus kann der Versuch Zaires, in der Generalversammlung ein Recht der Entwicklungsländer (sic!) auf Rückführung von Kulturgut zu reklamieren, welches sie zu Zeiten kolonialer und anderer Formen politischer Fremdherrschaft verloren haben, nur als gescheitert betrachtet werden.« (16)
Das Bild in Deutschland ist tatsächlich trostlos. Auch in der BRD gab es in den 1970er Jahren unter Ethnologen im Allgemeinen und Museumsethnologen im Besonderen wissenschafts- und museumskritische Ansätze (17), das Völkerkunde-Museum in Frankfurt/Main und das Übersee-Museum Bremen veränderten ihre Konzepte fundamental im Sinne einer Abkehr von der Tradition des Musen-Tempels, in dem vorwiegend Raubgut ausgestellt war, zugunsten aufklärerisch-emanzipatorischer Bildungsarbeit mit dem Ziel der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. 1990 wurde der Direktor des Übersee-Museums entlassen, wenige Jahre später wurden die alten »Prunkstücke« des Museums wieder aus den Magazinen geholt und stolz zur Schau gestellt.
Die Völkerkunde-Museen stehen so bis heute in der Tradition, aus der sie kommen: zunächst – wie andere Museen auch – als königliche Kunstkammern entstanden, dann als Symbole imperialer Macht und Überlegenheit des Deutschen Reiches und seines stolzen Bürgertums und ihrer Städte gebaut. Gefüllt mit Trophäen kolonialer Expansion und Aneignung der Welt.
Ach so, da war noch etwas: der Vorschlag durchaus honoriger Personen wie Hennig Melber, deutsch-namibischer Afrikanist und politischer Aktivist, im Humboldt-Forum einen Gedenkraum für die Opfer des deutschen Kolonialismus einzurichten. Dagegen wendet Jürgen Zimmer, Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg, ein: »Anstatt auf einen Gedenkraum des Kolonialismus zu setzen, sollte die Zivilgesellschaft dafür streiten, das Humboldt-Forum insbesondere in der Geschichte seiner Objekte zu dekolonisieren. Das wäre Aufgabe genug. Die Benin-Bronzen (20) als eindeutige Raubkunst und spektakulärste Objekte müssen erst restituiert und dann als Leihgaben gezeigt werden – in einem Forum, das man zumindest in einem substantiellen Teil Benin-Forum nennt. Ein Gedenkort darin wäre dann obsolet. Das Benin-Forum wäre der Gedenkort. (21) Wahrscheinlicher ist, dass eintritt, was der Documenta-Kurator Bonaventura Ndikung erwartet: »Die Deutschen bauen sich ein Museum, um darin Objekte aus dem ›Nichtwesten‹ zu zeigen. Dieses Museum liegt am Schlossplatz, nicht fern von der Alten Nationalgalerie, die ausschließlich Objekte des ›Westens‹ beherbergt. Da inszeniert man wieder den alten Gegensatz von ›wir‹ und ›die‹. Solange wir das tun, werden wir nie in der Lage sein, Ereignisse wie etwa in Beirut, Paris oder Bamako zu verstehen. Es gibt kein ›wir‹ und kein ›sie‹, weder politisch noch kulturell. (22)«
(3) So widmet sich eine Begleitveranstaltung der von arche+ – Zeitschrift für Architektur und Urbanismus zusammen mit der vom Neuen Kunstverein organisierten Ausstellung »1989–2019: Politik des Raums im Neuen Berlin« auch dem »Mythos der Geschichte«. Im Ankündigungstext dazu heißt es: »Das Berlin der Post-Wende-Zeit bot Raum, war im Wandel begriffen und sollte, so die politische Vision, wieder zur Weltstadt werden. Diese Global-City-Ambitionen verbanden sich nicht selten mit einer Rhetorik des Nationalen, die Berlin als deutsches Aushängeschild in der Welt imaginierte. Diese Vorstellung mündete einerseits in einer flächendeckenden Überschreibung der DDR-Moderne, andererseits in einer vermeintlichen Berlinischen Architektur mit einer historisierenden und rekonstruierenden Bauweise. Mit der Fertigstellung von Großprojekten wie dem Humboldt Forum, dem Bau von Luxuswohnungen mit historisch anmutenden Fassaden oder der geplanten Rekonstruktion des Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz bleibt die Debatte um revisionistische Tendenzen virulent.«
(4) Heute Präsident des Goethe-Instituts und Programmbeirat des Humboldt-Forums
(5) Klaus-Dieter Lehmann, Die Kulturen der Welt auf dem Schlossplatz, in: Horst Bredekamp/Peter-Klaus Schuster (Hg.), Das Humboldt Forum. Die Wiedergewinnung der Idee, Berlin 2016, S. 246-249; zitiert nach dem sehr lesenswerten Artikel von Daniel Morat, Katalysator wider Willen. Das Humboldt Forum in Berlin und die deutsche Kolonialvergangenheit. In: Zeithistorische Forschungen, Heft 1/2019. (https://zeithistorische-forschungen.de/autoren/daniel-morat)
(6) Ebd.
