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22. März 2021
Klaus Mann: „Mephisto“. Roman einer Karriere – Teil 1
„Ein kaltes und böses Buch“
Von Dr. Dirk Krüger
I.
Am 24. Februar 1971, in diesen Tagen vor fünfzig Jahren, verkündete das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland sein Urteil in einem Rechtsstreit, der durch alle Instanzen geführt worden war und national wie international große Beachtung fand. Begonnen hatte der Rechtsstreit nach dem Tode des Schauspielers Gustav Gründgens am 7. Oktober 1963, auf einer Weltreise in der Stadt Manila, mit einer Klage des Adoptivsohnes und Alleinerbes Peter Gorski gegen die Nymphenburger Verlagshandlung, die sich 1965 entschlossen hatte, den Roman „Mephisto“ von Klaus Mann auch in der Bundesrepublik zu veröffentlichen.
In der DDR war er bereits 1956, zwanzig Jahre nach der Erstausgabe und nach gescheiterten Versuchen von Erika Mann, einen bundesdeutschen Verlag für eine Veröffentlichung zu gewinnen, im Aufbau-Verlag veröffentlicht worden. Die Auflagenhöhe betrug stattliche 50.000 Exemplare, die rasch vergriffen waren, denn man konnte den Roman auch in der BRD erwerben.
In dem Rechtsstreit ging es im Grundsatz um das Verhältnis von Kunstfreiheit auf der einen und Persönlichkeitsschutz auf der anderen Seite. Das Gericht konstruierte einen „postmortalen“ Persönlichkeitsschutz, denn der im Grundgesetz verankerte Persönlichkeitsschutz kommt nur lebenden Personen zugute, und wertete in seiner Entscheidung den „postmortalen“ Persönlichkeitsschutz höher als die Kunstfreiheit. Damit war die Klage von Gorski gegen die Nymphenburger Verlagshandlung erfolgreich, die Veröffentlichung des Romans „Mephisto“ von Klaus Mann war damit in der BRD verboten. Das Urteil ist bis heute rechtskräftig. Erst zehn Jahre später, im Jahr 1981 wurde der Roman trotz des bestehenden Veröffentlichungsverbots in der Bundesrepublik im Rowohlt Verlag veröffentlicht und hat im Jahr 2012 seine 17. Auflage erreicht.
II.
Der Autor des Romans, Klaus Mann, wurde am 18. November 1906 als ältester Sohn von Thomas Mann in München geboren.
Am 13. März 1933 emigrierte Klaus Mann zunächst nach Paris und von dort in die kleine südfranzösische Ortschaft Sanary-sur-Mer wo seine Familie und viele deutsche Emigranten Zuflucht gefunden hatten. Die nächsten Stationen seiner Emigration waren Amsterdam und Küsnacht.
Am 10. Mai 1933 wurden auch seine Bücher verbrannt. 1934 erfolgte seine Ausbürgerung durch das Nazi-Regime.
Aus dieser Zeit sind seine vielfältigen antifaschistischen Tätigkeiten bekannt.
Er gründete und leitete die erste literarische Emigrantenzeitschrift „Die Sammlung“(1933/35). 1934 nahm er am 1. Allunionskongress der Sowjetschriftsteller in Moskau und im Juni 1935 am I. Internationalen Schriftstellerkongress zur Verteidigung der Kultur in Paris teil, auf dem er eine Aufsehen erregende Rede hielt. Er beschäftigte sich darin mit der Frage, wie es dem Faschismus gelingen konnte, die Jugend für sich zu gewinnen und warum die linken Kräfte in dieser Frage versagt hätten.
Um die Jahreswende 1935/36 bewegten und begeisterten ihn die Aktivitäten, die Artikel, Aufrufe und Einschätzungen seines Onkels Heinrich zur politischen Situation im faschistischen Deutschland und zum Beitrag der Literatur im Kampf gegen den Faschismus. Heinrich Mann spielte eine führende Rolle im Lutetia-Kreis und bei den Bemühungen um die Bildung einer deutschen Volksfront aller Hitler-Gegner. In dieser Zeit vertiefte Klaus Mann sich in Zeitungsartikel über die Situation in Nazideutschland, vertiefte sich erneut in den Roman seines Onkels „Der Untertan“, in Goethes „Faust“ und Maupassants „Bel Ami“. Die Gesamtheit dieser Eindrücke bestärkten ihn in seiner Absicht, einen neuen Roman zu schreiben.
