Dein Jahr für Deutschland – aus Antifa

26. Oktober 2020

Michael Schulze von Glaßer über rechtsextreme Umtriebe in der Bundeswehr

Im Jahr 2019 gab es laut dem Wehrbeauftragten des Bundestags 197 »Meldepflichtige Ereignisse« im Bereich Rechtsextremismus. Gegenüber den Vorjahren ist diese Zahl gestiegen (2017: 167; 2018: 170). Was die Zahlen nicht ausdrücken, ist die zunehmende »Qualität« der rechtsextremen Vorfälle: Es geht nicht mehr nur um extrem rechte Symbolik, sondern um Umsturz- und Bürgerkriegspläne.

Regelmäßige Einzelfälle?

Rechtsextreme Vorfälle in der Armee sind nichts Neues: Die Bundeswehr zieht wie jede Armee seit jeher nationalistisch und gewaltaffine Menschen an. Wie rechtsextrem die Bundeswehr schon immer war und wie sich dies vor allem in den letzten Jahren verstärkt hat, kann anhand des 1996 gegründeten »Kommando Spezialkräfte« (KSK), der Eliteeinheit der Bundeswehr, nachvollzogen werden.

Die Geschichte der Einheit ist eine Abfolge extrem rechter Vorfälle. Eine kurze Chronologie: Bei einer Übung in Vorbereitung auf den Afghanistan-Einsatz sprühten KSK-Soldaten 2001 im Oman ein nachgemachtes Palmensymbol von Adolf Hitlers deutschem Afrika-Korps auf ihren »Wolf«-Geländewagen und posierten für Fotos davor. 2003 schrieb der damalige KSK-Kommandeur Reinhard Günzel einen unterstützenden Brief an den Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann, der wegen antisemitischer Äußerungen aus der CDU/CSU-Fraktion ausgeschlossen wurde (Hohmann sitzt heute für die AfD im Bundestag). Günzel wurde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Dort schrieb er gemeinsam mit einem ehemaligen Wehrmachtsoffizier ein Buch, welches das KSK in die Tradition mit der Wehrmachts-Spezialeinheit »Brandenburger« setzte. Das Buch erschien im extrem rechten »Pour le Mérite Verlag«. 2008 bedrohte ein KSK-Soldat einen anderen Soldat, der in der armeekritischen Soldatenvereinigung »Darmstädter Signal« aktiv war. Der KSK-Soldat fiel später durch Nähe zur »Identitären Bewegung« und »Reichsbürgern« auf. 2017 wurde bei einer Abschiedsfeier der 2. KSK-Kompanie Rechtsrock-Musik gehört und der »Hitlergruß« gezeigt. 2018 flog ein aus aktiven und ehemaligen Mitgliedern von Bundeswehr und Polizei betriebenes Netzwerk auf, welches für einen »Tag X« einen politischen Putsch plante. Maßgeblich beteiligt war der ehemalige KSK-Soldat André S., alias »Hannibal«. Er war Administrator der Chatgruppen Nord, Ost, Süd, West, Schweiz und Basis sowie lange Zeit Vorstand des Vereins »Uniter«, der militärtaktische Trainings organisierte und zwei eigene paramilitärische Einheiten aufbaute.

Der ebenfalls von rechtsextremen Einflüssen betroffene Bundeswehr-Geheimdienst MAD sieht aktuell 20 mutmaßliche Rechtsextremisten innerhalb des KSK. Allein bei der Elitetruppe werden momentan mindestens 62 Kilogramm Sprengstoff und 48.000 Schuss Munition vermisst.

Das Beispiel »KSK« zeigt aufschlussreich die Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Waren es rund um das Jahr 2000 noch vor allem »nur« rechte Äußerungen und Symbole, so drückt sich das politische Weltbild mittlerweile immer praktischer aus, beziehungsweise praktisches Handeln wird vorbereitet. Ein wie auch immer gearteter und gegen wen auch immer gerichteter Anschlag rechtsextremer Bundeswehr-Soldaten scheint heute jederzeit möglich: Das »Know-how« und die Materialien sind vorhanden.