(7) Beate Binder, Vom Preußischen Stadtschloss zum Humboldt-Forum. Der Berliner Schlossplatz als neuer nationaler Identifikationsort, in: Yves Bizeul (Hg.), Rekonstruktion des Nationalmythos? Frankreich, Deutschland und die Ukraine im Vergleich, Göttingen 2013, S. 99-120, hier S. 114.; zit. nach Morat (s. Anm. 5)
(8) Hermann Parzinger, Das Humboldt-Forum. »Soviel Welt mit sich verbinden als möglich«. Aufgabe und Bedeutung des wichtigsten Kulturprojekts in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Berlin 2011, S. 1; zit. nach Morat (s. Anm. 5)
(9) Einige Frauen gab es darunter durchaus auch, allerdings sind ihre Namen meist dem Vergessen anheimgefallen – auch weil sie meist ohne hoheitlichen Auftrag unterwegs waren.
(10) So schrieb der als »Begründer der modernen deutschen Völkerkunde« (sic!) geltende Ethnologe Adolf Bastian in seiner »Vorgeschichte der Ethnologie«: »Ein maßgeblicher Bundesgenosse trat jetzt hinzu, in naturgegebener und förderlicher Allianz, aus dem praktischen Gebiete, aus den Bedürfnissen kolonialer Verwaltung, um die durch schwere Kosten an Geld und Blut strafenden Missgriffe in der Beherrschung der Eingeborenen fürderhin zu vermeiden.« (Berlin 1881)
(11) So der Titel der aktuellen Veröffentlichung im Lamuv-Verlag Göttingen 1990, herausgegeben von Jürgen Starbatty
(17) Vgl. z. B. »Museum, Information, Forschung: MIF; Rundbrief der Arbeitsgruppe Museum in der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde, Bremen: Übersee-Museum 1973 – 1990
(18) Horst Bredekamp, Heimkehr auf den Schlossplatz – Rekonstruktion der Kunstkammer, in: ders./Schuster, Das Humboldt Forum (Anm. 4), S. 266-269, hier S. 266. Vgl. dazu auch Horst Bredekamp/Michael Eissenhauer, Keimzelle Kunstkammer, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Hg.), Das Humboldt-Forum im Berliner Schloss. Planungen, Prozesse, Perspektiven, München 2013, S. 50-57; zit. nach Morat (s. Anm. 5)
(19) Thomas Flierl/Hermann Parzinger, Humboldt-Forum Berlin. Das Projekt – Ortsbestimmung, in: dies. (Hg.), Die kulturelle Mitte der Hauptstadt. Projekt Humboldt-Forum in Berlin, Bonn 2009, S. 8f., hier S. 8.; zit. nach Morat (s. Anm. 5)
(20) Das Königreich Benin wurde um 600 u. Z. im Südwesten des heutigen Nigeria gegründet. Der holländische Händler und Geograph Olfert Dapper beschrieb 1668 in seinem Buch »Umbstaendliche und Eigentliche Beschreibung von Afrika« staunend die Pracht der Hauptstadt und des Königspalastes. 1897 wurde die Hauptstadt im Rahmen einer britischen »Strafexpedition« völlig zerstört und geplündert. Seitdem gehören die »Benin-Bronzen« zu den Prunkstücken europäischer Museen. Auch im Humboldt-Forum sollen sie einen hervorgehobenen Platz einnehmen.
(21) Die Kontroverse ist dokumentiert in nd, Mikroskop, 19./20. Januar 2019
(22) Humboldt-Forum: »So etwas wie Unterwerfung«. Die Zeit, Nr. 2/ 2016
Pressemitteilung – 30. Januar 2021. Die VVN-BdA NRW lehnt das geplante Versammlungsgesetz der von CDU und FDP geführten Landesregierung in der vorliegenden Form ab. Als Teil der größten antifaschistischen Organisation der Bundesrepublik Deutschland, 1946 von den Überlebenden der Konzentrationslagern und des Holocaust in Düsseldorf gegründet, sehen wir in diesem Gesetzesentwurf die Gefahr, in Zukunft nicht mehr gegen den aktuell immer stärker werdenden Rechtsextremismus demonstrieren zu können. Sollte dieser Entwurf verabschiedet werden, würde bereits ein Aufruf zur gewaltfreien Blockade von Aufmärschen neofaschistischer und rechtspolulistischer Parteien und Gruppierungen unter Strafandrohung von bis zu zwei Jahren gestellt werden. Auch angemeldete Gegendemonstrationen wären davon betroffen. Gewinner wären nur rechte Parteien und Gruppierungen.
