Pressemitteilung der VVN-BdA Wuppertal, 4.März 2021
Von Sebastian Schröder
Ehrenmitglied der VVN-BdA in akuter Gefahr
Mumia Abu-Jamal wurde positiv auf Covid 19 getestet und leidet unter starken Symtomen.
Seit 2002 steht die VVN-BdA an der Seite Mumia Abu-Jamals, er wurde auf Initiative auch von Peter Gingold zum Ehrenmitglied ernannt. Restistance-Kämpfer und Antifaschist Peter Gingold: „Seit fast zwei Jahrzehnten sitzt er in der Hölle des death row, des Todestrakts. Aus Rassenhaß, denn seine Haut ist schwarz. Weil die Stimme dieses Kämpfers für Menschenrechte, des mutigen, unabhängigen und populären Journalisten, den man „The Voice of the Voiceless“ (Die Stimme der Unterdrückten) nennt, zum Schweigen gebracht werden soll.“
Seit fast vier Jahrzehnten werden die Auseinandersetzungen um die Vorfälle vom 9. Dezember 1981 geführt, dreissig Jahre lang saß Mumia in der Todeszelle und sollte ermordet werden. Zwei Hinrichtungstermine mussten nach internationalen Protesten abgesagt werden. 2011 wurde das Strafmaß auf lebenslänglich ohne Möglichkeit der Haftverkürzung herabgesetzt.
Trotz neuer, entlastender Beweise und zahlreicher Belege für rassistisches Verhalten, trotz erwiesener Beweis- und Zeug*innenmanipulation, trotz Unterdrückung von Tatsachen wird ein neuer und fairer Prozess zum 9. Dezember 1981 auf immer neuen Wegen verhindert. Dieser neue Prozess würde unweigerlich den Beweis von Mumias Unschuld erbringen.
2015 wurde bei Mumia Hepathitis C festgestellt. Die Behandlung dieser Krankheit wurde verzögert und musste gerichtlich erstritten werden. Mumia leidet stark unter den gesundheitlichen Spätfolgen der verweigerten Therapie.
Die Verweigung und die Sabotage der notwendigen medizinischen Versorgung von Inhaftierten in den USA verstösst gegen die Menschenrechte. Die Gefängnisbürokratie bedient sich dieser versteckten Gewalt gegen Mumia und viele andere. Die Verantwortlichen nehmen in Kauf, dass den Inhaftierten dadurch körperlicher Schaden zugefügt wird.
Die VVN-BdA fordert die Gefängnisbehörden auf: Stoppen Sie dieses unmenschliche Vorgehen gegenüber den Inhaftierten!
Die VVN-BdA fordert die Gefängnisbehörden auf: Leiten Sie schnell die geeigneten medizinischen Schritte in der Behandlung von Mumia Abu-Jamal ein!
Die VVN-BdA fordert die Gefängnisbehörden auf: Entlassen Sie Mumia Abu-Jamal und alle Hochrisikopatient*innen über fünfzig Jahre umgehend!
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Mumia Abu-Jamal: Manny und der Mordversuch
April 1989
Auf den ersten Blick wirkt der Typ wie ein schwarzer Hydrant. Klein und tiefschwarz wie er ist, sieht Manny mit einem glattrasierten, glänzendem Schädel wie eine Miniversion von Box-Champ Jack Johnson aus. Tatsächlich war er früher Boxer, sogar Champion, und er bewegt seinen muskulösen Körper so behende, als stehe er ständig im Ring. Selbst größere Gefangene behandeln ihn mit vorsichtigem Respekt. In letzter Zeit bewegt er sich allerdings etwas weniger flink, eher ein bißchen unbeholfen.
Mannys jüngste Vergangenheit könnte direkt einer Mord- und Spionagegeschichte von Robert Ludlum entspringen; sie ist aber keine Fiktion, sondern nichts als die reine, schreckliche Wahrheit.
Von klein auf war Manny Epileptiker und auf die tägliche Einnahme des krampflösenden Mittels Dilantin und des beruhigenden Phenobarbital angewiesen. In den letzten zehn Jahren hatte er faktisch keinen Anfall, bis er nach Huntingdon kam und unter die „Fürsorge“ des dortigen medizinischen Personals geriet.
