»Dies kann nicht weiter verfolgt werden«
2. Juli 2023
Skandal um neues Konzept für Wuppertaler KZ-Gedenkort Kemna. Gespräch mit Sebastian Schröder
Erschienen in junge Welt, 28. Juni 2023
Von Henning von Stoltzenberg
In Wuppertal und darüber hinaus ist eine Debatte über den Gedenkort Kemna entstanden. Was ist dort während der Herrschaft der deutschen Faschisten geschehen?
Im Juli 1933 wurde in einem Randbezirk Wuppertals das KZ Kemna eingerichtet, initiiert von Willi Veller, dem zum Wuppertaler Polizeipräsidenten gemachten SA-Schläger und Mörder. Das Lager wurde von der SA betrieben und diente der massenhaften Internierung von Antifaschisten aus der Arbeiterbewegung aus dem Bergischen Land und darüber hinaus. Im Januar 1934 wurde da KZ Kemna geschlossen. Konstitutiv war die systematische Folter der circa 2.500 bis 3.000 Gefangenen durch die Wachmannschaft. 25 Suizidversuche sind überliefert. Massive und breite Gewalt sollte die Kraft der Arbeiterbewegung schnell brechen.
Wem hat das Gelände seit Kriegsende gehört, und wer hat sich darum gekümmert?
Es war bis 2019 immer in kommerzieller Nutzung, die Gedenkstätte befindet sich seit 1983 auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Am Gebäude konnten keine Schilder oder ähnliches angebracht werden, allerdings haben einige Eigentümer den Zugang zum Gelände für Gedenkfeiern erlaubt. Seit 2019 ist die evangelische Kirche Eigentümerin.
Sie sprechen von einem seit jeher umkämpften Gedenken. Wie meinen Sie das?
Karl Ibach und Willi Spicher waren zwei Mitbegründer der VVN in Wuppertal und Kemna-Häftlinge, wie viele spätere VVN-Mitglieder. Ibach hat zudem 1948 das in großer Auflage erschienene Buch zum Prozess gegen die Wachmannschaft geschrieben. Dies war der erste KZ-Prozess überhaupt nach der Befreiung. Es ist klar, dass eine Gedenkinitiative, die von der als kommunistisch markierten VVN gestützt wird, in der Adenauer-BRD bekämpft wurde. Und so wurde die Kemna-Gedenkstätte 1964 auf einem zentralen Denkmal in Frankfurt am Main genannt, aber erst 1973 in Wuppertal selbst.
1983, 50 Jahre nach der Lagereröffnung, wurde der große Gedenkort neben der Fabrik fertiggestellt. Die Gründe dafür waren zum einen die harsche Ablehnung einer Würdigung des linken Widerstandes in Westdeutschland, zum anderen das Schweigen der bürgerlichen Kreise zum Wuppertaler KZ. Dabei handelte es sich um wohlwollendes Schweigen, nicht um ängstliches. Und es gab auch Zustimmung: Aus den Reihen der faschistischen »Deutschen Christen« waren sogenannte Missionare in dem Lager, um die Häftlinge zu »bekehren«.
Geschichtsstudenten der Bergischen Universität haben unter Leitung von Ulrike Schrader, Leiterin der Wuppertaler Begegnungsstätte »Alte Synagoge«, Mitte Juni ein Konzept zur Gestaltung einer Gedenkstätte auf dem Gelände und im Gebäude des KZ vorgestellt. Was kritisieren Sie daran?
Bei der Präsentation wurden von Studierenden und Frau Schrader krude Aussagen über Täter und Opfer in dem KZ Kemna gemacht, die die Westdeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 16. Juni dokumentierte. Aussagen wie »die Grenzen seien schwammig«, »rund 80 Prozent der Häftlinge waren Kommunisten und damit auch Gegner der Weimarer Republik, also der Demokratie« und »eine weiße Weste habe deshalb keiner, man wolle niemanden zum Helden machen oder eine Vorbildfunktion geben, die er nicht hat.« Zu Recht hat sich daraus eine große Debatte entwickelt. Die Vorschläge zur Gestaltung sind deshalb bisher noch nicht diskutiert worden, allerdings sind gestalterische Elemente wie »Hördusche«, »drehbare, lebensgroße Würfelkomplexe« und ein »Stangenwald mit Stangen unterschiedlicher Länge als Symbol für die Individualität der Häftlinge« genannt. Der evangelische Kirchenkreis hat sich von den Aussagen bei der Präsentation distanziert und die alleinige Verantwortlichkeit für alle Phasen der Gedenkstättenplanung hervorgehoben.
Wie müsste Ihrer Meinung nach ein würdevolles Gedenken statt dessen aussehen?
Es ist klar, dass die von den Studierenden genannten Vorschläge nicht zu einer ernsthaften Beschäftigung mit Folter und Gewalt in der Kemna-Gedenkstätte beitragen können. Dies kann nicht weiter verfolgt werden. Die entscheidende Frage ist, wie nach diesem Skandal von der evangelischen Kirche ein vertrauensvoller Prozess in Gang gebracht werden kann, an dessen Ende ein ehrendes und mahnendes Gedenken auf objektiver Grundlage steht. Denn das KZ ist ein faschistischer Tatort von nationaler Bedeutung und unbedingter Teil der deutschen Geschichte.