Nach der Verschärfung des Polizeigesetzes 2018 geht NRW mit diesem Gesetzentwurf einen weiteren Schritt in Richtung Polizeistaat. Gegenüber Veranstalter*innen, Versammlungsleiter*innen, Order*innen und Teilnehmenden werden Hürden und eine strafbewehrte Drohkulisse aufgebaut, die offenbar vor der Anmeldung und Durchführung von öffentlichen Kundgebungen abschrecken oder diese zumindest erschweren soll. Davon wären dann nicht nur antifaschistische Kundgebungen betroffen, sondern auch Kundgebungen beispielsweise der Friedens-, Umwelt- und Klimabewegung, wie z.B. „Fridays for Future“ oder „Ende Gelände“.
Der Gesetzentwurf schreibt vor, dass in der Einladung zu einer öffentlichen Versammlung der Name des Veranstalters oder der Veranstalterin anzugeben sei. Dies bedeutet faktisch, dass die anmeldende Person einer antifaschistischen Demonstration den Nazis zum Fraß vorgeworfen wird. Ferner soll aus jedem Grund, den die Polizei als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ annimmt, eine Liste mit Namen und Adressen der Ordner herausgeben werden müssen, unabhängig davon, ob die Gefahr aus der eigenen Demonstration oder von anderen Umständen ausgeht. Auch weitere Einschränkungen wie das sogenannte „Militanzverbot“, die Einrichtungen von Kontrollstellen oder die Erleichterung von Teilnahmeuntersagungen gegenüber einzelnen Personen ohne versammlungsbezogenen Anlass eröffnen Tür und Tor für willkürliche Entscheidungen der Polizei. Nicht überraschen kann in diesem Zusammenhang der Ausbau der Videoüberwachung.
Die Möglichkeit zu friedlichen Blockadeaktionen ist eine ebenso wichtige und legitime Protestform. Das Recht, unerkannt an öffentlichen Formen des Protests und der Meinungsäußerung teilzunehmen ist für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft nicht verhandelbar. Sollte dieser Gesetzentwurf so verabschiedet werden, würden erfolgreiche Gegendemonstrationen gegen die rechte Szene nur noch unter hohen persönlichen Risiken für die Beteiligten stattfinden können – oder eben gar nicht mehr. Damit würde das Versammlungsgesetz die Straße für Neofaschisten und Rechtsextremisten frei machen.
Am 28. Januar 2021 wurde der nordhessische Neofaschist Stephan Ernst wegen des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Juni 2019 vom OLG Frankfurter zu lebenslanger Haft verurteilt. Jedoch können dieser Prozess und das Urteil nicht zufriedenstellen. Dafür gibt es mehrere Gründe: In diesem Verfahren wurden die politischen Hintergründe, die mit dem Mord verbunden neofaschistischen Netzwerke in Nordhessen und darüber hinaus sowie die Eingebundenheit des Täters in AfD bis „Sturm 18“ systematisch ausgeblendet.
Ein weiterer, rassistischer Mordversuch an dem Iraker Ahmed I. im Jahre 2016 wurde seitens des Gerichts mit einer solchen Ignoranz behandelt, dass Stephan Ernst von diesem Anklagepunkt freigesprochen wurde.
Ein weiterer Skandal ist der Freispruch des militanten Neonazis Markus H. vom Vorwurf der „Beihilfe zum Mord“. Dieser war über viele Jahre gemeinsam mit Stephan Ernst in der gewalttätigen Neonaziszene aktiv, hatte Lübcke durch die Veröffentlichung eines Videos zum Ziel neofaschistischer Gewalt gemacht und mit Ernst verschiedene Aktionen vorbereitet und umgesetzt.
Das Gericht verurteilte ihn lediglich wegen illegalem Waffenbesitz zu einer banalen Strafe – auf Bewährung. H. verlässt damit das Gericht als freier Mann und kann seine neofaschistische Karriere „unbelastet“ fortsetzen.
Die VVN-BdA sieht nach diesem Urteil und seiner Begründung noch erheblichen Klärungsbedarf, was auch die Rolle der hessischen Sicherheitsorgane betrifft. Der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags muss hierzu klare Erkenntnis vorlegen, wenn die Aufarbeitung des neofaschistischen Mordes an Dr. Walter Lübcke nicht ins Leere laufen soll.
Kontakt:
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In einem Statement anlässlich des Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, das von der »Tagesschau« veröffentlicht wurde, sagte Esther Bejarano, Musikerin, Antifaschistin und Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz:
Wo stehen wir in diesem Jahr 76 nach der Befreiung des KZ Auschwitz? Was ist aus unseren Hoffnungen geworden? Wir sind nur noch wenige, wir Überlebende der Konzentrationslager. Wir schweigen nicht. Wir berichten über das, was damals geschah. Werden Bücher, Filme und Erzählungen ausreichen, um die nächsten Generationen zu immunisieren gegen die neuen und alten Nazis, gegen Antisemiten, Rassisten und Verschwörungsideologen?