Nach einer offenbar inszenierten, heftigen Auseinandersetzung mit einem weißen Gefangenen, die mit der Einlieferung des Angreifers in die Krankenabteilung endete, wurde Manny in den Hochsicherheitstrakt verlegt, einem von Mauern umschlossenen „Gefängnis im Gefängnis“.
Dort nahm die Geschichte ihren Lauf.
Dort geschah der Mordversuch.
Nicht etwa ein Angriff auf einen mit Handschellen gefesselten Gefangenen, sonst gängige Praxis in diesem Laden. Anscheinend ändern sich die Methoden mit der Zeit.
Während seines Aufenthalts im Trakt bekam Manny eine Reihe von Anfällen, die so stark waren, daß er hinterher in tiefe Bewußtlosigkeit fiel.
„Was zum Teufel geht hier ab?“ fragte er sich. Er achtete ganz genau auf das Essen. Beobachtete. Wartete. Fastete. Wie Wellen überrollten ihn die Krampfanfälle, immer häufiger, immer heftiger. Warum, rätselte er fassungslos, warum gerade jetzt? Er bemerkte, daß ihm neue Medikamente verabreicht wurden, andere Farben, andere Dosierung, und stellte Fragen:“Was ist das?“ Die Antworten, die ihm die Wärter beim Austeilen der Medikamente gaben, waren naßforsch dahingelogen: „Ach, nichts, is ´nur`ne neue Art Dilantin, hat mir die Schwester gesagt – also, willste die Arznei nun oder nicht?“
Je mehr er davon schluckte, desto schlechter ging es ihm; je heftiger die Anfälle, desto tiefer die anschließende Bewußtlosigkeit. Er setzte die Medikamente ab. Er reichte Beschwerden ein, forderte und erhielt schließlich medizinische Betreuung außerhalb der Anstalt. In der Klinik von Altoona bekam Manny die Antwort auf seine Fragen.
Neben seiner Dosis Dilantin und Phenobarbital hatte ihm jemand die Pharmaka Loxitan, Artane und Haldol (Haloperidol) untergeschoben. Dieser Cocktail wirkte wie eine chemische Keule und zerstörte seine Sehfähigkeit, seinen Gleichgewichtssinn und, was am verhängnisvollsten war, seine Leber.
Als ein Internist mit einer Gewebeprobeentnahme an seiner Leber begann, dann aber mittendrin aufhörte, sich weigerte, weiterzumachen und ihn wieder zunähte, wurde Manny mißtrauisch. Irgend etwas war oberfaul. Der Chirurg in Altoona teilte ihm mit, um seine Leber hätte sich eine glasig-harte Haut gebildet, und eine Ultraschalluntersuchung zeigte, daß das Organ geschwollen und vergrößert war. Dem medizinischen Standardwerk Physician`s Desk Reference zufolge war die Verschreibung von Haldol bei gleichzeitiger Einnahme von Antikonvulsiva (wie Dilantin) kontraindiziert, weil es „die Schwelle für Krampfanfälle herabsetzt“, mit einem Wort, es löst epileptische Anfälle aus!
Unter heftigen Schmerzen, die ihm beinahe den Verstand rauben, führt Manny seinen Kampf gegen die anstaltsärztliche Bürokratie weiter, die ihn von seiner sportlichen Bestform bis an den Rande des Todes gebracht hat.
Daß er noch lebt, ist ein Wunder für sich.
Daß er kämpft, ist seiner Willenskraft zu verdanken.
Daß die Schuldigen, die ihm den giftigen Chemiecocktail verschrieben haben, sich noch immer nicht dafür verantworten mußten, ist eine Anklage gegen ein rassistisches, korruptes System, das sich als ein System der Besserung ausgibt.
Manny wartet, kämpft und sammelt neue Kräfte.
April 1989
in: Mumia Abu-Jamal …aus der Todeszelle – live from death row; Bremen, 5. Auflage 2005; S. 91-94