8. Mai 1945 – danach

8. Mai 2021

Albert Norden: „Der Eichmann von Bonn“. Aus einer Rede auf der internationalen Pressekonferenz des Ausschusses für Deutsche Einheit in Berlin, 28. Juli 1960

„(…) Die Graue Eminenz von Bonn, der Mann, der all die oben genannten Funktionen bekleidet und faktisch Adenauer vertritt, wenn dieser krank, in Urlaub oder auf Reisen ist, heißt Hans Joseph Maria Globke.

Meine Damen und Herren! Wir behaupten und beweisen heute nicht mehr und nicht weniger, als daß dieser Chef des Bundeskanzleramtes und zweitmächtigster Mann der Adenauer-Regierung identisch ist mit dem Autor der antisemitischen Gesetze und intellektuellem Urheber der Pogrome des Hitlerregimes und daß er bis 5 Minuten nach 12 engster Mitarbeiter Himmlers war.

Globke – Verfasser der Nürnberger Blutgesetze

In dem von Globke verfaßten Kommentar zu Hitlers Nürnberger Judengesetzen vom 15. September 1935 hieß es wörtlich: „Das Judentum ist ein Fremdkörper in allen europäischen Völkern …Deshalb ist die Dissimilation (das heißt das Ausscheiden – A. N-) die einzig mögliche Lösung…Das Judenproblem bedurfte in politischer, wirtschaftlicher und soziologischer Hinsicht einer Lösung für Jahrhunderte…Der völkische Staat muß notwendig ein Führerstaat sein.“

Aus diesen Thesen brich die ganze antisemitische Barbarei des Nazireiches hervor. Hier sind die Gaskammern von Auschwitz ideologisch schon vorweggenommen und die Argumente für die Notwendigkeit der Ausschaltung der Juden frei Haus geliefert. (…)

Im übrigen ist die Tatsache, daß Globke den schädlichen Kommentar zu diesem Gesetz geschrieben hat, nur ein Teil der Wahrheit. Adenauer ist exakt darüber unterrichtet, daß noch tausendmal Schlimmeres auf das Schuldkonto seines vertrauten Ratgebers und Mitregenten kommt. Denn Dr. Globke ist nicht nur der Kommentator – er ist der Verfasser der Nürnberger Blutgesetze und der Verordnungen über die Brandmarkung der jüdischen Bürger. Diese Gesetze, nämlich das „Reichsbürgergesetz“ und das „Blutschutzgesetz“, schufen die Grundlage für die schrecklichen Pogrome der Nazis gegen die rassisch Verfolgten in ganz Europa und bildeten den Ausgangspunkt für ihre spätere Verschleppung in die Konzentrations- und Vernichtungslager. (…)

Mit seinem Nürnberger „Blutschutzgesetz“ verbot Globke nicht nur jede Heirat zwischen sogenannten Deutschblütigen und Fremdrassigen, sondern er stellte auch die Liebe zwischen Mann und Frau unter Ausnahmerecht und Zuchthausdrohung. Nach Tausenden zählen die Zuchthausurteile wegen „Rassenschande“, die Hitlers Sondergerichte mit Globkes Gesetzen fällten, und manch jüdischer Bürger endete wegen seiner Liebesbeziehungen zu einer deutschen Frau auf dem Schafott, das Globke errichten half.

Die von Globke verfaßten Gesetze über Namensänderungen und Personenstandswesen enthielten weitere Paragraphen, mit denen er die Straße pflasterte, auf der die jüdischen Verfolgten später in die Gaskammern der Konzentrationslager getrieben wurden. Die jüdischen Bürger zwang Globke mit diesen Gesetzen zur Führung das zweiten Namens Sara beziehungsweise Israel. Er wußte, welchen Drangsalierungen er sie damit auslieferte, denn er selber schrieb in einem Kommentar 1938, daß „mit der Führung eines jüdischen Namens heute vielfach Nachteile verbunden sind“. (Die deutsche Verwaltung vom 31. Januar 1938, S. 53.)

Das „Reichsbürgergesetz“ schließlich bildete die Magna Charta des Antisemitismus im Reiche Hitlers. Dieses Gesetz, dessen Mitautor Dr. Globke war, schnitt die jüdische Bevölkerung aus dem deutschen Volkskörper heraus und erklärte sie zu artfremdem Ungeziefer. Die meist von Globke persönlich verfaßten 20 Durchführungsverordnungen zu diesen Grundgesetzen des Rassenwahns schränkten die Lebensmöglichkeiten der Juden Schritt um Schritt ein, entkleideten sie aller Rechte, raubten ihnen Beruf und Arbeit, das Vermögen und schließlich das Leben.