Aus Worten werden Taten. Wir wissen das. Wir wissen um das braune Netz nach ’45, das laute Schweigen, das Versagen des Staates bei der Entnazifizierung. Für uns ist es unerträglich, wenn wieder Naziparolen gebrüllt und Synagogen angegriffen werden, Todeslisten kursieren, Rechtsextreme in den Parlamenten sitzen. Wiederholt sich Geschichte? Primo Levi, auch Häftling in Auschwitz, hat gesagt: »Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen.« Wir erinnern, um zu verändern, um unsere Demokratie zu bewahren. Der Schlüssel dazu ist für mich die Jugend. Die müssen wir gewinnen. Ihr seid nicht schuldig für das, was damals geschehen ist, sage ich. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts von dieser Geschichte wissen wollt.
Was in den Gaskammern endete, begann mit Repression, Ausgrenzung, Rassismus. Das kennen viele der Jungen. Oft höre ich dann: »Frau Bejarano, auch wenn Sie einmal nicht mehr da sind, wir werden Ihre Geschichte immer weiter erzählen.« Das ist meine große Hoffnung! Mit einer Veränderung aber können wir sofort beginnen: Der 8. Mai muss ein Feiertag werden, ein Tag, an dem die Befreiung der Menschheit vom NS-Regime gefeiert werden kann! Und wer Bedenken hat, ob gerade auch Deutsche diesen Tag feierlich begehen sollten, der stelle sich vor: Wie würde die Welt heute aussehen, wenn die Nazis gewonnen hätten?
Beängstigend muss es gewesen sein, als am 23. Mai 1925 zahlreiche Schulklassen unter Führung ihrer Lehrer mit Fahnen und Gesang zum Stadtwald am Freudenberg in Elberfeld marschierten (heute Wuppertal).
Anlass war die Enthüllung eines Gedenksteins zu den überall stattfindenden Feiern, die die „tausendjährige Zugehörigkeit des Rheinlandes zu Deutschland“ erklärten. Worte und Lieder des Hasses forderten die Kinder und Jugendlichen zur Fortführung der Feindschaft mit Frankreich auf, diese Worte und Lieder bestätigten den radikalen Nationalismus, der in den Ersten Weltkrieg geführt hatte und in den Zweiten Weltkrieg führen wird.
Gespenstisch war es, als im Wald am Freudenberg das Blechbläserquartett der Universität Wuppertal das Lied „Ach du wunderschöner deutscher Rhein“ anstimmte. Am 23. Mai 2016 – genau 91 Jahre später – wurde dieses sorgsam restaurierte Denkmal feierlich wieder eingeweiht. Die Inschrift des Gedenksteins hat sich nicht geändert.
Unerträglich ist es, dass dieser Ort der nationalistischen Feindseligkeit seit 2015 auf der Denkmalliste der Stadt Wuppertal steht (Nr. 4239).
„Was immer möglich gewesen sein mag, es ist nicht geschehen.“
Eckard Conze zu Kaiserreich und Demokratie
Der 18. Januar 1871, Tag der Gründung des deutschen Nationalstaates im Spiegelsaal von Versailles, jährt sich zum einhundertundfünzigsten Mal. Einflussreiche Kräfte von rechts deuten die Geschichte des autoritären Kaiserreiches positiv, um ihrer heutigen und zukünftigen deutschnationalen Politik eine Legitimation zu verschaffen.
Gegen den verharmlosenden Erinnerungskult an das Kaiserreich und seine nationalistischen Traditionen setzt der Historiker Eckhard Conze sein neues Buch Schatten des Kaiserreiches – Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe.
Er fragt „Begann 1871, was zwischen 1933 und 1945 so katastrophal endete? War im Kaiserreich das „Dritte Reich“ bereits angelegt?“ und kann zeigen, dass sowohl die Entstehung des Nationalstaates, seine Konstruktion und die vor allem die reaktionären gesellschaftlichen Strukturen in den Ersten Weltkrieg geführt, die Weimarer Republik zerstört und den deutschen Faschismus ermöglicht haben.
Im ersten Teil des Buches beschreibt Conze den Weg zum Nationalstaat. Die Befreiung von der französischen Besatzung 1813 gehört zur Vorgeschichte der „Reichsgründung“ ebenso wie der Zollverein und die „Rheinliedbewegung“ 1840. Die bürgerliche Revolution 1848 beurteilt er folgendermaßen: „Aber 1848 blieb der deutsche Nationalismus noch partizipativ, er blieb eine progressive, tendenziell „linke“ Bewegung.“
Seit der Niederlage der 48er Revolution bestimmt Bismarck die Entstehung des Nationalstaates unter der Vorherrschaft von Preußen. Die Errichtung des Deutschen Reiches im und durch die Kriege Preußens gegen Dänemark, Österreich und Frankreich, jene „Kriegsgeburt“ enthält schon einige der reaktionären Bausteine, die sich unter Wilhelm II immer weiter radikalisieren: den Krieg und den Sieg als nationalistischen Kitt (Conze: Einheit durch Feindschaft), den Hass gegen alles Französische, die Demütigung des Gegners durch die Besetzung Elsass-Lothringens, Reparationsforderungen, die Staatsgründung im Spiegelsaal von Versailles. Es ist eine der nachdrücklichsten Feststellungen Conzes, dass Bismarck erst mit der Unterstützung der Liberalen seine Revolution von oben und seine Kriege durchsetzen konnte. „Im Kriegssommer 1870 enthielt die Idee der Nation kein Demokratieversprechen.“
Jetzt folgt der entscheidende 2. Teil des Buches, denn Conze benennt offen vieles, was den neu gegründeten „autoritären Nationalstaat“ strukturell kennzeichnet.