Die Machtergreifung der Nazis hatte ihn und sein literarisches Schaffen grundlegend verändert – darin sind sich alle Biographen einig. Sie gab ihm eine neue Richtung und neue Ziele in seinem Ringen um eine aktive gesellschaftlich progressive Funktion bürgerlich-humanistischer Literatur. Er wurde zu einem Mittelpunkt, zu einer zentralen Figur der antifaschistischen Publizistik.Im Exil entstanden folglich Klaus Manns bedeutendste Werke, die trotz Flüchtigkeiten, Kompositionsschwächen und Hang zum Episodischen ein bemerkenswertes künstlerisches Vermögen offenbaren.
In dem Roman„Symphonie pathétique“ (1935), einer sehr freien – von autobiographischen Bekenntnissen offenbar mitbestimmten – und antiheroischen Tschaikowski-Darstellung, stehen das Psychisch-Pathologische, der Zerfall und der Untergang als wesentliche Elemente im Mittelpunkt.
In dem Roman „Der Vulkan. Roman unter Emigranten“ (1939) gibt Klaus Mann Einblicke in die Situation der Emigranten in Westeuropa und in den USA. Die Hauptfigur, ein homoerotisch veranlagter Dichter, endet im Selbstmord, einige der (vorwiegend) intellektuellen Gestalten überwinden jedoch ihre krisenhaften Anfechtungen, sie gelangen von tiefer Resignation zur politischen Aktion, z.B. im spanischen Freiheitskampf.
Klaus Manns letztes Buch „The Turning Point“ (dt. „Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht“) ist schonungslose Autobiographie, Familiengeschichte und kulturpolitische und philosophische Betrachtung eines Zeitalters in einem. Es offenbart erneut den vorwiegend selbstbiographischen Charakter seines Werkes und seine Kunst der präzisen Beschreibung des Beobachteten und Erlebten.
III.
Der satirische „Roman einer Karriere“, „Mephisto“ – ein „Schlüsselroman“?
Es war kein Geringerer als sein Freund Hermann Kesten, der Klaus Mann im November 1935 nach der Veröffentlichung seines Romans „Symphonie pathétique“ von seiner Idee abbrachte, einen utopischen Roman über Europa in 200 Jahren zu schreiben. Er begeisterte Mann mit dem Vorschlag, in einem Roman – einer Gesellschaftssatire – den kometenhaften Aufstieg eines homosexuellen Karrieristen im Nazireich, mit dem Staatstheaterintendanten Gustaf Gründgens als Hauptfigur, künstlerisch zu beschreiben. Zudem sollte der Roman, so Kestens weiterer Vorschlag, gesellschaftskritisch werden und viele satirische Elemente enthalten.
