„nachts, wenn die Gestapo schellte…“

8. Januar 2023

Nachwort von Sebastian Schröder (2018)

„Der weitverbreiteste Ruf in der Stadt im Tal ist in diesen Tagen das befreiende „Nie wieder“!“

Mit diesem Satz endet am 12. März 1968 die große Artikelserie „Nachts wenn die Gestapo schellte…“ von Klaus und Doris Jann über den Wuppertaler Widerstand in der NeuenRheinZeitung (NRZ).

Das Jahr 1968 – In der Bundesrepublik heißt das Kampf gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnamkrieg, gegen die aggressiven Kampagnen der BILD-Zeitung.

Trotz der Ermordung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967, trotz des Attentats auf Rudi Dutschke herrscht Aufbruchstimmung, die autoritären Verhältnisse der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft werden nicht mehr ohne Widerspruch hingenommen.

23 Jahre nach der Befreiung fragen die jungen Menschen nach den Verbrechen der eigenen Eltern, der ganzen Generation im deutschen Faschismus. Diese Auseinandersetzungen um die Schuld der Älteren werden häufig unmittelbar geführt.

Deshalb steht 1968 in Westdeutschland auch für kämpferischen Antifaschismus. Es gibt breiten Widerstand gegen die offen neofaschistische NPD. Globke, Oberländer, Lübke und Kiesinger sind die bekanntesten Schreibtischtäter der Bundesrepublik – sie stehen stellvertretend für tausende Faschisten in allen Bereichen der Gesellschaft, die ihre Karrieren trotz Blut an den Fingern ungehindert fortgesetzt haben und das politische Leben und auch das Klima in der BRD prägen.

Professor Dr. Theodor Oberländer war allerdings nicht nur Schreibtischmörder, sondern ganz nah bei den von ihm befohlenen Verbrechen. Als politischer Führungsoffizier des Bataillons „Nachtigall“ war er mitverantwortlich für die Ermordung tausender Menschen Anfang Juli 1941 in Lwow. Filip Friedmann berichtet: „Es begann mit einer Jagd auf jüdische Männer in den Straßen. Dann wurden die Wohnungen der Opfer durchsucht. Man verschleppte Männer, ganze Familien, auch mit Kindern. Etwa zwei bis drei Tage nach dem ´Blitzpogrom´ begann eine neue Aktion. Etwa 2000 Juden schleppte man auf den Hof der Pelczynska 59, wo sich damals der Sitz der Gestapo befand. Hier wurden gegenüber den unglücklichen Menschen zwei Tage lang die allerschlimmsten Torturen sadistischen und perversen Charakters angewandt. Rund 1400 Mann, die diese Torturen durchhielten, verschleppte man in den Biloborski-Wald bei Lwow, wo sie erschossen wurden.“

An vielen Orten bilden sich lokale antifaschistische Initiativen, etwa in Bielefeld. Der Inhaber des Oetker-Konzerns, Rudolf-August Oetker, hatte seit 1959 den Bau einer Kunsthalle vorangetrieben, die den Namen des unumschränkten Firmenchefs (seines Stiefvaters) tragen sollte: Richard Kaselowsky. Dieser hatte als SS-Gruppenführer, als Mitglied der NSDAP und vor allem des „Freundeskreises Reichsführer SS“ den Oetker-Konzern zum „Nationalsozialistischen Musterbetrieb“ gemacht. Vielfältig wurden Aufrüstung und Raubkrieg unterstützt durch „Dr. Oetker“ und natürlich stieg der Profit. 1968 setzen sich die BürgerInnen der Stadt gegen den Namenspatron Kaselowsky zur Wehr; der feierlichen Eröffnung wird mit Offenen Briefen, Demonstrationen und Teach-ins entgegengetreten, und so muss die Einweihung der Kunsthalle abgesagt werden.

Trotzdem wird die Halle erst 1998 umbenannt, nach drei Jahrzehnten des Ringens.

In Wuppertal werden seit Oktober 1967 die Greueltaten Wuppertaler Polizisten im Bialystock-Prozess angeklagt. Die grausame Ermordung von über 2000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern Ende Juni 1941 im weißrussischen Bialystock wird mühsam aufgedeckt, die Täter sind allesamt angesehene Bürger der Stadt.

Beispielhaft sei ein weiterer angesehener Bürger erwähnt: Professor Dr. Hans-Bernhard von Grünberg, NSDAP-Mitglied seit 1931, bis 1944 Rektor der Universität Königsberg und als Staatswissenschaftler in weiteren faschistischen Organisationen und Funktionen tätig. Nach 1945 war er im Vorstand der Deutschen Reichspartei, einer Vorläuferpartei der NPD. Die Gründung der NPD im Jahr 1964 wurde maßgeblich in Wuppertal-Vohwinkel vorbereitet durch den ideologischen Vordenker Hans-Bernhard von Grünberg.

Klaus und Doris Jann berichten dagegen über die Menschen des Widerstands, über diejenigen WuppertalerInnen, die sich den faschistischen Tätern entgegengestellt haben.

Nicht zuschauend und scheinbar neutral, sondern Stellung ergreifend an der Seite der HitlergegnerInnen fordern sie die LeserInnen auch in ihrer Zeit zum antifaschistischen Handeln auf.

Klaus und Doris Jann zeigen, dass es während der 12 Jahre der Naziherrschaft immer Widerstand gegen die Diktatur gab. Trotz Haft, Folter, Ermordung, Zerstörung der Familie konnten die FaschistInnen die Opposition nicht besiegen. Es haben immer wieder mutige Menschen ihr Leben riskiert im Kampf gegen den Faschismus in Wuppertal. Sie sind heute Vorbilder.

