Lebensbedrohlicher Eingriff

18. April 2021

Von Jürgen Heiser, in junge Welt vom 19. April 2021

USA: Politischer Gefangener Mumia Abu-Jamal wird heute am Herzen operiert. Informationen werden weiter zurückgehalten

Während der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal in den USA seine Anfang März erlittene Covid-19-Erkrankung noch nicht völlig überwunden hat, erwartet er jetzt in einer nicht näher bekannten Klinik eine Operation am offenen Herzen. Aus seinem engeren Umfeld wusste nach seinem Verschwinden aus dem Staatsgefängnis SCI Mahanoy in Pennsylvania seit dem vergangenen Mittwoch niemand, wo sich der Bürgerrechtler befindet und wie er medizinisch behandelt wird. Seiner Familie, seinen Anwälten sowie Vertrauten aus der Solidaritätsbewegung wurde dazu tagelang jede Angabe verweigert. Erst am Sonnabend (Ortszeit) erhielt seine Frau Wadiya Jamal die telefonische Mitteilung, ihr Mann werde diesen Montag operiert.

Trotz des bevorstehenden, lebensbedrohlichen Eingriffs erfuhr auch Abu-Jamals langjähriger Vertrauensarzt Ricardo Alvarez bis heute weder von der Anstaltsleitung noch den für sie tätigen Medizinern einen genauen medizinischen Befund und Angaben zur Operation. Der US-Radiosender WHYY zitierte ihn deshalb mit den Worten, »die Staatsgewalt« sei »eines der größten Risiken für Mumia«.

Das vom »Komitee der Familie und Freunde Mumia Abu-Jamals« herausgegebene Jamal-Journal konkretisierte den Vorwurf des Arztes: Es sei der im Staat virulente institutionelle Rassismus, der »die größte Bedrohung für Mumias Gesundheit« darstelle. Dazu veröffentlichte die Redaktion einen »Aufruf zur Freilassung von Mumia Abu-Jamal und allen älteren Gefangenen«. Mit der von Alvarez initiierten Petition wenden sich seit Ende März US-Ärzte an die Verantwortlichen in Politik und Justiz, Abu-Jamal, »einen international anerkannten politischen Gefangenen und geachteten Radiojournalisten, Autor und Familienvater aus humanitären Gründen umgehend freizulassen«.

»Abu-Jamal wurde fälschlicherweise beschuldigt, vor 39 Jahren einen Polizisten getötet zu haben und wurde zu Unrecht inhaftiert«, heben die Mediziner in ihrer Erklärung hervor. Amnesty International habe den Prozess als »ein offen rassistisches Gerichtsverfahren« bezeichnet, das »internationale Standards für faire Gerichtsverfahren nicht erfüllte«. Detailliert werden im Aufruf die Beweismanipulationen im Prozess von 1982 beschrieben, der für den Angeklagten mit der Todesstrafe endete, die erst 2011 in lebenslange Haft umgewandelt wurde. Da »15 der 35 Polizeibeamten, die an der Sammlung von Beweisen in Mumias Fall beteiligt waren«, später wegen »systematischer Beweismittelfälschung« im Rahmen ihrer Ermittlungsarbeit gegen andere Angeklagte zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, müsse das Urteil gegen Abu-Jamal aufgehoben und er freigelassen werden.

Denn zur gleichen Zeit, »da Mumia mit einem Schauprozess überzogen wurde«, habe das US-Justizministerium gegen die Polizei in Philadelphia wegen »Korruption und Polizeigewalt ermittelt«, so die Mediziner. In einer »beispiellosen Klage gegen den Bürgermeister sowie 21 städtische und Polizeibeamte« habe das Ministerium damals »weitverbreitete Übergriffe wie Erschießen von wehrlosen Verdächtigen, Misshandlung von in Handschellen gefesselten Gefangenen und Beweismanipulation« festgestellt. Heute dürfe man es der »rassistischen Polizeibruderschaft FOP« als der »landesweit größten Polizeilobbygruppe mit Sitz in Philadelphia« nicht durchgehen lassen, Mediziner, die sich für Abu-Jamal einsetzen, zu bedrohen, um sie »zum Schweigen zu bringen«.

»Mumias Gesundheit ist in Gefahr, und die Uhr tickt«, erklären die Mediziner und nennen die US-Gefängnisse eine »physische Manifestation des Rassismus«. Inmitten einer Pandemie gehe es darum, »humanitäre Lösungen« zu finden, die zwingend zur Freilassung der besonders gefährdeten Senioren führten. Der Aufruf endet mit der Proklamation der Ärzte, »unsere Älteren in den Gefängnissen nicht länger sterben zu lassen« und nicht zuzusehen, »dass brillante Intellektuelle wie Mumia Abu-Jamal durch die rassistische FOP, ein rassistisches Justizsystem oder grobe medizinische Vernachlässigung im Gefängnis ermordet werden«.

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