Dieses Kaiserreich war keine Demokratie, denn das Wahlrecht (nur für Männer) war in Preußen, das hieß für 60 Prozent der Wähler, eingeschränkt. Das vom Einkommen abhängige Dreiklassenwahlrecht beschreibt Conze: „1908 gehörten [in Preußen] 82 Prozent der Wahlberechtigten der ritten Wählerklasse an und verfügten damit über das gleiche Stimmgewicht wie die vier Prozent der Wahlberechtigten, die aufgrund ihres Steueraufkommens der ersten Wählerklasse zugeordnet waren.“ Es gab auch keine festgeschriebenen Grundrechte wie in der Verfassung von 1848. Noch wichtiger war, dass das Parlament keine Regierung bilden konnte und auch den Reichskanzler nicht abwählen konnte. Die Stellung von Kaiser und Reichskanzler war institutionell unangreifbar, die Macht der Fürsten groß und von Preußen dominiert.
Zu diesen Grenzen der Demokratisierung kommt der ausschließende Nationalismus: „Den äußeren Feinden der Nation, allem voran dem „Erbfeind“ Frankreich, entsprachen als „Reichsfeinde“ im Innern alle Kräfte, die sich im autoritären, kleindeutsch-preußischen und protestantischen Nationalstaat nicht wiederfanden, die ihn ablehnten, weil er im Gegensatz zu ihren politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen stand. Das galt für Katholiken, es galt für die Arbeiterbewegung und für nationale Minderheiten wie Polen, Dänen oder frankophone Elsässer, für die Anhänger der Welfen (…) und sehr bald auch schon für die deutschen Juden. Sie alle verband die Stigmatisierung als Reichsfeinde, als „undeutsch“, der Vorwurf, durch nationale Unzuverlässigkeit die Einheit der Nation zu unterminieren und sie dadurch zu schwächen.“
Die Bedeutung des Antisemitismus in Gesellschaft und Politik hebt Conze hervor. Er macht deutlich, dass der „Antisemitismus (.) auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft“ war. Über Marr, Treitschke, Stoecker, De Lagarde und Böckel bilden sich antisemitische Ideologien und auch Vereine, die sogar Abgeordnete in den Reichstag schicken. „Aber der aggressive Antisemitismus dieser Splitterparteien allein reichte nicht aus, um den Judenhass in der deutschen Gesellschaft zu verankern und ihm eine Massenbasis zu geben. (…) Viel wichtiger für die Verbreitung und die Massenwirkung des Antisemitismus ist die Tatsache, dass er seit den 1890er Jahren Eingang in die Programme und das Selbstverständnis der Deutschkonservativen Partei und der entstehenden nationalistischen Massenorganisationen fand. Dort verband er sich noch enger mit einem sich immer weiter radikalisierenden Nationalismus völkisch-rassistischer Prägung. Der moderne, rassische Antisemitismus war geradezu ein wesentliches, wenn nicht das entscheidende Merkmal jener radikalnationalistischen Rechten, deren Aufstieg in den 1890er Jahren begann.“
Er weist uns auf die immer weiter wachsende, entscheidende Rolle der Verbände im Kaiserreich hin. Sie haben den politischen Diskurs nachhaltig nach rechts gedrückt, und auch die Lebenswelt von Millionen Deutschen über mehrere Jahrzehnte bestimmt. Der Alldeutsche Verband organisiert seit 1891 die Multiplikatoren und wird selbst von der herrschenden Klasse gelenkt. Von hier werden die Kriegervereine, der Flottenverein, die Kolonialvereine usw. mit Ideologie, Schulung und Personal versorgt. „Ohne Unterbrechung jagten die Alldeutschen die Berliner Politik und ihre führenden Repräsentanten, ihr nationalistischer Druck ließ zu keinem Moment nach.“
Autoritarismus und Nationalismus gehen einher mit Imperialismus. Die deutsche Außenpolitik gegenüber den anderen imperialistischen Staaten ist gekennzeichnet durch Machtpolitik ohne den Willen zur Verständigung, durch Hinterzimmer- und Geheimpolitik (Conze: Nicht-Krieg als Frieden).