Die Politik reagiert auf die rechten Entwicklungen nur zögerlich: Ermittlungen laufen schleppend an. Dies ist gerade im Zusammenhang mit dem »Hannibal«-Netzwerk und »Uniter« offensichtlich. Es ermitteln »Sicherheitsbehörden« gegen Leute aus den »eigenen« Reihen: So wurden Beschuldigte etwa vor anstehenden Razzien gewarnt. In der Öffentlichkeit zeigt sich die Bundesregierung hingegen tatkräftig und macht Vorschläge, um den Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr einzudämmen.

Gegen rechtsextremes Gedankengut nützt eine Wehrpflicht überhaupt nichts. Mitte der 1990er Jahre gingen 85 Prozent der Vorfälle auf das Konto von Wehrdienstleistenden.

Reaktivierung der Wehrpflicht

Ein immer wieder von Politiker*innen favorisierter Vorschlag zur Eindämmung der extrem rechten Entwicklung ist eine Reaktivierung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht. Durch die neuen Rekrut*innen hätte die Bundeswehr eine tiefere Verankerung in der Gesellschaft und würde quasi »demokratisiert«, so die Hoffnung. Die seit Mai 2020 amtierende neue Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), sagte, es tue der Bundeswehr sehr gut, »wenn ein großer Teil der Gesellschaft eine Zeit lang seinen Dienst leistet.« Eine Wehrpflicht erschwere es auch, »dass sich Rechtsextremismus in der Truppe breit macht.« Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte bereits im Sommer 2018 einen Vorstoß für eine 
Reaktivierung der Wehrpflicht gewagt.

Damit würde die Bundesrepublik einem 2013 begonnenen internationalen Trend folgen. Ein Referendum in Österreich bestätigte die dortige Dienstpflicht, in Norwegen dehnte man die Zwangsrekrutierung auf Frauen aus. Ab 2014 reaktivierten die Ukraine, Litauen und Georgien die Kriegsdienstpflicht, 2018 folgte Schweden. In Frankreich startete 2019 der »Service national universel«. Ab 2021 müssen junge Menschen zunächst einen Monat lang in einer zivilen oder militärische Einrichtung Dienst leisten. Nur: Gegen rechtsextremes Gedankengut in Streitkräften nützt eine Wehrpflicht überhaupt nichts, ganz im Gegenteil.

Mitte der 1990er Jahre gingen 85 Prozent der gemeldeten rechtsextremen Vorfälle auf das Konto von Wehrdienstleistenden. Oft wurden rechtsextreme Musik gehört, verfassungswidrige Symbole getragen oder der Hitlergruß gezeigt. Eine Reaktivierung der Wehrpflicht könnte den schon vorhandenen rechtsextremen Kräften innerhalb der Bundeswehr eher noch neuen, jungen Nachwuchs zuführen. Und Einheiten wie das KSK wären von der Wehrpflicht sowieso nicht tangiert. Schon der Gedanke, neue, junge Rekrut*innen hätten in einer strikt hierarchischen Armee so viel Einfluss, diese zu »demokratisieren«, klingt abwegig. Warum also dieser Vorstoß für eine neue Wehrpflicht, wenn es am eigentlichen Problem nichts ändert?

Public Relations Coup

Der Bundeswehr fehlt es an Nachwuchs: Etwa 22.000 Stellen in der deutschen Armee sind unbesetzt. Die seit Jahren mit großem finanziellen Aufwand betriebene Aufrüstung scheitert bisweilen am fehlenden Personal. Der Vorstoß, den Zwangsdienst »Wehrpflicht« zu reaktivieren, stößt in der Öffentlichkeit aber auf viel Kritik. Zudem müsste es, um eine »Wehrgerechtigkeit« herzustellen, eine Verfassungsänderung geben. Das Verteidigungsministerium setzt daher erst einmal weiter auf die »Freiwillige Wehrpflicht«, baut diese aber zunehmend aus.