Nach einigem Zögern und Abwägungen – es ging ja immerhin um einen Menschen, den er gut kannte, mit dem er Zusammengearbeitet hatte und der bis zur Scheidung seiner Schwester von Gründgens 1929 immerhin sein Schwager war – fasste er den Entschluss, dem Vorschlag Kestens zu folgen. Wir wissen aus seinen Tagebuchnotizen, dass er am 21. Dezember 1935 mit den Vorarbeiten zu dem Roman begann und sich für den Namen Hendrik Höfgen für die Roman Hauptfigur entschied, weil darin das Wort „Höfling“ mitschwinge – der Schauspieler als Hofnarr, als „Affe der Macht“ (so heißt es im Roman, S. 353). Er stellte Teile des Romans in Lesungen und Gesprächen vor, die beiden Amsterdamer Exil-Verlage meldeten sich kritisch zu Wort und Mann selber schrieb in seinen Tagebüchern 1936-1937 auf Seite 36: „ ‚Mephisto‘ wird ein kaltes und böses Buch. Vielleicht wird es den harten Glanz des Hasses haben.“
Am 17. Juni 1936 kündigte die Emigranten-Zeitung „Pariser Tageblatt“ einen Vorabdruck des Romans „Mephisto“ folgendermaßen an: „Das Werk ist ein Theaterroman aus dem Dritten Reich. Im Mittelpunkt stehen Figuren aus der Wirklichkeit, die glänzend gesehen sind.“
Ein paar Tage später folgte die folgende ergänzende Ankündigung: „Ein Schlüsselroman. Im Mittelpunkt steht die Figur eines Intendanten und braunen Staatsrates, der die Züge Gustav Gründgens trägt. Um ihn herum erkennt man den ganzen Tross der nationalsozialistischen Würdenträger.“
Diese Ankündigung löste Proteste aus, denen Klaus Mann entgegnete: „Kein Schlüsselroman. Eine notwendige Erklärung: Ich muß protestieren – um der Würde Ihres Blattes willen; um unserer Leser willen, die zu anspruchsvoll sind, als daß sie mit ‚Schlüsselromanen‘ amüsiert sein möchten; schließlich auch um meiner eigenen Würde willen…Hier handelt es sich um kein ‚Portrait‘, sondern um einen symbolischen Typus – der Leser wird beurteilen, ob auch einen lebensvollen, dichterisch geschauten und gestalteten Menschen.“
Diese „Richtigstellung“ wurde mit Schmunzeln bedacht, denn zu deutlich waren die lebenden Vorbilder der Romanfiguren zu identifizieren: Hendrik (eigentl. Heinz) Höfgen = Gustav Gründgens; Otto Ulrichs = Hans Otto; Juliette Martens = Andrea Manga Bell; Dora Martin = Elisabeth Bergner; Nicoletta von Niebuhr = Pamela Wedekind; Barbara Bruckner = Erika Mann; Geheimrat Bruckner = Thomas Mann; Sebastian = Klaus Mann; Ministerpräsident, der Fliegergeneral, der Dicke, die Macht, etc. = Hermann Göring; Theophil Marder = Carl Sternheim; Der Professor = Max Rreinhardt; Benjamin Pelz = Gottfried Bann.
Das sollte, das muss der Leser, die Leserin immer beachten und sich (als gutgemeinte Zusatzaufgabe) in die Biographien der wirklichen Personen und ihren Beziehungen vertiefen. Als ein Beispiel sei nur Leben und Werk von Carl Sternheim (im Roman Theophil Marder) und Pamela Wedekind (im Roman) Nicoletta von Niebuhr genannt. Sie waren nicht nur im wirklichen Leben verheiratet. Auch im Roman heiraten die beiden…
Mann nahm an dem Manuskript in der Zeit des Vorabdrucks im „Pariser Tageblatt“, viele Korrekturen vor.
Das Buch erschien – ohne homosexuelle Bezüge – erst im Oktober 1936 im Amsterdamer Querido-Verlag. Anfang Dezember waren bereits 1200 Exemplare verkauft.
Es äußerten sich mit Kritiken Johannes R. Becher, Stefan Zweig, Kurt Hiller, seine Bekannten und Verwandten sowie seine Mutter Katia und sein Vater Thomas. Mit Rezensionen in der Exilpresse äußerten sich Hermann Kesten, Hugo Huppert, Ludwig Marcuse, Balder Olden, der meinte, das Buch werde in Deutschland „verboten und verschlungen“ werden. Auch Gottfried Benn, der sich selbst in der Person Benjamin Pelz erkannte, äußerte sich folgendermaßen zum „Mephisto“: „Geistig sehr schwach, sachlich abgestanden, kritisch unergiebig.“.
Gründgens erhielt mehrere Freiexemplare. Seiner Behauptung, er habe das Buch nie gelesen, wird von seinem Mitarbeiter mit der Wahrnehmung widersprochen, Gründgens habe den „Mephisto“ fast auswendig gekannt.