Schon Mitte der 1880er Jahre annektiert das Kaiserreich den Großteil seiner Kolonien. Der Kolonialismus ist Teil der „Weltpolitik“, des imperialistischen Kampfes um Einflusssphären. Das Kaiserreich unterwirft die besetzten Gebiete einer dreißig Jahre andauernden Ausbeutung und Unterdrückung bis hin zum Völkermord. Diese postkoloniale Geschichte Deutschlands betont Conze, und er verweist auf die daraus resultierende Verantwortung von Staat und Gesellschaft heute: „Deutschland teilt mit seinen ehemaligen Kolonien eine gemeinsame koloniale und postkoloniale Geschichte. (…) Nach einer Phase kolonialer Amnesie wird Deutschland von seiner kolonialen Vergangenheit eingeholt.“ Endlich werden die die jahrzehntealten Rückgabeforderungen des Raubgutes – das sich etwa im Humboldt Forum befindet – gehört.
Die massive Aufrüstung und immer aggressivere Provokationen führen schließlich zur vom Kaiser und den Militärs gewünschten Eskalation. Am Ende steht der Erste Weltkrieg, der in Deutschland direkt aus dem überall präsenten Bellizismus resultiert. „Der erwartete Sieg (…) würde nicht nur Deutschlands Macht vergrößern und das Kaiserreich endgültig zur Weltmacht machen, sondern er würde auch den Ansturm der Demokratie aufhalten und den autoritären Nationalstaat stabilisieren: „Nach jedem Krieg wird es besser.““
Ein vergangenes Reich? – so lautet der 3. Teil der Schatten des Kaiserreichs. Conze beginnt mit der Historikerdebatte in der BRD und im angelsächsischen Raum zwischen den konservativen Alten und der kritischen Generation, in der, inspiriert von der „Fischer-Kontroverse“, die dominierende deutschnationale und interessengeleitete Sichtweise verdrängt werden konnte. Schließlich setzt sich die Sonderwegsthese in den Auseinandersetzungen zwischen rechts und liberal durch, die „Bielefelder Schule“ steht seit Anfang der 70er Jahre für diese Herangehensweise. Dabei beruft sich die Sonderwegsthese, wenn auch in aufklärerischer Absicht, auf die deutschnationale Erzählung des Gegensatzes zwischen Deutschland und dem Westen (der “Geist von 1914“ gegen die „Ideen von 1789“). Eine tiefergehende Analyse des Kaiserreiches muss deshalb, und wegen der innewohnenden Idealisierung westlicher Gesellschaften, über diesen Ansatz hinausgehen. „Aber als Narrativ zunächst von Abweichung und Devianz, dann, nach 1945, als Erzählung der Rückkehr zum Westen und damit letztlich doch als Fortschrittsgeschichte, konnte sie sich wissenschaftlich am Ende nicht behaupten.“ Die sich ändernde Bewertung der Rolle Bismarcks im Diskurs der BRD ist ein Indiz für das politische Klima, ein „Gradmesser für die Liberalität in Politik und Gesellschaft“.
Anschließend zeigt Conze, wie Christopher Clarks Bestseller „Die Schlafwandler“ (2014) die deutsche Debatte um „100 Jahre Erster Weltkrieg“ dominiert. Clarks Thesen relativieren die Schuld des kaiserlichen Deutschland am Ausbruch des Ersten Weltkriegs, natürlich im Sinne der neurechten Historiker*innen. In der rechten Argumentation ist die Abwehr der Kriegsschuld der notwendige erste Schritt. Der dann nicht mehr gerechtfertigte Versailler Vertrag habe schließlich zum deutschen Faschismus geführt (1919 bringt 1939). Die Zuweisung der Schuld am Ersten und damit auch am Zweiten Weltkrieg durch die Siegerländer verhindert heute über den „Schuldkult“ eine selbstbewusste und unabhängige Außenpolitik, ein „normales“ Deutschland. Conze zeigt die Mechanismen dieser Selbstentlastungsdiskurse auf.
Die Entschädigungsforderungen der Hohenzollern, der preußischen Königs- und Kaiserdynastie, gegen die BRD, vorgetragen seit 1991, haben 2019 zu einer scharfen Debatte geführt, in deren Zentrum die Mitschuld der Kaiserfamilie an der Stärkung, Durchsetzung und Stabilisierung des deutschen Faschismus steht. Entschädigung ist laut Gesetz nur zulässig, wenn dem Nazisystem kein `erheblicher Vorschub` geleistet wurde. Conze: „Schon 1926 empfing [Kronprinz Wilhelm (1882-1951)] den gerade aus der Landsberger Haft entlassenen Hitler im Schloss Cecilienhof. Sechs Jahre später, im Vorfeld der Reichspräsidentenwahl von 1932, sondierte der Kronprinz im Gespräch mit Hitler die Möglichkeit, sich zum Reichspräsidenten wählen zu lassen und Hitler dann zum Reichskanzler zu ernennen. Als das nicht funktionierte, unterstützte er Hitler als Kandidat bei der Präsidentenwahl (…) und brüstete sich dann damit, Hitler enorme Stimmengewinne verschafft zu haben. Fast gleichzeitig setzte er sich für eine Aufhebung des in Preußen verhängten Verbots von SA und SS ein. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme trugen der Kronprinz und andere Angehörige der Familie durch ihre Anwesenheit beim „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 dazu bei, den Schulterschluss zwischen Konservativen und Nationalsozialisten öffentlich zu inszenieren. Für die Zustimmung von Adeligen, Konservativen und Monarchisten zum Nationalsozialismus war gerade dieser Auftritt in der Garnisonskirche – an den Särgen der Preußenkönige und vor dem leeren Thron des Kaisers – von kaum zu unterschätzender Bedeutung.“
Er nennt einige der wissenschaftlichen Akteur*innen des aktuellen rechten Diskurses um Hohenzollernentschädigung und Kaiserreich; in diesem Umfeld werden auch zwei Gutachten positiv besprochen, die die Verstrickungen der Hohenzollern bagatellisieren: Cora Stephan, Jörg Friedrich, Hedwig Richter, Andreas Wirsching, Sönke Neitzel, Dominik Geppert, Michael Wolffsohn, Benjamin Hasselhorn und auch Herfried Münkler.