Willi Spicher, von 1963 bis 1978 Vorsitzender der VVN Wuppertal, berichtet über die Folter: „Das erste „Verhör“ werde ich nie vergessen. Die Gestapoleute brachten mich ins „Jägerschlößchen“. Sie stießen mich in einen Raum, in dem eine Pritsche stand, voller Blut und Kot. Einige SS-Leute kamen, zwangen mich, meine Kleider auszuziehen. Einer höhnte mit freundlicher Grimasse: „Du wirst hier genauso verrecken wie dein Freund Giersiepen! Du hast es in der Hand. Du kannst es gut haben und kommst raus. Also …?!“ Karl Giersiepen aus Remscheid kannte ich gut. Ihn haben sie im „Jägerschlößchen“ erschlagen.

Sie hielten mich auf der Pritsche fest. Ein großer, schwerer SS-Mann setzte sich auf meinen Bauch, so daß ich fast keine Luft mehr bekam. Und plötzlich schlugen sie mit Lederpeitschen und einem Knüppel auf mich ein. Noch heute höre ich das Sausen und Klatschen der Peitschen. Immer wieder verdränge ich das. Doch manchmal bricht die Erinnerung einfach durch, läßt sich nicht zurückhalten.

Um mich fertigzumachen, hielten sie einige Male bei der Fahrt vom „Jägerschlößchen“ zum Gefängnis auf einer Rheinbrücke an, zerrten mich aus dem Wagen und drohten, wenn ich jetzt nicht endlich aussagen würde, wollten sie mich in den Rhein werfen. Es war ja Dezember. So ging das in Abständen mehrere Wochen lang. Allmählich war ich ziemlich kaputt. Da habe ich versucht, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Als mich die Gefängnisaufseher fanden, wurde ich nach Wuppertal in eine Krankenhauszelle verlegt. So entkam ich der Folter erst einmal. Ich wog damals noch etwa 100 Pfund.“

„Nachts wenn die Gestapo schellte…“ erschien 23 Jahre nach dem 8. Mai 1945, die Zeit des deutschen Faschismus war 1968 überall offen oder versteckt präsent. 2018 begehen wir den 73. Jahrestag der Befreiung, und auch jetzt müssen wir uns den Gespenstern der Vergangenheit entgegenstellen. Mit der AfD haben die Deutschnationalen, die Völkischen eine Partei etabliert, die den Rassismus, den Hass gegen Minderheiten propagiert und auf mehr Ungleichheit zwischen den Menschen abzielt.

Sie wollen ein anderes Land; wir sehen die Gefahr.

Ernst Köchly, Arbeitskollege des ermordeten Gewerkschafters Fritz Senger bei den Stadtwerken, schreibt in seinem Leserbrief: „Vielfach dieselben Kräfte in Wirtschaft und Politik, gleiche oder ähnliche Ursachen, die weite Teile des Volkes in Existenzangst halten, verbunden mit einer Aufrüstung von nicht erlebter Vernichtungskraft, stoßen in der Bundesrepublik auf eine Bevölkerung, die durch die Schuld der Herrschenden und der öffentlichen Meinungsbildner in den letzten 20 Jahren noch keineswegs immer gegen Verführungskünste neuer Rattenfänger immun geworden ist.

Von besonderer Bedeutung ist es, heute den Faschismus in den Anfängen zu erkennen und die Kräfte, die ihn fördern und unterstützen, aufzudecken und bloßzustellen. Die Lehren der Vergangenheit gerade in dieser Hinsicht sollten uns helfen, diesmal rechtzeitig eine starke und erfolgversprechende Abwehrfront zu schaffen.

Das wurde mir auch besonders deutlich und bewußt, als in der Serie das furchtbare Schicksal meines früheren Betriebs- und Gewerkschaftskollegen Fritz Senger geschildert wurde.“

Wir gedenken der Toten, wir ehren die Überlebenden und bekräftigen für die Zukunft:

Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!

Bibliografie

CheSchahShit – Die sechziger Jahre zwischen Cocktail und Molotow. Ein Bilderlesebuch, Hamburg, 1986

Finger, Jürgen; Keller, Sven; Wirsching, Andreas: Dr. Oetker und der Nationalsozialismus. Geschichte eines Familienunternehmens 1933 – 1945, München, 2013

Frei, Norbert: 1968 – Jugendrevolte und globaler Protest, München, 2017, aktualisierte und erweiterte Neuausgabe

Kühnl, Reinhard; Rilling, Reiner; Sager, Christine: Die NPD. Struktur, Ideologie und Funktion einer neofaschistischen Partei, Frankfurt am Main, 1969

Norden, Albert: Die Wahrheit über Oberländer; in: ders.: Die Nation und wir; ausgewählte Aufsätze und Reden 1933-1964, Band 2, Berlin, 1965; Seite 177 ff.

Okroy, Michael: „…mit Lust und Liebe als anständiger Deutscher Polizeidienst versehen.“ Der Wuppertaler Bialystock-Prozess 1967/68 – Ermittlung gegen Polizisten wegen Massenmord; in: Okroy, Michael; Schrader, Ulrike (Hg.): Der 30. Januar 1933 – Ein Datum und seine Folgen, Wuppertal, 2004

Podewin, Norbert (Hrsg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West), Reprint der Ausgabe 1968 (3. Auflage), Berlin, 2002

VVN-BdA Wuppertal: In der Zelle zum Abgeordneten gewählt – Willi Spicher. Nach Interviews und Gesprächen bearbeitet von Klaus Himmelstein, Wuppertal, 1981