Aber Globke war nicht nur einer der Autoren des Gesetzes und des Kommentars, die aus den Juden die Parias des Kontinents machten – er gehörte zu den führenden Teilnehmern der Judenausrottung und der Annexionspolitik des „Dritten Reiches“. Er wurde an allen Brennpunkten des Hitlerschen Eroberungsfeldzuges eingesetzt. (…)

Globke, „J“ und der Judenstern

Eine Teufelei besonderer Art, die auf Globkes persönliches Konto kommt, war die von ihm mit dem Chef der Schweizer Polizei vereinbarte Brandmarkung der Reisepässe von rassisch verfolgten Deutschen durch den Buchstaben „J“: Wohlbemerkt, diese Abmachung wurde am 17. September 1938 getroffen, sieben Wochen vor der sogenannten Kristallnacht. Durch die Kennzeichnung der Pässe der jüdischen Deutschen wurde ihnen der Fluchtweg ins Ausland endgültig versperrt, weil die faschistischen Grenzbehörden in der Regel niemanden durchließen, dessen Paß durch das „J“ gekennzeichnet war. Von Globke persönlich stammte um dieselbe Zeit der Vorschlag, daß nur die nichtjüdischen Deutschen, die in Italien lebten, in ihre Reisepässe den Vermerk „Gültig für die Schweiz“ erhielten. Das geschah unmittelbar, bevor die antisemitische Verfolgung auch in Italien anlief, und Globkes Vorstoß führte dazu, daß die deutschen Staatsbürger jüdischer Abstammung nun nicht mehr aus Italien in die Schweiz flüchten konnten.

Globke geht in die Schmutzgeschichte des Nazistaates ein als der Erfinder des „J“, das die Juden unrettbar in den Mauern des sie mordenden Nazireiches einschloß. Als Heydrich am 1. September 1941 die Verordnung erließ, die alle Juden zwang, den gelben Stern auf ihrer Brust zu tragen, bezog er sich ausdrücklich auf das von Globke ausgearbeitete Nürnberger „Reichsbürgergesetz“.

Welch außerordentliche Rolle der bienenfleißige Globke bei der rassistischen Mordpolitik spielte, geht aus dem Geschäftsverteilungsplan des Reichsinnenministeriums aus dem Jahre 1938 hervor. Dort wird Globke nicht weniger als 21mal als Referent und Koreferent für alle antijüdischen Sach- und Fachgebiete es Frick-Ministeriums genannt, ob es sich um allgemeine Rassenfragen, um Sippenforschung, um „Blutschutzgesetze“ oder um Namensänderungen usw. handelte. (…)

Globke und Eichmann

Zwischen Globke und dem jetzt in Israel inhaftierten Millionenmörder Eichmann herrschte eine perfekte Zusammenarbeit. Globke war der Judenreferent im Innenministerium; Eichmann besetzte die gleiche Funktion im Reichssicherheitshauptamt. Auf der gemeinsamen Basis ihres wütenden Antisemitismus entstand eine natürliche Zusammenarbeit. Der eine sorgte für die Ausdehnung der Nürnberger Gesetze auf Österreich und die Tschechoslowakei; der andere, Eichmann, bildete die Zentralstellen für die Liquidierung der Juden.

Nach dem Überfall auf Polen übernahm Globke im Reichsinnenministerium auch die Verantwortung für die „Umsiedlung der Polen und Juden“. Gleichzeitig übernahm Eichmann im Reichssicherheitshauptamt dieselbe Aufgabe. Man weiß, daß den Eichmann und Globke allein 2900000 polnische Juden zum Opfer fielen.

Schon am 17. August 1938 verfügte ein von Globke geschriebener Erlaß, daß jeder Jude bei der Gestapo gemeldet werden müsse. Damit spielte er den Himmler und Eichmann die Gesamtlisten aller zu vernichtenden Juden in die Hände. Globke bereitete durch seine Gesetze, Verträge und Polizeiverordnungen das Terrain für Eichmann vor. Dieser setzte in die Tat um, was jener ersann. (…)

Der Geist der Erschlagenen und Erschossenen und Vergasten findet keine Ruhe, denn ihr Mörder sitzt nicht im Kerker, sondern im Palais Schaumburg. Der Autor der Hitlerschen Judengesetze und engst Mitarbeiter Himmlers ist Adenauers Mitregent.

Aber wie soll man den Adenauer charakterisieren, der in voller Kenntnis der Verbrechen des Satans ihn zu seinem engsten Ratgeber und faktischen Stellvertreter ernannte?! Was ist das für ein Kanzler, der sich mit den mörderischen Spießgesellen Hitlers und Himmlers vom Schlage Globke und Oberländer umgibt?!“

Norden, Albert: Der Eichmann von Bonn, in: Die Nation und wir, Ausgewählte Aufsätze und Reden 1933-1964, Band 2, 1965, Berlin, Seite 198 ff.