Am 23. Juli stellte Annegret Kramp-Karrenbauer einen neuen Freiwilligendienst vor. Unter dem Titel »Dein Jahr für Deutschland« können bald jährlich 1.000 junge Menschen ihre siebenmonatige Grund- und Spezialisierungsausbildung bei der Bundeswehr machen. Danach werden sie »heimatnah« in regionalen Reserveeinheit eingesetzt. Über sechs Jahre sollen die jungen Menschen dann für insgesamt fünf Monate an Reserveübungen teilnehmen. Derzeit sind 30 regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanien flächendeckend im Bundesgebiet aufgestellt. An der Waffe ausgebildet werden wie immer beim Freiwilligen Wehrdienst schon junge Menschen ab 17 Jahren. Grundvoraussetzung ist die deutsche Staatsbürgerschaft.

Auffällig ist die Werbung für den neuen Dienst: Das Logo besteht aus dem Schriftzug »Dein Jahr für Deutschland« mit Schwarz-Rot-Goldener Applikation. In einem Werbevideo heißt es: »Unser Wir braucht mehr von Dir. Schütze unsere Heimat. Wenn wir dich stark machen, machst du ein ganzes Land stark. Schütze unsere Heimat. Erlebe Kameradschaft. Mit dem Neuen Dienst in deiner Region. Zusammenhalt in Deutschland beginnt bei dir.« Der neue Dienst dürfte also vor allem sehr rechte junge Menschen ansprechen.

Dass diese Verwendung im »Heimatschutz«, also im Inland, juristisch heikel ist, wurde in der Debatte um den neuen Dienst kaum thematisiert: Eine Lehre aus dem Nationalsozialismus war es, dass die Armee nicht im Inland eingesetzt werden darf. Dieser Grundsatz wird seit rund 20 Jahren immer weiter aufgeweicht. Im Rahmen der Coronakrise drohte sogar erstmalig der Einsatz bewaffneter Infanterie im Inland. Soldat*innen des »Jägerbataillon 292«, Teil der »Deutsch-Französischen-Brigade«, sollte sensible Einrichtungen wie Liegenschaften des THW schützen. Der Einsatz wäre verfassungsrechtlich höchst bedenklich gewesen, wurde aber nicht realisiert. In Verruf geriet die Einheit unter anderem auch, weil ihr der 2017 wegen Planung eines rechtsterroristischen Anschlags festgenommene Oberleutnant Franco A. angehörte. Das »Jahr für Deutschland« ist ein weiterer Schritt, Soldat*innen für den Dienst im Inland auszubilden und in Bereitschaft zu haben.

Fazit

Die Bundesregierung nutzt die rechtsextremen Vorfälle als Vorwand, um ein vollkommen anderes Thema, den Nachwuchsmangel der Bundeswehr, anzugehen. Allein schon der Werbetitel für den neuen Freiwilligendienst »Dein Jahr für Deutschland« zeigt, dass die Bundesregierung das Rechtsextremismus-Problem der Armee entweder nicht erkennt oder es bewusst übersieht. Der Dienst spricht politisch rechte junge Menschen gezielt an und wird die Situation noch verschärfen. Rechtsextremist*innen könnten sich bald noch stärker in regionalen Reservekommandos der Bundeswehr verankern. All dies sind sehr bedenkliche Entwicklungen. Michael Schulze von Glaßer ist politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen

Bereits vor über zehn Jahren berichtete Ulrich Sander in der antifa (Sept./Okt. 2009) unter dem Titel »Neu Aufgestellt« über die Neuausrichtung der Bundeswehr und Ausbau der Reserve. 
Weiterhin nachlesbar in unserem Archiv unter antifa.vvn-bda.de«