Umkämpftes Feld
21. Mai 2023
geschrieben von Sebastian Schröder
»Iftach el bab!« (»Tür auf!«): Meron Mendels Buch »Über Israel reden«
Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, hat mit »Über Israel reden. Eine deutsche Debatte« einen gewichtigen Beitrag zu eben dieser Diskussion vorgelegt. Der israelisch-deutsche Historiker und Pädagoge hat das Ziel, ein »Plädoyer für Versachlichung und Differenzierung in einem umkämpften Feld, in dem sich Geschichte und Gegenwart sowie Real- und Moralpolitik vermischen« zu formulieren. Leider wird er diesem Anspruch nur in zwei von vier Kapiteln gerecht.
Aufgewachsen in Israel in einem Kibbuz, war er als junger Mensch in der israelischen Friedensbewegung aktiv und meinte, wie viele in den 1990er-Jahren, im Osloer Friedensabkommen das Ende des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern zu sehen. Mit der Ermordung Yitzchak Rabins durch einen rechten Terroristen 1995 endete die Periode der Annäherung.
Mit 18 Jahren hat Mendel seinen Militärdienst als Soldat der Besatzungsarmee in der Stadt Hebron absolviert. »Iftach el bab!« (»Tür auf!«) sind die arabischen Worte, die sowohl seine Armeezeit als auch den Charakter der Besatzung insgesamt beschreiben.
Mendel formuliert den entscheidenden Unterschied in der Beurteilung des Feldes Antisemitismus und Israelkritik: »Zwischen Israelis und Palästinensern gab und gibt es einen realen, handfesten Konflikt – zwischen Juden und Deutschen jedoch nie.« Diese Unterscheidung ermöglicht es ihm, viele im deutschen Diskurs tabuisierte Tatsachen auszusprechen.
Er untersucht im ersten von vier Kapiteln die Geschichte des Verhältnisses der Bundesrepublik zu Israel und kann zeigen, dass von beiden Seiten immer der Vorteil für die eigenen politischen Interessen gesucht wurde. Während Israel einen wohlhabenden, wiedererstarkenden Verbündeten sucht, nutzt die BRD die finanzielle Wiedergutmachung zur kollektiven Reinwaschung von der Schuld des Holocaust, um international wieder agieren zu können. Wie mit der zur »Staatsräson« veredelten deutschen Verantwortung für »Israels Sicherheit« umzugehen ist, wenn dort die extreme Rechte an der Macht ist, fragt Mendel.
Im zweiten Kapitel werden die aktuellen Auseinandersetzungen betrachtet: Im Streit um die Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) haben sich endgültig zwei Lager gebildet. »In der einen Ecke: die bedingungslosen anti-antisemitischen Israel-Groupies, die Israel nur als Land der Holocaust-Überlebenden sehen. In der anderen Ecke: die eingefleischten, postkolonialen Palästina-Ultras, die in Israel einen Kolonialstaat imaginieren, einen westlichen Fremdkörper in Nahost.« Zwei gegensätzliche Definitionen von Antisemitismus, öffentliche Diffamierungen und Kündigungen von palästinensischen Menschen in Deutschland (wie der Fall der im Jahr 2021 abgesetzten WDR-Journalistin Nemi El-Hassan), der ablehnende Bundestagsbeschluss zu BDS 2019, öffentliche Boykottaufrufe auch gegen Mendel und die Bildungsstätte Anne Frank, der Rücktritt des Direktors des Jüdischen Museums Berlin, die Debatte um Achille Mbembe, die antisemitischen Bilder auf der Documenta fifteen – das sind die Stationen des Konfliktes um die BDS-Kampagne in Deutschland. Mendel weist darauf hin, dass diese Kampagne, die er ablehnt, eben nicht, wie regelmäßig behauptet, antisemitisch sei. »Das Schlagwort BDS wird oft nur gerufen, um alle Formen von Boykott als antisemitisch zu brandmarken.«
Jetzt nimmt das Buch, das bisher wirklich zu einer Versachlichung der Debatte beigetragen hat, eine andere Richtung. Im vierten Kapitel zur Erinnerungskultur und zum Neuen Historikerstreit schlägt sich Mendel eindeutig auf eine der beiden Seiten. Er spricht sich für die Singularitätsthese aus und wird nun Teil des Streites, ohne dass von ihm neue Erkenntnisse, Perspektiven oder ähnliches präsentiert werden.
Die Geschichte der positiven oder negativen Positionierung zu Israel von links schildert er im dritten Kapitel anhand des Gegensatzes zwischen antiimperialistischen und antideutschen Gruppen, später werden auch die postkoloniale und die LGBTQ-Bewegung kritisiert. Da Mendel jetzt selbst antisemitische und antiisraelische Argumente vermischt, wird die Beurteilung der genannten Vorfälle und Veröffentlichungen für die Lesenden schwierig. Es bleibt eine Leerstelle. Wo sind die linken deutsch-jüdischen Menschen, wo ist etwa Rolf Verleger? Seine Auseinandersetzung mit dem Zentralrat der Juden über die israelische Politik enthält alles, was auch die aktuelle Debatte bestimmt.
Dies verhandelt Mendel unter »Jüdisch-israelische Kronzeugen«. Er übernimmt die Argumente zweier deutscher Soziologen, die behaupten: »Die Verwendung (vermeintlicher) jüdischer Kronzeug*innen als ›gute Juden‹ ist seit alters her vielfach geübte Praxis der Antisemit*innen.«
Peter Gingold, Kurt Goldstein und Esther Bejarano als Stichwortgeber antiisraelischer Deutscher? Das kann so nicht stimmen. Mendels Buch enthält beides: viele sachliche Argumente, aber immer auch die ausschließende Gegenposition.