Eckart Conze hat das wichtigste Buch zum 18. Januar 1871 vorgelegt, seine „geschichtspolitische Intervention“ zielt auf die Gegenwart, und er warnt für die Zukunft vor den neuen Deutschnationalen: „Nation ist in dieser Sichtweise kein demokratisches und kein freiheitliches Konzept individueller Zugehörigkeit und Teilhabe, sondern beruht auf der Unterscheidung von Gemeinschaft und Gemeinschaftsfremden.“ Er macht deutlich: Wer das Kaiserreich idealisiert, wendet sich gegen die Fundamente der Republik.
„Allein die Weimarer Republik kann einen Platz im Demokratiegedächtnis der Bundesrepublik beanspruchen.“ Eckart Conze
Ja, vielleicht – aber was ist mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit?
Stark gekürzt erschienen als „Verklärung birgt Gefahren“ in: antifa – Magazin der VVN-BdA für antifaschistische Politik und Kultur, Januar/Februar 2021, Seite 28
Wir gedenken heute -an den Gräbern der Kriegsgefangenen, der polnischen und sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter- am 8. Mai 2015 der Befreiung vom Faschismus.
Es ist 70 Jahre her, dass die Diktatur des deutschen Faschismus endlich gestürzt werden konnte.
Aber auch heute bedrohen faschistische Gefahren unsere Demokratie und den Frieden.
Am 11. April haben drei Faschisten einen Wuppertaler Antifaschisten in unmittelbarer Nähe des Autonomen Zentrums angegriffen und versucht ihn zu erstechen. Bis heute liegt das Opfer im künstlichen Koma.
Anstatt umfassende Ermittlungen zur Aufklärung zu leisten und alle drei Täter festnehmen zu lassen, verwickelt sich die Wuppertaler Polizei in Widersprüche und suggeriert eine Teilschuld der zu Hilfe eilenden Besucher des Autonomen Zentrums.
Dass dieser Mordversuch nicht zu einem Aufschrei in unserer Stadt geführt hat, dass nicht umfassend und eindeutig über dieses Verbrechen berichtet wird, dass dem offenen faschistischen Straßenterror nicht mit aller Macht entgegengetreten wird, ist niederschmetternd.
Neben diesem erschreckenden aktuellen Beispiel zeigt auch der Umgang der Wuppertaler Presse,der Öffentlichkeit mit der sogenannten Alternative für Deutschland wie es um den Faschismus in unserer Gesellschaft steht.
Die Partei AfD ist mit zwei Stadtverordneten im Rat der Stadt Wuppertal vertreten. Die AfD steht, ebenso wie die anderen Parteien der extremen Rechten für Rassismus, Sozialdarwinismus, Fremdenfeindlichkeit, nationalen Chauvinismus, Frauenfeindlichkeit und Hass auf Minderheiten. Die Nähe der AfD zu PEGIDA ist unübersehbar.
Umso erschreckender ist es, dass in der Wuppertaler Rundschau regelmäßig Anzeigen der AfD Wuppertal erscheinen können. Am vergangenen Mittwoch wurde dann in der Printausgabe noch ausführlich aus einer Pressemitteilung der AfD zitiert. Auf der Facebook-Seite der AfD wird begeistert auf einen ähnlichen Artikel auf der Internetseite der WR hingewiesen. Auch die Anzeige wird dort stolz präsentiert.
Wir fordern die Leitung der Wuppertaler Rundschau auf, die Verharmlosung und Etablierung der AfD zu beenden!
Spenden Sie die Umsätze aus den AfD-Anzeigen an Flüchtlingsinitiativen und Projekte der Völkerverständigung!
Der Frieden wird ebenso durch den herrschenden Militarismus bedroht.
Im Juni 1944 wurde in Manises, einem Ort in den französischen Ardennen, von der Wehrmacht ein Kriegsverbrechen entsetzlichen Ausmaßes verübt: einhundertundsechs Menschen -zumeist junge Leute und Jugendliche- wurden verdächtigt, der Resistance anzugehören und alle ermordet. Ein Teil dieser einhundertundsechs Getöteten wurde zuvor gefoltert.
