Mumia Abu-Jamal – Ehrenmitglied der VVN-BdA

28. Februar 2021

… aus der Todeszelle – Geleitwort von Peter Gingold – 2001

Mumias Aufzeichnungen aus der Todeszelle, seine alarmschlagende, aufschreiende Stimme gegen den Rassismus, wühlen auf, erschüttern. Seit fast zwei Jahrzehntzen sitzt er in der Hölle des death row, des Toderstrakts. Aus Rassenhaß, denn seine Haut ist schwarz. Weil die Stimme dieses Kämpfers für Menschenrechte, des mutigen, unabhängigen und populären Journalisten, den man „The Voice of the Voiceless“ (Die Stimme der Unterdrückten) nennt, zum Schweigen gebracht werden soll. Isoliert, von einem Hinrichtungstermin zum anderen, hin und her, das ist physische Folter, eine entsetzliche, unentwegte Folter, Tag und Nacht.

Wir, Überlebende des antifaschistischen Widerstandes, des Holocaust, zu denen ich gehöre, die stets den Tod vor Augen hatten und nur mit viel Glück der Nazihölle entronnen sind, können es wohl zuinnerst nachempfinden. In unserem Namen möchte ich diese Gefühle der tiefsten solidarischen Verbundenheit mit Mumia zum Ausdruck bringen.

Ich kann mich mit all meinen Sinnen in seine Lage hinaeinfühlen. Wohl habe ich nich so lange, nur einige Monate, in einer Todeszelle gesessen. Auf das Schwerste belastet, in den Händen der Gestapo, waren das Todesurteil und die Hinrichtung unweigerliche Gewißheit. Damals 26 Jahre alt, mein ganzes Leben noch vor mir, hatte ich stündlich den Tod vor Augen. Ich weiß, was es bedeutet! Mit märchenhaftem Glück bin ich dem entkommen, weil es mir gelang, meine Henker in eine Fall zu locken und zu fliehen.

Wie viele Abschiedsbriefe von meist jungen antifaschistischen Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern habe ich gelesen, die diese kurz vor ihrer Hinrichtung noch schreiben konnten. Jeder einzelne erschüttert mich im Innersten. Die Aufzeichnungen, die Mumia aus einer Todeszelle in die Öffentichkeit bringen konnte, erinnern mich an die Aufzeichnungen des hingerichteten tschechischen antifaschistischen Widrstandskämpfers Julius Fuczik. Unvergeßlich ist seine „Reportage unter dem Strang“, die mit den Worten endet: „Menschen seid wachsam!“

Nie werde ich vergessen, wie ich in meiner Jugend zum ersten Mal internationale Solidarität erlebte. Ich geriet zufällig in eine Kundgebung in meiner Heimatstadt Frankfurt am Main. Ich hörte erstmalig vom Justizmord in den USA. Es ging um Sacco und Vanzetti. Diese Solidarität mit Menschen auf der anderen Hälfte des Erdballs, unschuldig zum Tode verurteilt und hingerichtet, beeindruckte mich so sehr, daß sie für mich zum Schlüsselerlebnis wurde und den damals Vierzehnjährigen für das ganze Leben, bis in die Gegenwart, zu einem leidenschaftlichen Internationalisten machte.

Ich wünsche mir, daß es jedem jungen Menschen so ergeht nach der Lektüre dieses Buches und auch bei der Teilnahme an kommenden Solidaritätsvreanstaltungen für Mumia.

Ich war auch an der Seite der internationalen Widerstandsbewegung gegen den Nazifaschismus, der internationalen Protestbewegung gegen die Justizmorde an Ethel und Julius Rosenberg in den 50er Jahren in den USA, für den Afroamerikaner George Jackson, für die Befreiung von Angela Davis, die unschuldig in den USA im Gefängnis saß.

Wer weiß es nicht, daß sich Justizmorde wie ein roter Faden durch die Geschiche der US-Justiz ziehen und daß ein großer Teil der Strafverfahren, die mit Todesstrafen enden, vor allem gegen Schwarze gerichtet sind, wie bei Mumia Abu-Jamal!

Wenn wir Menschen zur Solidarität mit Mumia Abu-Jaml mobilisieren, alarmieren wir sie gegen den Rassismus. Eine Pflicht, die die jüngste deutsche Geschichte und diktiert. Wir müssen an der Spitze des internationalen Protestes stehen, gegen die drohende Hinrichtung von Mumia Abu-Jamal! Es gibt wohl kaum ein anderes Volk in der Welt, das wie das deutsche erfahren hat, was Rassismus bedeutet und wohin er führt. Niemals darf in Vergessenheit geraten, wie mit der Herrenrassen-Ideologie eine ganze Nation dazu gebracht wurde, pflichtgemäß als nationalen Auftrag Völkermassen als minderwertig, als nicht lebensberechtigt anzusehen und industriemäßig auzurotten, wie Ungeziefer u vernichten.

Diese Geschiche verpflichtet die Deutschen wie keine anderen auf der Erde, politisch und moralisch am lautstärksten aufzuschreien und den Rassismus zu bekämpfen, wann und wo er auch zu Tage tritt; und sich mit jedem zu solidarisieren, der aus rassistischen Gründen verfolgt, beleidigt, verletzt wird und vor allem, dessen Leben bedroht wird. Wir schulden es der Welt, wir schulden es den Opfern des Rassismus und des Faschismus, und wir schulden es den antifaschistischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern. Vor allem angesichts dessen, wie beängstigend virulent der Rassismus in der deutschen Bevölkerung ist. Wir leben in einem Land, das seine Vergangenheit nie wirklich aufgearbeitet hat, das eder Herrenmenschentum noch Ausländerfeindlichkeit jemals wirklich abschwor. Wo, wie in Hessen, ein Mann mit einer ausländerfeindlichen Unterschriftenkampagne zum Mimisterpräsidenten werden konnte.

So geht es zugleich um Deutschland und um uns, wenn wir Menschen zur Solidarität mit Mumia Abu-Jamal aufrufen, sie zum unüberhörbaren Protest gegen eine bevorstehende Hinrichtung auffordern. Es ist ein wichtiger Beitrag, um auch das humanistische Erbe der deutschen Vergangenheit im Bewußtsein unserer Bevölkerung zu verankern.

Weder Sacco und Vanzetti noch Ethel und Julius Rosenberg noch George Jackson konnte die internationale Solidaritätsbewegung retten. Aber sie konnte in Südafrika die weißen rassistischen Herrscher davon abhalten, Nelson Mandela zu töten, als er im Gefängnis saß. Die Solidarität mit Angela Davis hat sie aus dem Gefängnis befreit.

Von Mumia kommen die Worte: „Diese Solidarität bringt mich vom Tode zum Leben.“ Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, niemals! Immer wider hat der Gouverneur Tom Ridge ein Datum für die Hinrichtung durch die Giftspritze festgelegt. Die weltweite Solidaritätsbewegung hat Mumias Tod immer wieder verhindert. Verstärken wir den Kampf, Mumia zu retten! „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ Kämpfen wir also, um Mumia Abu-Jamal den Machenschaften der US-Justiz zu entreißen! Wir dürfen nicht ruhen, denn ohne Solidarität ist ein Sieg nicht möglich. Schließen wir unsere Kräfte zusammen!

Damit die Solidarität Mumia vom Tod ins Leben bringt!

Peter Gingold – Mitglied der VVN-BdA

in Mumia Abu-Jamal: …aus der Todeszelle – live from death row, Bremen, 2005, 5. Auflage