Für einige schon tot
14. März 2021
Solidaritätskundgebungen für Mumia Abu-Jamal: Empörung über Medien, die Nachruf vorbereiten
Von Jürgen Heiser in junge Welt vom 15.März 2021
Während sich die Solidaritätsgruppen für den an Covid-19 erkrankten US-Journalisten und politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal bemühen, sein Leben zu retten und seine Verlegung in eine Klinik außerhalb des Gefängnisses durchzusetzen, gehen Mainstreammedien schon vom sicheren Tod des Gefangenen aus. Wie Pam Africa von der Organisation Move am Samstag mittag (Ortszeit) auf einer Solidaritätskundgebung in Philadelphia berichtete, wurden sie und die Prison-Radio-Produzentin Noelle Hanrahan vom Radiosender WHYY-FM telefonisch kontaktiert und um »Hintergrundgespräche« gebeten. Sie sollten »aus ihrer Sicht über Mumia reden«. Hanrahan lehnte jedoch ab und teilte Africa per SMS den Grund mit: »Die bereiten schon den Nachruf auf Mumia vor!«
Der Sender WHYY-FM in Philadelphia gehört zum National Public Radio (NPR), einem Verbund nichtkommerzieller US-Hörfunksender. Moderatorin Annette John-Hall hatte den Auftrag, den Nachruf auf Abu-Jamal für das gesamte Sendernetzwerk vorzubereiten. Hanrahan erinnerte sich sehr gut daran, dass NPR eine unrühmliche Geschichte mit Abu-Jamal verbindet. Denn Mitte der 1990er Jahre setzte die Sendeleitung eine Reihe vorproduzierter Wortbeiträge Abu-Jamals wieder ab, weil es Druck von der Seite des US-Senators Robert Dole zusammen mit der rechten Polizeibruderschaft FOP gab. Dole war 1996 Präsidentschaftskandidat der Republikaner und nutzte seinen erheblichen Einfluss. Die NPR-Leitung knickte ein, kündigte ihrem zuvor gefeierten Kommentator Abu-Jamal fristlos und verbannte seine Beiträge ins Archiv.
Auf den Kundgebungen in Philadelphia und San Francisco vor den jeweiligen Gebäuden der Bezirksstaatsanwaltschaften ernteten NPR und WHYY-FM harsche Kritik dafür, dass sie ihren Kollegen jahrzehntelang hängenließen und sich erst jetzt zu Wort melden, um Material für den Nachruf zu ergattern. »Aber«, so betonte Pam Africa, »Mumia ist nicht tot, sondern sehr lebendig!« Die zentrale Forderung der Solidaritätsbewegungen ist die sofortige Freilassung des 66jährigen, dessen nicht angemessene Behandlung als »medizinische Folter« gebrandmarkt wurde. Aber auch »alle anderen Inhaftierten über 50«, die Opfer der im US-Gefängnissystem um sich greifenden Coronapandemie seien, sollten sofort entlassen werden.
»Jetzt geht es um Freiheit oder Tod für Mumia!« hatte auch Zayid Muhammad, ein Jazz-Poet, Bühnenschauspieler und, nach eigenen Worten, Angehöriger der New Yorker Ortsgruppe der Black Panther Party, am Tag zuvor in der New Yorker Zeitung Amsterdam News betont. Es komme eine Zeit, »in der Schweigen Verrat ist«, zitierte er den Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. und appellierte an dessen Nachfolger: »Stellen Sie sich vor, schwarze Geistliche würden sich vor den großen Zeitungshäusern versammeln und die Unterdrückung und Dämonisierung von Mumia durch die Medien verurteilen.« Und damit reichte er seinen Appell auch an diejenigen US-Medien weiter, von denen er sich noch einen Funken Solidarität für den zu Unrecht verurteilten Kollegen erhofft: »Stellen Sie sich vor, alle schwarzen Zeitungen der National Newspaper Publishers Association würden regelmäßig und vorrangig Artikel über all die Unschuldsbeweise bringen, die in Mumias Fall unterdrückt wurden.«
Philadelphias angeblich liberaler Bezirksstaatsanwalt Lawrence Krasner, der sich dem Berufungsverfahren Abu-Jamals in den Weg stellt und auch seine Verlegung als Notfall aus der Isolation der Knastkrankenstation in eine Fachklinik nicht unterstützt, steht weiter im Zentrum der Kritik. An ihn richtet sich eine Petition, die im Solidaritätsblatt Jamal Journal propagiert wird. »Sie haben die Autorität«, heißt es darin, »die Freilassung von Mumia Abu-Jamal sicherzustellen«. Krasner habe »die Freilassung von mehr als einem Dutzend Personen erreicht, deren zu Unrecht erfolgte Verurteilungen« nur möglich gewesen seien, weil »Polizei und Staatsanwaltschaft die Unschuldsbeweise bewusst ignoriert« hätten. Abu-Jamal verdiene »das gleiche Maß an Fairness«. Die Zeit sei reif, schloss Muhammad seinen Appell vom Freitag: »Nutzen wir sie. Freiheit für Mumia Abu Jamal!«
Di, 16. März, 19 Uhr: »Corona und Prozessverschleppung: Freiheit für Mumia Abu-Jamal – Free Them All!« Streamlink unter freiheit-fuer-mumia.de
https://www.jungewelt.de/artikel/398410.free-mumia-für-einige-schon-tot.html