Ein Hauptverantwortlicher für dieses Massaker war Major Karl Theodor Molinari. In Frankreich wurde Molinari als Kriegsverbrecher in Abwesenheit zum Tode verurteilt, in der Bundesrepublik machte er dagegen in der Bundeswehr und in der Politik Karriere.
Karl Theodor Molinari ist seit 1989 der Namensgeber der Stiftung des Bundeswehrverbandes. Diese Ehre wurde ihm noch zu Lebzeiten zuteil, er verstarb 1993.
Französische Antifaschisten fordern, endlich die Bundeswehrstiftung aufzulösen. In der französischen Öffentlichkeit wird es klar ausgesprochen: „Der Name beleidigt die Toten“.
An den Händen von Molinari klebt das Blut von einhundertundsechs jungen Menschen.
Wie kann es sein, dass diese Bildungseinrichtung auch 2015 noch den Namen eines faschistischen Kriegsverbrechers trägt?
Aber nicht nur der Name des Wehrmachtsmörders Molinari weist auf ungebrochene reaktionäre Traditionen in der Bundeswehr hin.
Die Karl-Theodor-Molinari-Stiftung hat die Herausgabe eines Buches mit dem Titel „Soldatentum“ ermöglicht, das im Jahr 2013 erschienen ist. Die Herausgeber des Sammelbandes sind die jungen Bundeswehroffiziere Martin Böcker, Larsen Kempf und Felix Springer.
Während ihres gemeinsamen Studiums an der Universität der Bundeswehr in München zwei Jahre zuvor traten alle drei in die Redaktion des Studierendenmagazins campus ein; Martin Böcker wurde Chefredakteur. Es wird dann bekannt, dass Böcker und Springer in der rechten Wochenzeitschrift Junge Freiheit und im rechten Magazin Sezession publizieren und Kontakte zum rechten think tank Institut für Staatspolitik haben. Böcker schreibt er werde die Pressefreiheit -Zitat – „schamlos ausnutzen“.
Und gerade diese drei bekennenden Vertreter der sogenannten Neuen Rechten werden durch die KTMS und der Deutsche Bundeswehrverband massiv gefördert.
An diesem 8. Mai 2015 fordern wir zusammen mit unseren französischen Freunden die Auflösung der Karl-Theodor-Molinari-Stiftung des deutschen Bundeswehrverbandes!
Der 8. Mai mahnt uns wachsam zu bleiben gegen alle Formen des Faschismus.
Pressemitteilung der VVN-BdA NRW vom 8. Januar 2021
„Distanzelektroimpulsgerät“, so heißen die neuen Elektroschocker offiziell, die die Polizei NRW seit Januar diesen Jahres in vier Polizeibehörden einsetzen kann. In Dortmund, Düsseldorf, Gelsenkirchen und im Rhein-Erft-Kreis werden die umgangssprachlich „Taser“ genannten Geräte für ein Jahr im Streifendienst erprobt. Die VVN-BdA NRW lehnt die Einführung von Folterinstrumenten ab.
Im Einsatz werden gegnerische Personen auf fünf Meter Entfernung mit einem grünen Laser anvisiert und dann mit Metallpfeilen an Drähten beschossen, die in die Haut eindringen. Mit einer hohen Stromspannung wird der so Beschossene dann außer Gefecht gesetzt. 50 000 Volt und zwei bis drei Milliampere Stromstärke führen zu einer schmerzhaften Muskelkontraktion, die auch bei Menschen wirken, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen. Mögliche Herzprobleme inklusive Herzstillstand insbesondere bei Menschen, die Alkohol oder Drogen im Blut haben nicht ausgeschlossen.
Für die Testphase wurden insgesamt 60 „Taser 7“ der Firma Axon beschafft. An den Geräten wurden 30 Multiplikatoren und 400 Endanwender drei Tage lang geschult, die die Geräte abwechselnd mitführen werden. Das Nachbarland Rheinland-Pfalz hat die Testphase schon hinter sich. Dort sei das Gerät, berichtet die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die sich für die flächendeckende Bewaffnung mit „Tasern“ ausspricht, in 30 „Einsatzlagen“ eingesetzt worden, wobei in 21 Fällen schon die Androhung genügt habe, um die Lage zu beruhigen. Auch im Saarland und in Hessen sind „Taser“ im Gebrauch, weitere Länder und die Bundespolizei planen deren Einführung oder Erprobung. Die GdP erhofft mit den Geräten die Gewalt gegenüber Polizeibeamt*innen verringern zu können.
Die VVN-BdA NRW lehnt die Bewaffnung der Polizei mit Folterinstrumenten ab. Auch die vorgebliche „deeskalierende Wirkung“ kann kein Argument für die Einführung sein, denn Folter und Androhung von Folter sind aus gutem Grund verboten. Zudem befürchtet die VVN-BdA NRW, dass mit der zunehmenden Verbreitung dieser Waffe die Hemmschwelle sinkt, sie auch in unnötigen Situationen einzusetzen.